Nächstenliebe

Tauberbischofsheim: Ordenschwester aus Indien schöpft Kraft aus dem Gebet

Der Tag, an dem Schwester Anitha Pachanal als junges Mädchen das erste Mal von Alphonsa Anna Muttathupadathu erfuhr, sollte ihr Leben verändern.

Von 
Sabine Holroyd
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Tauberbischofsheim. Ordensschwester Alphonsa war die erste Inderin, die heiliggesprochen wurde. Ihrem Grab werden etliche Wunder zugeschrieben. Als Schwester Anitha von dem kurzen Leben der zutiefst gläubigen Frau las, stand für sie fest, dass auch sie Ordensschwester werden möchte. Heute wirkt sie als Krankenhausseelsorgerin in Tauberbischofsheim.

Seit einem Jahr lebt sie in der Kreisstadt, vor 28 Jahren kam sie nach Deutschland, erzählt Schwester Anitha in ihrem Büro. Vor 28 Jahren? Beim Blick in ihr fast noch mädchenhaftes Gesicht mit der zartroten Brille stutzt man und beginnt zu rechnen. Schwester Anita lacht, als man sie dann vorsichtig nach ihrem Alter fragt. „Ich bin 52“, sagt sie.

Mit 16 war sie in den Orden der indischen Anbetungsschwestern vom Allerheiligsten Sakrament eingetreten, nach dem Abitur legte sie mit 19 ihr Gelübde ab. Bis es jedoch soweit war, gab es zuhause viele Diskussionen. In der siebten Klasse hatte sie erstmals von der heiligen Alphonsa erfahren. „Ihre Lebensgeschichte hat mich so sehr inspiriert, dass ich unbedingt auch ins Kloster gehen wollte. Meine Eltern waren jedoch strikt dagegen. Nach dem zehnten Schuljahr äußerte ich meinen Wunsch erneut, doch sie wollten das nach wie vor nicht.“ Irgendwann setzte sie sich aber durch.

„Ich fühlte mich berufen“

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Anitha Pachanal, die damals noch den Vornamen Sheebi trug, ist das älteste Kind der Familie. Sie hat drei Geschwister, um die sie sich schon früh kümmerte – ihr Vater hatte ein Geschäft und war den ganzen Tag außer Haus, die Mutter arbeitete in der Landwirtschaft. „Ich passte auf meine beiden Schwestern und meinen Bruder auf, kochte und putzte“, erzählt sie. Doch warum träumte sie so intensiv davon, Ordensschwester zu werden? „Ich fühlte mich einfach berufen. Ich wollte Zeit haben für das Gebet und für andere Menschen“, berichtet sie mit ruhiger, leiser Stimme.

Als 19-jährige Ordensschwester wollte sie dann Chemie studieren. Doch ihre Oberin hatte andere Pläne mit ihr: „Sie fragte mich, ob ich die Krankenpflege erlernen wolle. Als ich das bejahte, sagte sie, dass ich dazu nach Deutschland entsandt werde. Das war ein großer Schock für meine Familie. Deshalb versuchte ich, meine Oberin umzustimmen. Doch ich hatte ja mein Gelübde abgelegt und Gehorsam geschworen. Aber ich war so traurig.“ Trost suchte sie im Gebet. „Ich saß stundenlang in der Kapelle und habe dort eines Nachts ganz viel Kraft bekommen. Und so teilte ich der Oberin mit, dass ich nach Deutschland gehen werde.“

Am 1. Dezember 1995, sie weiß den Tag noch ganz genau, landete sie in Frankfurt. Nach ihrem ersten Eindruck befragt, antwortet sie: „Ich komme ja aus einem sonnigen Land. Hier war es am Nachmittag fast schon dunkel. Ich fragte mich, warum ich überhaupt aus dem Flugzeug ausgestiegen bin.“ Heute kann sie darüber lachen.

In der Eifel besuchte sie zunächst eine Sprachschule, um Deutsch zu lernen, machte die Kranken- und Altenpflegeausbildung und „nebenbei“ auch noch den Führerschein. Zusätzlich bildete sie sich zur Seelsorgerin weiter und – sie lernte Schnitzel und Rosenkohl kennen: „Ich habe immer alles gegessen, was ich bekommen habe.“

Seit einem Jahr lebt sie nun in Tauberbischofsheim und oft ist sie es, die für ihre sechs indischen Mitschwestern etwas Deutsches kocht. „Gerne bereite ich zum Beispiel Auflauf, Bratkartoffeln, Schnitzel oder Brokkoli zu. Ich koche auch sehr gut indisch, doch erstens dauert es sehr lange und zweitens müssen wir hinterher immer das gesamte Wohnheim lüften“, berichtet sie lachend.

„Hier in Tauberbischofsheim wurde ich sehr gut aufgenommen und habe es auch nie bereut, meiner Oberin gehorcht und Indien verlassen zu haben. Ich bin sehr glücklich hier“, sagt sie. Als Seelsorgerin ist Schwester Anitha am Krankenhaus der Kreisstadt, im Haus Heimberg sowie im Seniorenzentrum St. Barbara in Grünsfeld tätig. Oft werde sie gerufen – das kann auch mal nachts der Fall sein – zudem bekomme sie eine Liste, welche Patienten beziehungsweise Bewohner einen seelsorgerischen Besuch wünschen. Feste Zeiten hat sie nicht. „Die Leute sind dankbar. Nur sehr selten kam es bisher vor, dass mich jemand nicht haben wollte. Diese Gespräche sind jedoch nicht immer einfach“, gibt sie zu.

Halt im Glauben

Gerade wenn jemand eine schlechte Diagnose erhalten habe, brauche er viel Kraft und Mut, um diese Situation anzunehmen, so ihre Erfahrung. Wenn man eine gute Verbindung zu Gott habe, sei es vielleicht leichter, als wenn man gar keinen Halt im Glauben finde, meint sie. Doch auch an der zierlichen Schwester gehen solche Besuche nicht spurlos vorbei. Manche kosten viel Anstrengung. Sie erzählt: „Wenn ich darf, halte ich dann die Hände des Kranken, höre ihm zu und werde immer wieder intensiv für ihn beten, indem ich auch seinen Namen nenne. Ich glaube einfach an die Kraft des Gebets.“

Sie erinnert sich an eine Situation, die sie nie vergessen wird: „Als ich mich noch in der Ausbildung befand und noch gar nicht richtig Deutsch sprechen konnte, hielten wir samstags immer von morgens bis abends die ewige Anbetung ab. Wir waren sehr viele Schwestern damals. Plötzlich kam eine Frau ausgerechnet zu mir und bat mich, für ihren Mann, der auf der Intensivstation lag und künstlich beatmet wurde, zu beten. Sie wollte ihn nicht loslassen. Das tat ich, aber nach dem, was sie mir erzählt hatte, glaubte ich nicht so recht, dass ihr Mann geheilt wird. Doch er wurde wieder gesund und lebt heute noch.“

Den Wunsch, selbst eine Familie zu haben, verspürte sie nie. „Ich bin sehr dankbar, dass ich Ordensschwester bin. Dadurch kann ich sehr vielen Menschen helfen. Die Patienten sind für mich wie Geschwister, das war auch in meiner Zeit als Krankenpflegerin so“, sagt sie. Alle zwei Jahre dürfen die indischen Schwestern ihre Heimat besuchen. Am 26. Dezember ist es wieder soweit: Schwester Anitha darf nach Hause fliegen und freut sich riesig darauf. Schließlich ist sie auch eine stolze Tante – sie hat insgesamt fünf Neffen und Nichten. Ein Neffe feiert dann seine Erstkommunion: „Er hat damit gewartet, bis ich auch da bin.“

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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