Wenkheim/Main-Tauber-Kreis. „Heute haben wir Glück mit dem Wetter, aber gestern sind wir mehrfach in den Regen gekommen“, sagt Ruth Tome. Sie ist Mitglied im Verein für Obstbau, Garten und Landschaft Wenkheim. Seit Montagmorgen ist sie Teil eines Teams, das sämtliche Apfelbäume auf den Streuobstwiesen rund um Wenkheim erfasst, bewertet und kartiert.
Leiter des Projekts ist Tobias Hornung. Er ist Fachwart für Obst und Gartenbau im Verein. Mit dabei sind auch der Vereinsvorsitzende Klaus Bauer und Mitglied Wendelin Bopp.
Pomologe im Einsatz
Um die rund 1000 Apfelbäume auf den Streuobstwiesen kartieren zu können, hat sich der Wenkheimer Verein Hilfe geholt. Werner Nussbaum ist Pomologe – also jemand, der sich mit Apfelsorten richtig gut auskennt, was keine ganz einfache Aufgabe ist. Immerhin gibt es in Deutschland 2500 namentlich bekannte Apfelsorten. „Dazu kommt die Dunkelziffer von 1500 Zufallssämlingen“, weiß Nussbaum. Der Fachmann ist teilweise in ganz Europa unterwegs. Er kann als Pomologe mindestens 350 Apfelsorten bestimmen. Die römische Göttin der Gartenfrüchte Pomona stand Pate für den Namen. Seit 2006 hat er über 30 000 Bäume erfasst.
Zum ersten Mal findet im Main-Tauber-Kreis eine Kartierung dieser Art statt. „Wir erfassen exakt die Streuobstbestände auf der Gemarkung Wenkheim, inklusive der Sortenbestimmung und dem Zustand der Bäume“, erklärt Nussbaum. Gleich mehrere Faktoren sprechen in seinen Augen für den Erhalt dieses Kulturguts. So sind die Äpfel nicht nur ein wichtiger Rohstoff für die Fruchtsaftgewinnung, sondern die Wiesen dienen als Naherholungsgebiet. Für Projektleiter Tobias Hornung spielen die Streuobstwiesen eine wichtige Rolle in Sachen Biodiversität und Naturschutz. In den Wiesen würde man durchaus Waldohreulen, Wendehälse und Spechte antreffen, die somit zur Artenvielfalt beitragen, ergänzt Bauer. Etwa 5000 Tier- und Pflanzenarten seien auf einer Streuobstwiese zu finden, meint Nussbaum.
Waren früher die Streuobstwiesen für die eigene Versorgung lebenswichtig und oft wie ein Gürtel um die Dörfer angelegt, so hat sich deren Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr verändert. „Früher hat jede Familie Saft eingekocht, Äpfel verarbeitet und mit dem Pressgut die Tiere gefüttert“, erinnert Ruth Tome. „Heute ist das Streuobst leider bei vielen uninteressant geworden. Das meiste Obst auf den Wiesen wird kaum verwertet, sondern geht einfach kaputt“, bemängelt Bauer. Wendelin Bopp spricht gar von Vernichtung im Zuge der Urbanisierung.
Initiiert hat diese Kartierung der Wenkheimer Verein für Obstbau, Garten und Landschaft. „Wir wollen den Sortenreichtum dokumentieren, vor allem aber erfassen, was überhaupt noch da ist, und welche aussterbende Apfelsorte vielleicht gerettet werden kann“, erklärt der Vereinsvorsitzende Klaus Bauer den Hintergrund der Aktion.
Wollen Aufsehen erregen
„Wir möchten mit diesem Pilotprojekt im Kreis Aufsehen erregen, damit andere Gemeinden nachziehen und Kommunen über eine finanzielle Beteiligung nachdenken“, wünscht sich Tobias Hornung und holt mit Hilfe eines Obstpflückers an einem Teleskopstiel vom nächsten Baum einen Apfel. Den gibt er dann Werner Nussbaum in die Hand, während alle anderen mit Stift und Block bereitstehen. Werner Nussbaum ist sehr gründlich. Er betrachtet Schale, bestimmt die Farbe, schaut sich Stiel und Kelch sehr genau an, bevor er den Apfel mittendurch schneidet. Dann werden die Kerne und der Aufbau des Kerngehäuses begutachtet: Haben die Wände kleine Risse? welche Farbe haben die Kerne? Es gibt so viele Kriterien, an denen Nussbaum die Sorte bestimmen kann. Erst wenn er sich ganz sicher ist, wird die Sorte in die Unterlagen eingetragen.
Doch es wird noch weit mehr gemacht, als nur die Apfelsorte bestimmt. Auch der Baum an sich wird bewertet. „Wir bestimmen das Alter des Baums. Der Durchmesser in Brusthöhe wird erfasst, die Vitalität wird festgehalten und Besonderheiten notiert, beispielsweise ob er von Baumpilzen befallen ist oder Nisthöhlen vorhanden sind“, erklärt Tobias Hornung. Bis zu diesem Mittag hat die kleine Gruppe von den rund 1000 Bäumen auf den Streuobstwiesen rund um Wenkheim schon 480 erfasst und bestimmt. „Wir gehen davon aus, dass wir etwa einhundert verschiedene Apfelsorten auf der Gemarkung finden werden“, sagt Bauer.
Einige Besonderheiten gefunden
Natürlich ist man im Lauf der Kartierung auf einige Besonderheiten gestoßen. Der Herbstapfel „Signe Tillisch“ ist so ein Fall. Die alte Sorte entstand 1860 aus einem Sämling auf einem Grundstück des Hardesvogts Tillisch in Bjerre. Er benannte die Sorte nach seiner Tochter Signe. Und wie zu erfahren ist, handelt es sich dabei um eine inzwischen sehr selten gewordene Sorte, die jedoch ein sehr guter Tafel- und Wirtschaftsapfel sei. Drei Bäume davon stehen auf Wenkheimer Gemarkung – weiß man dank der Kartierung nun.
„In 20 Jahren wird ein Großteil von diesen Altbeständen nicht mehr da sein“, sagt Nussbaum. Mit einer verstärkten Nachpflanzung könne man jedoch noch gegensteuern. „Wir können nach der Kartierung sofort sagen, welcher Baum unbedingt Pflege benötigt. Diesen Rat geben wir dann an die Grundstücksbesitzer weiter und bieten schon mal unsere Hilfe an“, so Hornung. „Im Rhein-Main-Gebiet hat man aus einer Kartierung heraus ein Pflegekonzept erstellt und eine Firma mit den entsprechenden Aufgaben betraut“, erzählt Werner Nussbaum. Für die Kosten in diesem Fall kam die öffentliche Hand auf. In Wenkheim ist das anders. Für die Erfassung, Kartierung und digitale Aufarbeitung aller Daten kommt der Verein auf, der voraussichtlich einen vierstelligen Betrag zahlen muss – ganz ohne finanzielle Beteiligung der Kommune.
Bestand an Streuobstbäumen nimmt deutlich ab
Ab dem 15. Jahrhundert begannen die Bewohner, rund um ihren Ort Obstbäume verstreut zu pflanzen.
Die größte Streuobstlandschaft in Mitteleuropa befindet sich in Baden-Württemberg, zwischen Odenwald und Bodensee.
Je nach Art der Berechnung liegt die aktuelle Streuobstfläche in Baden-Württemberg laut BUND geschätzt zwischen 89 000 und 111 000 Hektar.
Wie der BUND mitteilt, sind knapp die Hälfte der Streuobstbäume Apfelbäume, gefolgt von Kirschen mit 25 Prozent. Zwetschge, Birne, Walnuss und andere Obstarten machen 25 Prozent aus. In Deutschland sind rund 3000 Obstsorten bekannt, davon wurden in Baden-Württemberg 700 Sorten gezählt.
Eine landesweite Erhebung durch die Universität Hohenheim im Jahr 2009 zeigte bereits eine deutliche Verringerung der Streuobst-Baumbestände seit 1990 von rund 11,4 Mio. auf rund 8,6 Mio. Bäume (nach modernem Verfahren). Der im Jahr 2020 ermittelte Baumbestand liegt bei 7,1 Millionen und verzeichnet einen Rückgang um 17 Prozent.
In der Erhebung 2020 (die sich auf die Jahre 2012 bis 2015 bezieht) wurden für den Main-Tauber-Kreis 133 700 Streuobstbäume registriert. Bezogen auf die Fläche des Landkreises von 130 400 Hektar ergibt sich daraus eine Dichte von 1,03 Bäumen pro Hektar. Die höchste Dichte wies Heilbronn (Stadt) mit 18,4 Bäumen pro Hektar auf, gefolgt von Karlsruhe (Stadt) mit 11,04. Die geringste Dichte wurde für Heilbronn (Land) mit 0,14 Bäumen pro Hektar registriert. hei
„Wenn man nicht weiß, wie viele Bäume man hat, kann man auch nicht feststellen, wie viele in den nächsten Jahren wegfallen werden. Jetzt können wir feststellen, dass vielleicht von den 1000 Bäumen in 20 Jahren 200 tot sind. Dadurch wissen wir, was wir nachpflanzen sollten und vor allem auch welche Sorten“, erklärt Tobias Hornung noch einmal die Beweggründe.
Der Fachwart hatte sich bereits vor Monaten große Karten vom Gelände ausdrucken lassen, vor Ort verglichen und alle Bäume nummeriert. Die große Frage war jedoch, ob es nach dem Frost im Frühjahr überhaupt Äpfel gibt und die Kartierung stattfinden könne. Im Juni stand fest, das Pilotprojekt im Kreis kann starten. „Wir haben Bäume kartiert, die haben nur einen einzigen Apfel getragen“, sagt Klaus Bauer. Anhand dieses einen Exemplars konnte Nussbaum die Sorte bestimmen.
„Bopps Bester“?
Schöner Nebeneffekt: Im Hof von Wendelin Bopp ist das Team auf einen Zufallssämling gestoßen – eine noch unbekannte Sorte. Wie Nussbaum sagt, ein sehr schmackhafter, sehr schöner Apfel und der Baum sei gesund. Doch die Sorte hat noch keinen Namen. „Bopps Bester“, „Der rote Wendelin“, oder „Der schöne Wenkheimer“ sind nur ein paar der Vorschläge, die Bauer und Tome lachend unterbreiten. Doch bevor sich Wendelin Bopp entscheidet, muss er seinen Apfel im Bundessortenamt anmelden, Im Zweifelsfall wird dann sogar ein genetischer Fingerprint erstellt, bis „Bopps Bester“ eine offiziell neue Sorte ist.
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