Badische Landesbühne

BLB-Auffführung in Wertheim: Wenn die Zeit nicht alle Wunden heilt

Von 
Nadine Schmid
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Sie spielfreudigen, ausdrucksstarken Schauspieler, die Kulissen und Kostüme der Badischen Landesbühne machten deren Aufführung des Familien-Dramas „Das Ende des Regens“ in Wertheim zu einem Gesamtkunstwerk. © Manuel Wagner

Wertheim. „Viel Spaß beim Binge-Watchen“ („Serienmarathon“) meinte Andre Becker, Dramaturg an der Badischen Landesbühne, am Ende seiner Einführung in die sich anschließende Aufführung der Badischen Landesbühne am Dienstagabend in der Aula Alte Steige in Wertheim.

Damit spielte er darauf an, dass im australischen Theaterstück „Das Ende des Regens“ von Andrew Bowell in der Übersetzung von Maria Harpner und Anatol Preissler Stilmittel moderner Fernsehproduktionen auf einen durchdachten – wenn auch zunächst für den Zuschauer verworrenen – Theater-Plot stoßen. In zwei Stunden entfaltete sich – während es im Hintergrund stetig regnet – ein Familien-Drama, das über vier Generationen von 1956 bis 2039 auf zwei Kontinenten zeigt, wie menschliche Schwäche, Verlassenwerden und Schweigen über Familiengeheimnisse Menschen zerstören können.

Es waren nicht nur die spielfreudigen, ausdrucksstarken Schauspieler, die den zweistündigen Theaterabend zu einem Erlebnis machten. Es war ein Gesamtkunstwerk. Tontechniker Matthias Burger sorgte dafür, dass aus vier Lautsprechern passende Untermalung mit Regen, aber auch Geräuschen und Musik aus dem aktuell auf der Bühne dargebotenen Jahrzehnt erklangen. Die Video-Projektionen von Tilo Schwarz gaben nicht nur Orientierung über Ort und Zeit, sondern schafften mit großformatigen Bildern, etwa vom australischen Uluru, auch passende Atmosphäre.

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Als Bühnenbild hatte er dafür eine weiße und eine Glaswand gewählt. Die weiße Wand war in „gebrochenem Weiß“ gestrichen, wie die Figuren immer wieder betonten. „Reines Weiß ist so steril“. Auch andere Motive zogen sich durch Raum und Zeit, etwa die zum Essen angebotene Fischsuppe oder das Sprichwort, dass man trotz Regen dankbar sein müsse, weil in Bangladesch die Menschen ertrinken.

Ines Unser trug mit fantasievollen Kostümen zur Gesamtperformance bei. Da war der biedere Kleidungsstil der frühen 60er, die „Modesünden der 80er“, wie Becker es ausdrückte, und ein futuristischer Anzug, der den möglichen Kleidungsstil im Jahr 2039 verkörperte. Inszeniert wurde das Ganze vom neuen Intendanten Wolf E. Rahlfs, der das 2008 in Australien uraufgeführte Stück schon seit seiner Zeit am Theater in Stendal in der Tasche hatte.

Es beginnt und endet im Jahr 2039, in dem ein Vater (Stefan Holm) seinen Sohn erwartet, den er seit dessen siebten Geburtstag nicht mehr gesehen hat.

Das von seinem Vater verlassene Kind – das Grunddrama des ganzen Stücks: Los geht es mit dem Vater Henry Law (Lukas Maria Redemann), der aufgrund pädophiler Neigungen von seiner Frau Elizabeth (Alice Katharina Schmidt) von London aus ans andere Ende der Welt nach Australien verbannt wird, um dem Sohn Gabriel nicht zu nahe zu kommen. Die Mutter wird darüber zur Trinkerin und ist als ihr älteres Ich im Jahr 1988 (Evelyn Nagel) komplett abhängig von der Flasche und ihrem Sohn (Thilo Langer) entfremdet. Dieser beschließt, in Australien den Spuren seines Vaters zu folgen, und trifft dort auf Gabrielle York (Madeline Hartig), die durch einen Schicksalsschlag ihre ganze Familie verloren hat. Dass dies die beiden Familien auf unglückselige Weise verbindet, wird erst gegen Ende des Stücks vollständig klar. Auch Gabrielle taucht in einer älteren Version im Jahr 2013 (Cornelia Heilmann) erneut auf, als gebrochene Frau, die zunehmend an Demenz leidet.

„Es ist ungewöhnlich, dass man mehr Schauspieler als Rollen hat, normal ist es immer umgekehrt, dass doppelt besetzt wird“, schmunzelte Becker. Dies ist der Komplexität des Stücks geschuldet. Durch die gleiche Kostümierung von junger und alter Figur konnte der Zuschauer dies gut nachvollziehen.

Gabriel und Gabrielle verlieben sich trotz Bindungsängsten. Doch ein Verkehrsunfall zerstört das Glück. Als einzige Figur, die aus keiner der beiden Familien stammt, tritt Joe Ryan (Frank Siebers) auf, der nach Gabriels Tod gutmütig Gabrielle heiratet und ihrem gemeinsamen Kind mit Gabriel – einem neuen Gabriel – Liebe gibt, was die Mutter nach all ihren Verlusten nicht mehr kann. Doch dieser jüngere Gabriel schafft es später ebenfalls nicht, für sein Kind da zu sein. Am Ende stoppt der Regen, in dem Moment, in dem Andrew Price (Martin Behlert), die vierte Generation, im Jahr 2039 seinen Vater aufsucht und die beiden beginnen, über die schwierige Vergangenheit zu reden – vielleicht ein Neuanfang.

Das Gesamtstück ist bedrückend und mahnt, nicht an Schweigen und Sprachlosigkeit innerhalb der Familie zu zerbrechen. Dennoch gelingt es Bovell immer wieder, heitere Momente einzubauen, was das Ensemble gekonnt ausspielt. Etwa wenn zum fünften Mal in immer anderem Setting festgestellt wird, dass Fisch gut fürs Gehirn ist, oder dass die ganze Wohnung geputzt wurde, sogar mit Zahnbürste für die Fugen, und hinterher genauso aussah wie vorher.

Betroffenheit, Nachdenken, ein nicht ganz einfach zusammenzuführender, spannender Plot und zwischendurch immer wieder Gelegenheit zum herzhaften Lachen – was will man von einem gelungenen Theaterabend mehr erwarten?

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