Flucht aus der Ukraine - Junge Familie in Wertheim angekommen / Auto war vollgetankt / „15 Sekunden nach Putins TV-Ansprache begann das Bombardement“

Die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine sind in Wertheim angekommen

In Wertheim sind bereits die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen. Die FN unterhielten sich mit einer jungen Familie über die Heimat und die Zukunftsaussichten.

Von 
Gerd Weimer
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In Sicherheit: Arkadi und Miroslava Kushnirenko aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw auf dem Wertheimer Marktplatz. © Gerd Weimer

Wertheim. Als Russlands Präsident Wladimir Putin am frühen Morgen des 24. Februar den Überfall auf das Nachbarland in einer TV-Ansprache ankündigte, war Arkadi Kushnirenko schon vorbereitet. Vorausschauend hatte er das Familienauto vollgetankt. „Wenn Putin um 4 Uhr morgens live im Fernsehen spricht, beginnt der Krieg – das war mir klar“, sagt er. Schon einige Tage zuvor habe er die Situation vorausgeahnt. Die Ahnung wurde zur Gewissheit. Also packte packte die Familie das Notwendigste und machte sich sofort auf den Weg. Ziel: die Grenze zu Moldavien. Rund 200 Kilometer Autofahrt entfernt von der Heimatstadt Mykolajiw – gelegen im Küstengebiet des Schwarzen Meeres nahe der Halbinsel Krim. 15 Sekunden nach dem Ende der Rede Putins habe das Bombardement begonnen. Wenig später saß er schon am Steuer seines Kleinbusses.

Am Mittwochnachmittag sitzt er mit seiner Frau Miroslava, dem kleinen Sohn Mark und der Schwiegermutter Luda im Frühstücksraum des Wertheimer Hotels „Am Malerwinkel“. Die Familie ist erschöpft von der Reise, immer noch angespannt. Vier Tage haben sie insgesamt bis Wertheim benötigt. Und sie hatten Glück, denn weil das Auto vollgetankt und alles vorbereitet war, brauchten sie nur drei Stunden, um aus der 500 000-Einwohner-Stadt zu kommen.

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Zuvor habe er noch einen Freund angerufen, ihn aufgefordert, mitzukommen. Er habe abgelehnt, wollte lieber zur Armee. An der Grenze habe man ihn nicht angewiesen zurückzubleiben, denn mittlerweile waren weitere Kinder an Bord. Die Kushnirenkos hatten zwei Frauen mit Kind auf dem Weg nach Moldavien aufgegabelt. Hätten die Grenzer ihn zurückbehalten, auch er wäre geblieben, doch zunächst war die Sicherheit der Familie sein oberstes Ziel.

Von Moldavien ging es nach Rumänien. Hier seien sie von freiwilligen Helfern einer Kirchengemeinde empfangen worden. Bei ihnen konnte die Familie essen, schlafen und duschen. Dann führte die Fahrt über Ungarn und Österreich nach Deutschland. Das eigentliche Ziel war Tuttlingen im Süden Baden-Württembergs. Dort haben sie Bekannte, die ihre Hilfe angeboten hatten. Über Kontakte der Mitreisenden erfuhr die Familie aber vom Angebot des Hoteliers Hardy Kutschans (siehe nebenstehenden Bericht), der Zimmer seines Hotels zur Verfügung stellt.

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Ob sie je wieder in die Heimat zurückkehren können? Das bleibt ungewiss. Miroslava Kushnirenko schwärmt von dem Widerstandsgeist ihrer Landsleute. Junge und alte Menschen hätten sich zusammengeschlossen, um dem russischen Aggressor zu widerstehen. Die Heimatstadt Mykolajiw sei bereits von russischen Truppen umzingelt gewesen. Ukrainische Verteidigungskräfte hätten sie wieder befreit.

Es schimmert Hoffnung durch, doch ein Blick auf die militärische Lage am Mittwochabend lässt erahnen, dass die russische Übermacht sich – zwar langsamer als erwartet – durchsetzt. „Wenn alle zusammenstehen und sich wehren, wird die Ukraine noch stärker“, hofft die junge Frau trotzdem.

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Doch eigentlich ist den Kushnirenkos klar, dass eine Rückkehr in die Heimat zumindest in naher Zukunft nicht möglich sein wird. Miroslava und Arkadi sind nicht zum ersten Mal in Westeuropa, haben schon eine Reise nach Spanien und Portugal unternommen. Er sei ein offener Mensch, sagt der junge Familienvater.

„Wenn ich eine minimale Unterstützung bekomme und die Möglichkeit habe, meine Familie zu ernähren, kann ich mir vorstellen, ein neues Leben zu beginnen“, sagt er.

In der Heimat hat er als Bartender gearbeitet, später eine E-Commerce -Plattform für türkische Produkte aufgebaut. Die Waren habe er natürlich zurücklassen müssen. Seine Frau Miroslava kommt ebenfalls aus der Gastronomie. Hier haben sie sich auch kennengelernt.

Auf die Frage, was er von Russlands Präsident halte, antwortet er nur: „Alles mögliche Schlechte, was man sagen kann.“ Er spricht es aber nicht aus und ergänzt: „Er ist ein imperialistischer Fanatiker.“ Eine erstaunlich milde Einschätzung angesichts der Kriegsverbrechen, die der Moskauer Herrscher in diesen Tagen begeht.

Redaktion Reporter Wertheim

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