Main-Tauber-Kreis. Sie haben Mut bewiesen, mitgedacht, Menschen angesprochen und nicht weggeschaut: Ein Dutzend Menschen aus dem Main-Tauber-Kreis haben anderen, die bedroht oder schlichtweg überrumpelt wurden, zur Seite gestanden.
Klein und fein war die Veranstaltung im Sitzungssaal des Landratsamts am Dienstag. Das Holzbläserquintett des Landespolizeiorchesters Baden-Württemberg unter der Leitung von Truong-Giang Nguyen sorgte für den allerbesten Ton und einen festlichen Rahmen, die zu Ehrenden wurden mit ihrem „Fall“, in dem sie Hilfe geleistet haben, gewürdigt, ohne ausschweifend zu werden.
Es ist der Förderverein Aktionskreis Sucht- und Gewaltprävention, Sicherheit und Gesundheitsförderung im Main-Tauber-Kreis – kurz Förderverein AkS – der die Zivilcouragepreise seit 2016 verleiht und in diesem Jahr die 100er-Marke reißt.
Zivilcourage leider nicht selbstverständlich
Landrat Christoph Schauder, Vorsitzender des Fördervereins, betonte, dass es nicht etwa darum gehe, den spektakulärsten Fall in den Mittelpunkt zu rücken, sondern vielmehr um die spontane Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit, die das Handeln auszeichnen. „Zivilcourage ist eine Selbstverständlichkeit, die nicht immer selbstverständlich ist“, meinte er. Leider werde viel zu häufig weggeschaut, wobei oft schon kleine Eingriffe oder ein offenes Ohr viel bewirkten.
Der frühere Polizeipräsident und stellvertretende Fördervereinsvorsitzende Hans Becker eröffnete den Ehrungsreigen. Seine Mitstreiter, Sozialdezernentin Elisabeth Krug, Assamstadts Bürgermeister Joachim Döffinger sowie der Landrat schlossen sich an und stellten die prämierten „Fälle“ vor:
Es gehe darum, sich einzumischen, schnell einen Notruf abzusetzen und nicht die Heldin oder der den Held zu spielen, so Becker, der einen besonders schweren Fall von Betrug darstellte. Mitte Februar 2023 erhielt der 72-jährige Wertheimer Dr. Konstantin Arnaudov einen Anruf von einer Frau, die sich als seine Tochter ausgab. Sie weinte und gestand, dass sie etwas Schlimmes getan habe. Dann übernahm eine angebliche Polizeibeamtin das Gespräch und schilderte einen von der vermeintlichen Tochter verursachten Verkehrsunfall, bei dem eine Schwangere ums Leben gekommen sei. Der „Tochter“ drohe nun eine Haftstrafe, die allerdings durch die Zahlung einer Kaution vermieden werden könne.
Betrüger überführt
Zunächst geschockt, bemerkte Dr. Arnaudov jedoch bei weiteren Telefonaten, dass etwas nicht stimmen konnte. Er verständigte noch während des Telefonats mit den Betrügern mit einem anderen Telefon die Polizei unter der Notrufnummer 110 und teilte die bevorstehende Übergabe des Geldes mit. Mit den Tätern einigte er sich auf einen Übergabeort der geforderten 30 000 Euro. Am Übergabeort wurde die Abholerin von Polizeibeamten der Kriminalpolizei Heilbronn festgenommen.
„Das ist ein überragender Fall“, so Becker. Denn Dr. Ardaunov habe nicht einfach aufgelegt, sondern durch sein überlegtes Handeln die professionellen Täter aus dem Verkehr gezogen, so dass sie keine weiteren Opfer schädigen können.
13-Jährige handelt couragiert
Den Fall der jüngsten Geehrten, der 13-jährigen Maria Denisa Nicula aus Laudenbach erläuterte Elisabeth Krug. Während ihrer Mittagspause war sie mit Klassenkameradinnen im Bereich des BAGeno-Markts in Weikersheim.
Sie sah, dass ein offenbar bewusstloser Mann an einer Mauer liegt, an dem Erwachsene bereits vorbeigegangen waren. Sie ging zu ihm, sprach ihn an. Als keine Reaktion kam, verständigte sie die Rettungsleitstelle und wartete bis zum Eintreffen der Rettungskräfte bei dem Bewusstlosen. „Zivilcourage ist keine Frage des Alters, sondern alleine der Haltung“, kommentierte Krug dieses umsichtige Verhalten des Mädchens.
Durchaus schauspielerisches Talent bescheinigte Joachim Döffinger Monika Sigmundzik und ihrem Sohn Alan aus Wertheim. Mutter Monika erhielt einen „Schockanruf“, in dem ihr ein angeblicher Staatsanwalt mitteilte, dass ihre Schwiegertochter mit dem Enkelkind mit dem Auto in Frankfurt unterwegs gewesen sein solle. Dort habe sie einen schweren Verkehrsunfall verursacht, bei dem sie sich die Zunge abgebissen habe, weshalb sie nicht sprechen könne. Das Enkelkind sei zwischenzeitlich in einem Kinderheim untergebracht worden, der Schwiegertochter drohe jetzt Gefängnisaufenthalt, der nur durch die Zahlung einer Kaution vermieden werden könne.
Gauner erhofften sich 75.000 Euro - vergebens
Monika Sigmundzik erfasste die Situation allerdings. Ihr Sohn Alan, der bei ihr zu Besuch war, verständigte die Polizei, Mutter Monika telefonierte weiter mit den Tätern und Sohn Alan Sigmundzik übermittelte den Beamten des Polizeireviers Wertheim live den Gesprächsverlauf und damit auch den geplanten Übergabeort für die Kaution. Dort warteten die Polizeibeamten bereits, so dass der Abholer nicht die erhofften 75 000 Euro erbeutete, sondern festgenommen wurde.
Äußerst dramatisch spielte sich Ende Februar der Versuch eines Tötungsdelikts ab, bei dem Kunden eines Elektrofachmarkts den mit einem Messer bewaffneten Mann, der auf einen anderen einstach, überwältigten. Zwei von ihnen – Jörg Gerhard Staritz aus Tauberbischofsheim und Fereydoon Alizadeh aus Wertheim erhielten den Zivilcouragepreis. Die anderen, so Landrat Christoph Schauder, seien noch so traumatisiert, dass sie auf eine Auszeichnung verzichtet hätten.
Ex-Mann zog plötzlich ein Messer
Zum Sachverhalt: Ein Mann war mit seiner Partnerin und deren 13-jährigem Sohn zu Fuß auf dem Weg zu besagtem Elektromarkt in der Kurstadt. Auch der Ex-Mann seiner Partnerin, der ihn schon mehrmals mit dem Tod gedroht hatte, hielt sich dort auf, zog ein Messer und lief zielstrebig auf den Mann zu. Der ging in den Markt, versteckte sich zunächst zwischen den Regalen, wurde aber schnell vom Ex-Mann gefunden und angegriffen. Beim Ausweichversuch fiel der Mann hin, worauf der Ex-Mann auf den am Boden liegenden neuen Partner seiner Ex-Frau einstach. Das Opfer erlitt mehrere Stichverletzungen.
Im weiteren Verlauf wirkten insgesamt sechs Kunden auf den Täter ein, obwohl er weiter versuchte, auf das Opfer einzustechen. An diesem Kampf beteiligte sich auch der 13-jährige Sohn des Täters, der versuchte, einen weiteren Messerangriff seines Vaters zu verhindern. Letztlich wurde der Ex-Mann durch das couragierte Eingreifen der Kunden überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei am Boden fixiert. „Fereydoon Alizadeh gelang es, die Hand des Täters mit dem Messer zu fixieren und im weiteren Verlauf das Messer zu entreißen und zu sichern. Jörg Gerhard Staritz, der ebenfalls mit dem Täter am Boden gekämpft hatte, versuchte nach der Überwältigung des Täters, die stark blutende Wunde am Bein des Opfers abzubinden“, beschrieb Schauder diesen außergewöhnlichen Einsatz.
Falscher Polizist beim Nachbarn
Weg von körperlicher Gewalt, hin zu psychischem Druck führte Elisabeth Krug das Publikum mit der Beschreibung zweier Schockanrufe. Die Wertheimerin Irma Winterholler bemerkte Anfang Februar, eine Frau und einen Mann, die sie nicht kannte, vor der Wohnungstüre ihres 94-jährigen Nachbarn. Da die Wohnungstür bereits geöffnet war und eine Unterhaltung mit ihrem Nachbarn im Gange war, entschied sie sich, die beiden Personen anzusprechen. Der Mann trug eine Jacke mit der Aufschrift „Polizei“.
Die Frau erklärte ihr, dass sie mit der Enkelin des 94-jährigen Nachbarn einen Verkehrsunfall gehabt habe, bei dem ihr Auto beschädigt wurde und sie sich den Arm gebrochen habe. Mit der Enkelin habe sie sich auf eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 5.000 Euro geeinigt, die sie jetzt abholen wolle. Irma Winterholler erfasste die Betrugssituation sofort und äußerte das auch. Die beiden machten sich daraufhin sofort aus dem Staub.
Bei der 74-jährigen Weikersheimerin Luise Wehr funktionierte das Prinzip zunächst. „Ich war voll im Schock und habe alles gemacht, was die gesagt haben“, erinnert sie sich. Ein angeblicher Staatsanwalt hatte ihr am Telefon erklärt, dass ihre Tochter einen Verkehrsunfall verursacht habe, bei dem ein siebenjähriges Kind ums Leben gekommen sei. Aus diesem Grund forderte er eine Kaution in Höhe von 70 000 Euro. Luise Wehr hob einen höheren Geldbetrag von der Bank ab und übergab sie an einen Abholer. Als ihr Sohn davon erfuhr, wandte er sich sofort an die Polizei in Bad Mergentheim.
Da die Täter der Meinung waren, dass bei der Frau noch mehr zu holen sei, riefen sie erneut an. Das mittlerweile geschädigte, aber gewarnte Opfer spielte die Gutgläubige und ließ sich an einen Übergabeort lotsen, wo die Kriminalpolizei Tauberbischofsheim drei Täter festnahm.
Betrüger fordern Google-Play-Karten
Auf falsche Gewinnversprechen wurden Sarah Ali aus Dittwar, Ulrike Ingrid Hamann aus Königheim und Nancy Knörck aus Weikersheim aufmerksam. Kunden wurden per Telefon Gewinnsummen von vielen tausend Euro versprochen, die sie jedoch mit dem Kauf von Google-Play-Karten auslösen müssten. Im Netto-Markt Königheim kaufte eine Dame daraufhin für 200 Euro solche Karten. Als sie am nächsten Tag nochmals solche Karten kaufen wollte, fragte Sarah Ali nach, klärte die Frau über den Betrug auf und rief sogar bei den Betrügern an. Derselben Frau sollte ein paar Monate später wieder ein Gewinn vorgegaukelt werden, was Ulrike Ingrid Hamann sofort als Betrug entlarvte, die Polizei verständigte und damit einen Schaden verhinderte.
Eine ältere Dame wollte ebenfalls Google-Play-Karten für mehrere hundert Euro im „Kaufland“ in Igersheim erstehen. Das machte Nancy Knörck, die die Kassenaufsicht hatte, stutzig. Sie sprach die ältere Dame an, erfuhr den Grund, verhinderte den Kauf und verständigte mit Einverständnis der älteren Frau die Polizei.
Brennendes Gebäude abgesucht
„Ein Musterbeispiel für couragiertes Eingreifen“ nannte Landrat Christoph Schauder den letzten Fall. Jakob Zimmermann aus Gissigheim ließ alles stehen und liegen, als er von seinem Arbeitsplatz in Boxberg aus zwei Häuser weiter schwarzen Rauch aus dem Dachstuhl aufsteigen sah. Er ging durch das Treppenhaus in den ersten Stock, wo ihm bereits Menschen entgegenkamen. Er suchte sowohl das erste als auch das zweite Geschoss komplett nach noch Verbliebenen ab und verließ erst dann das brennende Gebäude.
Jeder mit dem Zivilcouragepreis Ausgezeichnete erhielt eine Urkunde und einen Wertgutschein, der abwechselnd entweder von der hiesigen Volksbank oder der Sparkasse finanziert wird.
Fördervereinsvorsitzender Christoph Schauder würdigte auch die gute Zusammenarbeit mit der Polizei, die nicht überall so gut funktioniere wie in Heilbronn-Franken.
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