Ukrainehilfe

Weikersheim: Die Not ist groß, aber der Krieg schweißt zusammen

Bomben auf die ganze Infrastruktur. Das bedeutet für die Menschen in der Ukraine: Leben im Winter ohne Strom, Wasser und Heizung. Die „Ukrainehilfe“ startet deshalb ihren fünften Transport mit Gütern ins Land.

Von 
Michael Weber-Schwarz
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Händedruck im Krankenhaus: Hans-Albrecht Müller erlebt bei seinen Reisen in die Ukraine das Leid der Bevölkerung hautnah mit. © Archiv Müller

Weikersheim/Main-Tauber-Kreis. Drei engagierte Familien rund um Weikersheim, Unterstützer aus dem ganzen Landkreis Main-Tauber. Hilfe, die vor Ort ankommt und Menschen, die für den Transport der gespendeten Güter auch geradestehen. Hans-Albrecht Müller aus dem Weikersheimer Ortsteil Neubronn ist einer von ihnen. Er hat familiäre Kontakte in die Ukraine – seine Frau stammt von dort.

In der Ukraine herrscht mehr Leid und Zerstörung, als es noch im Sommer der Fall war“
Hans-Albrecht Müller

Im November war Müller zuletzt im Kriegsland – was er berichtet, das ist authentisch und bedrückend. „Ich wollte mit eigenen Augen sehen, was gebraucht wird“, sagt Müller. Die Ukrainer: „Zwischen leiser Panik und totaler Selbstbeherrschung“ – die Not ist teilweise groß, aber „der Krieg schweißt auch zusammen.“ Durchhalten: Man wundere sich, wie sich die Menschen unter schwierigsten Bedingungen durchbeißen. Doch vielfach „sind die Reserven aufgebraucht.“

Wenn es Strom gibt – Schulunterricht per Handy im halbwegs sicheren Keller: Alltag für ukrainische Schülerinnen und Schülern. © Müller

Schon kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine war den Weikersheimer Familien Hein, Haas und Müller klar, dass durch die Kämpfe vor allem die Zivilbevölkerung leiden wird. Der Raketenterror richtet sich gegen die ganz normalen Menschen – um die Moral der Ukrainer zu brechen.

Die Weikersheimer Tauberhöhe wurde zum Anlieferungs- und Umschlagpunkt für viele örtliche Hilfsinitiativen im ganzen Main-Tauber-Kreis. Elpersheims Ortsvorsteher Haas betreibt dort ein Forstdienstleistungsunternehmen – und setzt seine Laster für die Transporte ein.

Plünderungen im großen Stil

Durch vielfältige Kontakte der drei Initiatoren zu Unternehmen und in die Landwirtschaft kamen zahlreiche Großspenden zu den privaten hinzu: Nahrungsmittel, Bekleidung, Schlafsäcke, Medizinprodukte und Verbandsmaterial. Vier Lkw-Transporte fanden von Weikersheim aus bereits ihre Ziele in der Ukraine. Und weil man dort ebenfalls gute Kontakte hat, funktioniert auch die Verteilung an Hilfsbedürftige, an Kinderheime und Krankenhäuser.

Die hässliche Fratze des Krieges: Ein junger Versehrter in einer Klinik. © Müller

Die konkreten Orte, es gibt sie, aber sie werden ebenso geheim gehalten, wie die genauen Transportrouten. Dass die russischer Seite sämtliche kriegswichtigen Details ausspionieren will und westliche Transporte auch attackieren würde, das ist klar. Mit den Hilfstransporten ist immer auch ein persönliches Risiko verbunden.

Unter dem Damoklesschwert

Im Osten der Ukraine, erklärt Hans-Albrecht Müller, sei die Versorgung der Bevölkerung komplett zusammengebrochen. Städte und Dörfer sind teilweise entvölkert. Sein Schwager machte sich ein Bild in Cherson. Die Seehafenstadt war wegen der schweren Gefechte zu Beginn des russischen Überfalls immer wieder in den Medien; Anfang November zogen die Besatzer wieder ab. „Komplette Bäckereien, Hotelausstattungen und medizinische Geräte aus Krankenhäusern, Schlepper und Landmaschinen“ hätten die Russen mitgenommen. Die Täter kamen wohl kaum aus der Armee selbst, sondern sie sind organisierte Geschäftemacher und „Freibeuter“, die mit Rückendeckung der Armee alles plündern, was nicht niet- und nagelfest ist.

Vielfältige Kontakte vor Ort: Hans-Albrecht Müller (Dritter von rechts) bei der Übergabe von warmen Jacken an ukrainische Militärvertreter. © Müller

In der Ostukraine ist also vieles zerstört – die Westukraine muss für den Landesteil mitproduzieren, mittlerweile unter schwierigsten Bedingungen. In der Landwirtschaft fehlt Strom, etwa für die Tierhaltung. Kraftstoff-Aggregate, sie sind aktuell europaweit kaum mehr zu bekommen. Doch die Versorgung mit Nahrungsmitteln, sie muss laufen. Deshalb wurden im Westen sogenannte Reserveflächen mittlerweile freigegeben, damit dort Feldfrüchte und Getreide angebaut werden können. Doch auch dort leben die Zivilisten unter dem Damoklesschwert: Wo abgefeuerte russische Raketen und Drohnen einschlagen, das weiß niemand genau – bis sie explodieren. Der Terror kann alle treffen. Kinder und Schüler müssen unter den furchtbaren Bedingungen lernen. Unterricht online oder übers Mobiltelefon mit Übertragung in den Luftschutzkeller. Kleinere Kinder, berichtet Müller, werden von den Eltern oft an die Arbeitsstätte mitgenommen. Kindergärten mit Luftschutzbunkern – es gibt sie wohl nur vereinzelt in großen Städten wie Kiew. Die Situation der jüngsten Ukrainer an sich: furchtbar. „Was macht der Krieg aus den Kindern?“, fragt sich Hans-Albrecht Müller.

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Die aktuelle Lage: „In der Ukraine herrscht mehr Leid und Zerstörung, als es noch im Sommer der Fall war“, so Müller. „Wir können kaum erahnen, was die Menschen dort ohne Heizung, Strom und Wasser durchleben – unter ständigem Raketenbeschuss.“

Die Weikersheimer planen deshalb am 17. Dezember einen weiteren Hilfstransport und bitten um Sach- und Geldspenden. Sachspenden können am 10. Dezember bei Forstdienst Haas, Tauberhöhe 32, Weikersheim, abgegeben werden. Benötigt werden haltbare Lebensmittel, Winterkleidung und -schuhe, Decken, Bettwäsche, Isomatten und Schlafsäcke. Schmerzmittel, Fiebersenker und Verbandsmaterial werden an Ärzte einer Klinik in Kiew übergeben. Hygieneartikel und Babynahrung werden ebenfalls benötigt.

Kinderheim ohne Wärme: Immer wieder fällt die Heizung aus; die Kleinsten müssen dick eingemummt schlafen. © Müller Hans-Albrecht

In der Ukraine selbst werden alle Hilfsgüter nach dem Eintreffen registriert und überwacht, sagt Müller. Damit sei ein gewisser Bürokratismus verbunden, doch so könne man sicher sein, dass alles auch dort ankomme, wo es benötigt werde.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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