Betreutes Wohnen - Diakonisches Werk bietet sechs Plätze ohne Rundum-Betreuung für Jugendliche, die bereits Eigenständigkeit und Verlässlichkeit bewiesen haben

Alltag in Deutschland fast allein meistern

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Heike von Brandenstein
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Mit der Eröffnung der Vabo-Klassen am Beruflichen Schulzentrum können die im betreuten Wohnen des Diakonischen Werks lebenden jungen Männer endlich zur Schule gehen. Die Zuckertüte gab's zum Einstand von den Betreuern.

© Diakonisches Werk

Sechs unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren leben seit Mitte März in Wertheim und proben die Selbstständigkeit. Betreut werden sie vom Diakonischen Werk.

Wertheim. "Jeder Träger hat geschaut, was er tun kann, als es um die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ging", beschreibt Wolfgang Pempe, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Main-Tauber-Kreis, die Situation zum Jahresbeginn. Jugendliche, die ohne Familie nach Deutschland kommen, dürfen nicht einfach in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden, sondern werden im Rahmen der Jugendhilfe versorgt. So schreibt es das Gesetz vor.

Viele Jugendliche unter 18 Jahre kamen auch in den Main-Tauber-Kreis und wurden vom Träger mit dem einzigen stationären Angebot im Kreis - der Jugendhilfe Creglingen - aufgenommen. In einer "ausgezeichneten Zusammenarbeit"zwischen der Jugendhilfe Creglingen, die in Wertheim eine Wohngruppe für junge Flüchtlinge bietet, dem Diakonischen Werk und dem Jugendamt sei eine Lösung für diejenigen gefunden worden, die den Weg in die Eigenständigkeit erproben wollen.

Das Diakonische Werk baute eine Wohnung komplett um und richtete sie für sechs Jugendliche her. In enger Kooperation mit der Jugendhilfe Creglingen können nun seit Mitte März die 16 bis 18-Jährigen von der Wohngruppe in das "Betreute Wohnen für junge Flüchtlinge" umziehen. Den Unterschied macht die Betreuungsintensität: Sind in der Wohngruppe 24 Stunden lang Fachkräfte vor Ort, steht der Sozialpädagoge im betreuten Wohnen lediglich tagsüber zur Verfügung. "Ein Mindestmaß an Eigenständigkeit, Selbstverantwortung, psychischer Stabilität und Verlässlichkeit müssen die Jugendlichen mitbringen", erläutert Sylvia Gravius, Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe beim Diakonischen Werk, die Voraussetzungen.

In den meisten Fällen klappt das auch sehr gut. Lediglich zwei junge Männer mussten bislang wieder ausziehen. Um das zu vermeiden, wurde mittlerweile ein Bewerbungsverfahren entwickelt. Wer ins betreute Wohnen will, muss zuvor eine schriftliche Bewerbung abgeben und ein Gespräch führen.

"Aktuell leben bei uns fünf junge Afghanen", erläutert der betreuende Sozialpädagoge Mathias Schulz. Damit ist erstmals eine homogene, gleichsprachige Gruppe beisammen. Die jungen Leute kaufen ein, kochen, waschen, putzen. Eine Zeit lang sei die Mülltrennung großes Thema gewesen und habe immer mal wieder zu Diskussionen mit dem Hausmeister geführt, so Schulz. Doch auch diese Hürde sei genommen worden.

Plätze bei den vom Verein "Willkommen in Wertheim" organisierten Sprachkursen hatten alle Bewohner von Anfang an. Seit September haben sie einen Schulplatz, denn seither gibt es auch in Wertheim zwei sogenannte Vabo-Klassen (Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse). Für Sylvia Gravius ist das ein wichtiger Schritt. "Ich kann erst an der Integration arbeiten, wenn beschult wird", sagt sie.

Ein paar der "Jungs", wie Schulz seine Schützlinge nennt, spielen beim FC Eichel Fußball, einer hat sich der Volleyballgruppe in Reicholzheim angeschlossen, andere haben sich für eine Hip-Hop-Tanzgruppe entschieden. Um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, wurde ein intensives Fahrradtraining absolviert, das mit einer Prüfung endete. "Die Rechts-vor-Links-Regel kannten sie zuvor nicht", so seine Erfahrung.

"Wir stellen die Weichen für die Zeit danach", lautet das Motto der Verantwortlichen beim Diakonischen Werk. Denn sie wissen, dass jede Hilfemaßnahme einmal endet. Fit werden für das Leben in Deutschland heißt das Ziel für die Jugendlichen deshalb. Während ihrer Flucht haben sie viel durchgemacht, allein oder in kleinen Gruppen tausende von Kilometern zurückgelegt. Jetzt bauen sie auf eine bessere Zukunft.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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