Vortrag - Nathanja Hüttenmeister referierte zum Thema „Stätten des Lebens – Eine Einführung in tausend Jahre jüdische Sepulkralkultur in Deutschland“

Friedhöfe sind steinerne Spiegel der jüdischen Kultur

Jüdische Friedhöfe sind bis heute Zeugnisse der langen jüdischen Geschichte in Deutschland. Während andere Friedhöfe bereits weitgehend erforscht sind, ist in Wertheim noch einiges an Arbeit nötig, bis sich ein klares Bild zeichnet.

Von 
Elisa Katt
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Der jüdische Friedhof ist bedeutendes Zeugnis jüdischen Lebens in Wertheim – bislang ist er aber kaum erforscht. © Gerd Weimer

Wertheim. Unscheinbar liegt er am Rande der Stadt – dabei lässt sich am jüdischen Friedhof in Wertheim wie an einem steinernen Archiv ablesen, wie sich die Gemeinde im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Anregungen dazu gab ein Vortrag von Nathanja Hüttenmeister, der am Montag online stattfand. Deutlich wurde aber auch, dass noch viel Forschungsarbeit notwendig ist, bevor sich ein so umfassendes und klares Bild ergibt, wie Hüttenmeister es von anderen jüdischen Friedhöfen in Deutschland zeichnete.

Erbe der jüdischen Mitbürger

Mit der Sperrung im vergangenen Sommer war der Friedhof in Wertheim zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden. Das nahm der Historische Verein zum Anlass, sich bei verschiedenen Veranstaltungen näher mit seiner Geschichte auseinander zu setzen. „Wir fühlen uns dem Erbe unserer ehemaligen jüdischen Mitbürger, die entrechtet, vertrieben und ermordet worden sind, verpflichtet“, erklärte Vorsitzender Frank Kleinehagenbrock, der zusammen mit Monika Schaupp vom Archivverbund Main-Tauber die Teilnehmer begrüßte. Bei einem Workshop im Februar standen Quellen zum Friedhof im Mittelpunkt, die bereits einige Fragen aufwarfen. Nun beleuchtete Nathanja Hüttenmeister „tausend Jahre jüdische Sepulkralkultur in Deutschland“.

Nathanja Hüttenmeister, Expertin für jüdische Friedhöfe. © Hüttenmeister

Hüttenmeister ist Expertin für jüdische Friedhöfe, hat Judaistik, Islamwissenschaft und Arabistik sowie Geschichte in Tübingen, Berlin und Jerusalem studiert und an zahlreichen Projekten und Publikationen mitgearbeitet. Seit 1996 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Zu ihren Forschungsfeldern gehört auch die jüdische Grabsteinepigraphik „epidat“, in der aktuell mehr als 35 000 Grabmale digital erfasst sind.

„Ein jüdisches Grab wird für die Ewigkeit angelegt“, leitete Hüttenmeister ihren Vortrag ein. Das schreibe die Halacha vor, die religiösen Gesetze der Juden. Ebenso wie die Lage eines Friedhofs außerhalb einer Siedlung: Der Wertheimer Friedhof am Rande der Stadt ist dafür ein Beispiel. Schon seine Lage zeuge vom hohen Alter des Friedhofs. 72 Grabsteine alleine aus dem 15. Jahrhundert sind bis heute erhalten. Das sei eine Seltenheit, betonte Hüttenmeister. Viele Friedhöfe aus mittelalterlicher Zeit wurden während der Vertreibung der Juden aus den Reichsstädten zerstört.

„Häufig wurde den Juden außerdem Gelände zur Verfügung gestellt, das anderweitig nicht nutzbar war“, stellte Hüttenmeister fest: Steile Hänge oder Flächen, die häufig überschwemmt wurden. Erst im 19. Jahrhundert war es den Juden mit der zunehmenden bürgerlichen Gleichstellung möglich, selbst Grund zu erwerben.

Als billiges Material verbaut

Dass mittelalterliche Grabsteine wie in Wertheim nicht nur erhalten sind, sondern bis heute auf dem Friedhof stehen, sei eine Ausnahme. „Die meisten Grabmale haben sich nur deshalb erhalten, weil sie geraubt und als billig verfügbares Material verbaut wurden“, berichtete Nathanja Hüttenmeister. So fand man beim Abriss des Dominikanerinnenklosters St. Markus in Würzburg mehr als 1500 jüdische Grabmale und Grabmalfragmente.

Auch auf die Friedhofsanlage selbst sowie die Art der Belegung ging die Expertin ein. So waren häufig lokale Traditionen ausschlaggebend, mitunter findet sich eine Trennung zwischen Männern und Frauen. Auch Lebensumstände oder die Umstände des Todes konnten einen Einfluss auf die Lage der Grabstätte haben. Später erfolgte die Belegung häufig in chronologischer Reihenfolge. Anhand vieler Bilder veranschaulichte Hüttenmeister, wie sich die Gestaltung der Grabmale im Laufe der Zeit entwickelte und erklärte sowohl Symbolik als auch Inschriften der Steine.

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Im Anschluss an ihre Ausführungen hatten die rund 100 Teilnehmenden Gelegenheit, Fragen zu stellen. Einige davon drehten sich speziell um den Wertheimer Friedhof, doch schnell wurde klar, dass eine Aussage dazu bislang schwierig ist. Allein schon deshalb, weil aufgrund der Zerstörung im Nationalsozialismus mit großer Wahrscheinlichkeit viele der Steine nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz stehen. Frank Kleinehagenbrock äußerte in diesem Zusammenhang den Wunsch, dass die Expertin, die bisher nur Bilder einzelner Grabsteine anschauen konnte, den Friedhof vor Ort in Augenschein nehmen sollte.

Eine Frage, die auch in Hinblick auf die aktuelle Diskussion um die Wegesanierung des Friedhofs interessant war, lautete: Inwieweit darf ein jüdischer Friedhof gepflegt werden? „Es heißt ja immer, man dürfe nichts tun“, sagte Hüttenmeister. In der Vorkriegszeit hätten die jüdischen Gemeinden sich aber sehr gut um ihre Friedhöfe gekümmert.

Grabstätten für die Ewigkeit

Nach dem Krieg waren die noch übrigen jüdischen Gemeinden mit der Pflege der Friedhöfe überfordert. Die vertraglich geregelte Instandhaltung durch die Kommunen sei sehr unterschiedlich geregelt worden. „Seit Mitte der 80er Jahre gibt es wieder ein neues Bewusstsein für diese Friedhöfe nicht nur als historische Orte sondern als Grabstätten, die für die Ewigkeit erhalten werden sollen.“ Im Zweifel entscheide heute der zuständige Rabbiner, was getan werden darf und was nicht.

Veranstaltet wurde der Vortrag vom Archivverbund Main-Tauber, dem Historischen Verein sowie der Vhs Wertheim. Wie Frank Kleinehagenbrock betonte, möchte sich der Historische Verein für mehr Forschung rund um den jüdischen Friedhof einsetzen, um mit „einem der bedeutendsten Denkmäler der Stadt angemessen umzugehen“. Ein mögliches Projekt wäre die Erfassung des Wertheimer Friedhofs in der Datenbank „epidat“.

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