Tauberbischofsheim. Wolfgang Reinhart gehört mit seinen 67 Jahren zu den „Best Agern“. Weiße Sneakers gehören fast immer zu seinem Outfit, Sport war von jeher sein Hobby. Nach seinem Buch „Traubenweise – Warum die Wahrheit im Wein liegt“ veröffentlichte der Landtagsvizepräsident nun sein neues Werk.
Herr Reinhart, Ihr neues Buch klingt nach Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Hätten Sie auch Lust, den Jakobsweg zu laufen?
Wolfgang Reinhart: Das könnte ich mir durchaus einmal vorstellen. Ich wandere ohnehin sehr gerne.
Wie soll denn diese selbstbestimmte Lebenszeit Ihrer Meinung nach aussehen?
Reinhart: Mit meinem Buch möchte ich Hoffnung und Zuversicht für ein sinnerfülltes und gesundes Leben auch im Alter vermitteln. Schon heute gäbe es arbeitsrechtlich die Möglichkeit, Verträge über ein Lebensarbeitszeitkonto abzuschließen. So kann man nach eigener Bestimmung Phasen in der Rush Hour des Lebens für Sabbatical, Pflege, Erziehung oder eine Weltreise nutzen, und die fitten, jungen Alten müssen nicht mit 63 von 100 auf Null aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Von dieser Möglichkeit für den Arbeitnehmer machen jedoch nicht einmal fünf Prozent der Unternehmen Gebrauch.
Die Dreiteilung Ausbildung – Beruf – Ruhestand hat sich also überholt?
Reinhart: Wir können es uns heute nicht mehr leisten, auf die Ü-60-Jährigen zu verzichten. Wir brauchen diese Generation, und sie braucht eine andere Akzeptanz der Gesellschaft. Die neuen Alten sind heute deutlich fitter und länger aktiv als alle anderen Generationen zuvor. Warum also passen wir unsere Lebensarbeitszeit nicht der Zeit unseres Lebens an? Wir müssen umdenken, neue Wege gehen und damit das Thema Alter und Lebens(arbeits-)zeit anders bewerten.
Müssen die jungen Alten, wie Sie sie gerne nennen, nun auch noch den Fachkräftemangel ausgleichen? Sich bis ins hohe Alter weiterbilden, um mit der Digitalisierung schritthalten zu können?
Reinhart: Der Fachkräftemangel ist eine der großen Herausforderungen in der gesamten Arbeitswelt. Weiterbildung sollte ohnehin eine Daueraufgabe Zeit sein, der Rucksack der Erstausbildung reicht nicht mehr aus. Weiterbildung und Digitalisierung halten mental fit. Je mehr wir offen und neugierig bleiben, umso besser ist das auch für die mentale Gesundheit. Auch die Wissenschaftlerin Professor Dr. Anabel Ternès von Hattburg erklärt im Buch, warum wir Älteren uns noch mehr in die digitale Welt integrieren sollten.
In Frankreich gehen die Bürger auf die Straße, weil das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre angehoben wurde. Davon können die Menschen hier nur träumen . . .
Reinhart: Ja, dort wurde sehr intensiv eine Rentenreform durchgesetzt und über längere Arbeit bis 64 gestritten. Allerdings liegt auch in Deutschland das tatsächliche Renteneintrittsalter aktuell nicht bei 67, sondern bei 64,1 Jahren. 2,2 Millionen Anträge wurden auf vorzeitigen Rentenbezug mit 63 Jahren gestellt. Wir müssen wegkommen von einer solch starren Altersgrenzen-Diskussion, zumal der Generationenvertrag ohnehin nicht mehr tragfähig ist.
Was schlagen Sie vor?
Reinhart: In wenigen Jahrzehnten bereits werden in Deutschland auf 100 Arbeitnehmer 58 Rentner kommen, während gegen 1960 noch sechs Arbeitnehmer auf einen Rentner kamen. Erfreulicherweise werden wir immer älter. Die Zahl der über 100-Jährigen nimmt zu. Die Chefärztin an der Berliner Charité, Professor Dr. Adelheid Kuhlmey, weist im Buch darauf hin, dass man vor 150 Jahren durchschnittlich drei Jahre im Ruhestand verbringen konnte, während dieser heute oftmals sogar den längsten Lebensabschnitt darstellen kann. Deshalb mein Vorschlag, bei einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung um ein Jahr, acht Monate für das Arbeitsleben und vier Monate für die Rentenbezugsdauer anzupassen, wie dies teilweise in skandinavischen Ländern schon der Fall ist.
Ist es Ihrer Meinung nach gerecht, dass die Pension um mehr als das Doppelte über der gesetzlichen Rente liegt, dass viele Rentner an der Armutsgrenze leben müssen?
Reinhart: Armutsgefährdung im Alter treibt viele Menschen um. Trotz der klaren Fakten des demografischen Wandels wurde die Altersversorgung in der Berliner Politik auch in den letzten zehn Jahren weder hinreichend reformiert noch wetterfest gemacht. Die gesetzliche Durchschnittsrente liegt damit ja für viele Rentner bei deutlich unter 1500 Euro im Monat.
Wie lautet Ihre Empfehlung?
Reinhart: Es sollten alle drei Säulen gestärkt werden – neben der gesetzlichen Rente also auch die betriebliche und private Vorsorge. Der angedachte zusätzliche Kapitalstock von zehn Milliarden Euro ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und viel zu niedrig. Auch hier gibt es bessere Lösungen und Regelungen in Skandinavien, wo auch der Rentenbezug auskömmlicher gegenüber staatlichen Bezügen geregelt ist. Natürlich haben Beamte nach dem Alimentationsprinzip Vorteile bei der Versorgung, was aber wegen verfassungsrechtlicher Garantien in Artikel 33 des Grundgesetzes nicht einfach so geändert werden kann.
Woran krankt das Rentensystem?
Reinhart: Der Gesetzgeber hat die demografische Herausforderung viel zu lange schleifen lassen. Deshalb plädiere ich für eine Verankerung in der Verfassung, damit nicht jede neue Berliner Regierung nur kurzfristig mit einfacher Mehrheit daran herummanipulieren kann. Wichtig ist hier langfristige Verlässlichkeit und Sicherheit. Denn derzeit gefährdet die Demografie auch den Wohlstand zukünftiger Generationen. Schon vor Jahren habe ich in Übereinstimmung mit Professor Rürup darauf hingewiesen, dass wir hier kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben.
Wie sehen Sie sich selbst mit 80?
Reinhart: Den absoluten Ruhestand hat man nur auf dem Friedhof. Deshalb betrachte ich es als großes Geschenk gegenüber der Generation meiner Großeltern, dass wir heute auch im Alter enorme Möglichkeiten haben, ein aktives und erfülltes Leben zu führen.
Die Medizintechnik macht ständige Fortschritte. Zehn Wochen nach einer Hüft-OP fuhr ich wieder alpin Ski. Zwar brauche ich heute beim Joggen für 3000 Meter die doppelte Zeit gegenüber meinem deutschen Vizemeistertitel als 17-Jähriger, aber die Basics Bewegung – Ernährung – mentale Gesundheit und auch soziale Einbindung sind für mich wie auch in der Langlebigkeitsforschung eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit und Fitness im Alter. Demgegenüber verkürzt Einsamkeit das Leben.
Wie halten Sie sich fit?
Reinhart: Wann immer möglich, versuche ich, neben regelmäßiger Bewegung die Intervall-Fasten-Methode 16:8 einzuhalten. Jeden Morgen beginne ich digital meine Zeitungslektüren und verbringe damit mindestens 30 Minuten auf dem Cross-Trainer. Einer Umfrage zufolge ist die Zufriedenheit der Menschen in Deutschland ab Mitte 60 am höchsten. Der Erfahrungsschatz der älteren Menschen wird im Miteinander der Generationen unbedingt gebraucht. Wir sollten deshalb alles dafür tun, das große Potenzial der Baby-Boomer zu erhalten. Das Altsein wird sich nicht mehr nach dem Geburtsjahrgang richten, sondern nach dem individuellen Verständnis und dem, was man noch zu leisten in der Lage ist – und sein möchte.
Das Buch "Ich bleib' dann mal da" erschien bei Frankfurter Allgemeine Buch, ISBN 978-3-96251-1661.
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