Tauber-Odenwald. Seit Ende Juni gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht. Die Bundesregierung wollte mit der Reform in Deutschland lebenden Ausländern die Einbürgerung erleichtern. Bisher war die Einbürgerungsrate im EU-Vergleich relativ niedrig. Das soll sich ändern, stellt aber die zuständigen Behörden vor Herausforderungen.
Sowohl der Neckar-Odenwald-Kreis als auch der Main-Tauber-Kreis melden einen starken Anstieg der Anträge. Auf den deutschen Pass müssen die Antragsteller zwölf bis 15 Monate warten. In der ersten Hälfte des Jahres, also noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, sind bei der zuständigen Stelle des Landratsamts Neckar-Odenwald 224 Anträge auf Einbürgerung gestellt worden, heißt es auf FN-Anfrage. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es lediglich 126 Anträge. 2023 gab es insgesamt 272 Anträge. Bis Donnerstag vergangener Woche kamen nun 82 Anträge hinzu, so dass die Zahl mit bislang 306 Anträgen den Vorjahreswert schon übertroffen hat.
Antragszahl im Main-Tauber-Kreis verdoppelt
Im Main-Tauber-Kreis gibt es eine ähnliche Entwicklung: „Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts am 27. Juni haben sich die Antragseingänge bei uns im Landratsamt Main-Tauber-Kreis verdoppelt“, lässt Sprecher Markus Moll auf Anfrage wissen. „Wir verzeichnen dabei vor allem vermehrt Einbürgerungsanträge von türkischen und russischen Staatsangehörigen“, ergänzt er.
Die Einbürgerungsverfahren dauern derzeit „bis zu 15 Monate“, so Markus Moll weiter. Die Faktoren für die Länge der Bearbeitungsdauer seien „vielschichtig“. So müssten beispielsweise die Unterlagen vollständig vorliegen. Aktuell seien aber „die seit längerem hohen Antragszahlen“ dafür maßgeblich verantwortlich. Die Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörde seien bestrebt, „die Anträge zeitnah abzuarbeiten, was in der aktuellen Lage aber nur eingeschränkt möglich ist“.
Im Neckar-Odenwald-Kreis ist die Bearbeitungszeit mit zwölf Monaten etwas geringer, aber wegen der gestiegenen Fallzahlen länger als zuvor. Wie schon im vergangenen Jahr würden die meisten Anträge von syrischen Staatsangehörigen gestellt, gefolgt von Staatsangehörigen der Türkei, so das Landratsamt.
Einen Annahmestopp für Anträge, wie ihn der Bodenseekreis vor knapp drei Wochen verfügt hat, ziehen die Landratsämter in Tauberbischofsheim und Mosbach allerdings nicht in Betracht. Aktuell warten im Bodenseekreis rund 2000 Menschen auf die Bearbeitung der Unterlagen.
Kein Antragsstopp
Man werde „wie bisher alle Anträge auf Einbürgerung entgegennehmen und bearbeiten“, heißt es dazu aus Mosbach. Ein Antragsstopp sei auch in Tauberbischofsheim nicht geplant, „schon weil das Verfahrensrecht einen solchen nicht vorsieht“, erläutert Markus Moll. Allerdings dürfe der durch das neue Gesetz entstandene, „erhebliche Mehraufwand nicht unterschätzt werden“. Da das Staatsangehörigkeitswesen zu den staatlichen Aufgaben des Landratsamtes gehöre, sei das Land zur Erstattung des mit der Gesetzesnovelle verbundenen Mehraufwands verpflichtet. Die Einbürgerungsbehörden seien im Hinblick auf die personelle Ausstattung der Einbürgerungsbehörden und eine Digitalisierung des Verfahrens „dringend darauf angewiesen, dass das Land seiner Finanzierungsverantwortung in diesem Bereich nachkommt“, so Moll.
Landrat Brötel: Land muss für ausreichend Personal sorgen
In die gleiche Kerbe schlägt Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises: „Bundesgesetze werden von den Ländern ausgeführt. In diesem Fall handeln wir als untere staatliche Behörde“, so Brötel. Insofern müsse auch das Land dafür sorgen, dass man diese Aufgabe mit ausreichendem Personal erfüllen könne. „Es kann nicht sein, dass wir derartige Dinge über kreiskommunale Mittel – in letzter Konsequenz also über die Kreisumlage – bezahlen müssen“, beklagt Brötel.
„Land in der Pflicht“
Auch der Landkreistag Baden-Württemberg sieht die fehlende finanzielle Unterstützung des Landes sehr kritisch: „Seit der Ende Juni wirksam gewordenen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts kann man sich einbürgern lassen, ohne auf seine bisherige Staatsangehörigkeit verzichten zu müssen“, sagt Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski auf Anfrage. Damit sei die Einbürgerung für eine große Gruppe von Personen, die ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichsten Gründen nicht aufgeben wollen, überhaupt erst attraktiv geworden.
Nach Auffassung des Landkreistags „ist das Land in der Pflicht, den Stadt- und Landkreisen den finanziellen Mehraufwand zu erstatten, der ihnen dadurch entsteht, dass sie ihre Einbürgerungsbehörden personell stärken müssen, um die Antragsflut zu bewältigen.“ Schließlich setzten die Stadt- und Landkreise das neue Staatsangehörigkeitsrecht im Auftrag des Landes um. „Insofern gilt: Wer bestellt, bezahlt“, so Alexis von Komorowski. Noch habe sich das Land nicht bewegt. „Die Stadt- und Landkreise warten immer noch auf den dringend notwendigen finanziellen Ausgleich“, berichtet der Hauptgeschäftsführer.
Mit dem Schwesterverband, dem Städtetag Baden-Württemberg, habe man das zuständige Innenministerium ersucht, im fachlichen Austausch mit der kommunalen Familie den Umfang des Mehrbelastungsausgleichs näher zu konkretisieren und zu einer gemeinsamen Zahlenbasis zu gelangen.
Starker Anstieg war prognostiziert
„Valide Echtzahlen“ über die Zunahme der Anträge lägen dem Verband noch nicht vor. Die Bundesregierung habe eine Steigerung von 130 Prozent angenommen. „Diese Prognose halten wir angesichts der Rückmeldungen, die wir erhalten, für sehr belastbar“, so von Komorowski. Auch das Innenministerium des Landes habe die vom Bund angenommene Fahlzahlensteigerung von deutlich mehr als 100 Prozent bislang nicht in Zweifel gezogen.
Insofern könne es nicht verwundern, dass der spürbare Anstieg „ein durchaus landesweites Phänomen ist.“ Zuallererst müsse „jetzt das Land die Stadt- und Landkreise finanziell in die Lage versetzen, die 44 Einbürgerungsbehörden personell so aufzustellen, dass sie die Masse an Anträgen in vertretbarer Zeit abarbeiten können“, fordert Alexis von Komorowski.
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