Wenkheim. Tabubrüche finden nicht nur in Kulturmetropolen statt. Auch Provinz kann provozieren, zum Beispiel in Wenkheim. Dort stellt der christliche Künstler Björn Hausschild seit Sonntag seine Werke in der alten Synagoge aus. Der Gedenkstättenverein „die schul“ veranstaltet die Ausstellung „Phönix – Bilder der Wandlung“ gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Odenwald-Tauber (EEB).
Björn Hausschild wurde 1959 bei Recklinghausen geboren, studierte an der Hochschule der Künste in Berlin und lebt seit 1992 in Eisingen bei Würzburg. Er arbeitet auf Holz oder Leinwand und sucht sich sein Material in Speichern und Baumärkten. Die Werkstoffe wirken oft vertraut, die Darstellungen mitunter verstörend ätherisch. Der Maler berichtet vom Entstehen seiner Werke: „Die Oberflächenbearbeitung geschieht durch Einkleben und Schrauben von Stoff, Papier, Holzstückchen, Farbpaletten und Bröckchen, einer Art Recyclingprodukt aus getrockneter Farbmasse, die während des Malens aufgefangen wird“. Danach lege er das Bild in eine Malwanne und gieße Öl- und Temperafarben darüber. Mit Pinsel, Spachtel und Fingern steuere er anschließend Farbverläufe und komponiere tagelang an der emotionalen Botschaft des Werks. Jedes Bild trägt als Titel einen Bibelvers. Hausschild erklärt: „Das mache ich schon immer so. Ich lese täglich in der Bibel. Meist mache ich ein Bild nach einer Bibelstelle, manchmal gebe ich dem Bild den Titel auch erst im Nachhinein.“
Jeder Bibelvers ein Bildtitel
Biblisch inspiriert gestaltete der Künstler im Mai 1990 zehn Bilder zu Themen der Bibel für den Deutschen Katholikentages. Bald darauf schuf er 1993 ein Altarbild für das bischöfliche Ordinariat in Würzburg. Weitere Werke folgten, unter anderem für Kirchen in Karlstadt und Schweinfurt. Die Phönix-Ausstellung war zuletzt in der „Kulturkirche Schüpfer Grund“ in Boxberg zu sehen.
Mit mehr Besuchern gerechnet
Am Wochenende wanderte die Ausstellung nach Wenkheim. Werner Bartholme vom Verein „die schul“ begrüßte die etwa 30 Interessierten: „Als wir das hier im Winter geplant haben, hatten wir natürlich mit mehr Besucherinnen und Besuchern gerechnet, aber offenbar nicht damit, dass gleichzeitig so herrliches Sommerwetter ist.“
Mit Sonnenschein hat auch die Ausstellung zu tun: Der antike Geschichtsschreiber Herodot erzählt von dem Vogel Phönix, der am Ende seines Lebens verbrennt und aus seiner Asche wieder aufersteht. Dieser Mythos gehört zu den Sonnenkulten und deutet die Wiederkehr des Tages nach der Nacht. In christlichen Darstellungen wird das Phönix-Motiv als Symbol für den vom Tod auferstandenen Jesus von Nazareth gedeutet. In der Wenkheimer Synagoge zeigte sich ein Besucher deutlich irritiert: „Eine so eindeutig christliche Symbolik passt nicht zu diesem Raum“. Ein anderer sah dies gelassener: „Jesus verbrachte doch sein halbes Leben in Synagogen. Ich finde es spannend, wenn gerade ein evangelikaler Künstler hier ausstellt“.
Über dieses Spannungsverhältnis sprach Pfarrer Dr. Heiner Kücherer bei der Ausstellungseröffnung. Der Leiter der EEB erinnerte daran, dass Bildkritik durch das biblische Bilderverbot von vornherein Teil der jüdischen Tradition sei. Kücherer räumte ein: „Kunst gestaltet traumatische Spuren. Aber es ist schwer, in einer Synagoge darüber zu reden, wie aus der Asche die Wandlung in eine neue Gestalt möglich wird.“. Als Klassiker der künstlerischen Traumagestaltung mag der Jude Paul Celan gelten. Der deutsch-rumänische Lyriker schrieb 1945 das Gedicht „Todesfuge“. Das bedrückende Motiv der Asche steht darin keineswegs für Neubeginn, sondern für das Ende des europäischen Judentums in den Krematorien der Vernichtungslager. Schwer vorstellbar, dass die Symbolik der Asche heute unproblematisch positiv aufgeladen werden kann.
Neue Chancen
Kücherer allerdings gelang es, ganz andere kulturgeschichtliche Brücken zwischen Judentum und dem Ausstellungsthema zu bauen. Er suchte nach dem Vogel Phönix in der Bibel und fand schließlich in Psalm 139 Engel, also andere geflügelte Wesen. Von dort flog er in einem weiten Bogen zum Berliner Philosophen Walter Benjamin. Kurz vor seinem Freitod im Exil auf der Flucht vor den Nationalsozialisten hatte sich der säkularisierte Jude ebenfalls mit Vergangenheit und Neubeginn beschäftigt. Kücherer erinnerte daran: „Als Benjamin vom ‚Engel der Geschichte’ schrieb, hatte er ein Bild von Paul Klee vor Augen. Dieser Engel fliegt rückwärts in die Zukunft und blickt dabei in die Trümmerhaufen der Vergangenheit. Was den Engel antreibt, ist ein Sturm aus dem Paradies. In die Zukunft kann der Engel der Geschichte nicht blicken“. Mit dem fliegenden Phönix oder einem auferstandenen Messias sei nichts erledigt: „Die Zukunft ist und bleibt offen. Das einzugestehen ist jüdisches Erbe. Die Frage gilt den Opfern der Geschichte. Wo wird Leid verwandelt in Hoffnung?“
Den Opfern der Geschichte verliehen Julius Knauff und Raul Pankeyev als Violinduo mit jiddischen Liedern auf der Vernissage musikalisch virtuos eine Stimme. Doch weder osteuropäische Klezmer-Musik noch deutsche evangelikale Kunst sind in einer früheren fränkischen Synagoge selbstverständlich. Sie sind verstörende Fremdkörper. Solche Irritationen und Spannungen sind es letztlich, von denen „die schul“ als Gedenkstätte und Kulturzentrum zehrt.
Der Verein „die schul“ bekennt sich klar dazu: „Demokratie braucht Dialog und Kontroverse, nicht Einheitsmeinung“.
Es ist offen, in welche Zukunft der Phönix aus der Asche empor steigt. Paul Klees Bild befindet sich seit 1989 im Israel-Museum in Jerusalem. Björn Hausschilds Phönix-Zyklus hängt bis zum 25. Juni in der Wenkheimer Synagoge.
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