Tauberbischofsheim. Obwohl sie erst 30 Jahre alt ist, könnte Anastasia Bunjaku-Lobanova schon jetzt ein ganzes Buch über ihr Leben schreiben. Zum Beispiel, wie es war, als 23-Jährige ohne die Familie ihre Heimat im Süden Russlands zu verlassen. Oder wie es dazu kam, dass sie erst in Walldürn, dann in Tauberbischofsheim „landete“. Oder wie sie mit dem Dialekt der Menschen hier zurechtkam. Oder warum sie als gebürtige Russin geflüchteten Frauen aus der Ukraine hilft.
Ihre Antworten, die sie den FN auf all diese Fragen mit ruhiger Stimme und fast immer lächelnd gibt, sind wohlüberlegt und überzeugend. Warum verlässt eine junge Frau ihre Heimat, um ganz woanders ein neues Leben anzufangen? Anastasia Bunjaku-Lobanova stellt gleich einmal klar: „Ich wollte nicht unbedingt aus Russland auswandern. Aber ich wollte unbedingt in Deutschland studieren.“ Sie erklärt: „Durch mein Philologie-Studium an der Universität im südrussischen Krasnodar hatte ich die Möglichkeit, ein Austauschsemester in Karlsruhe zu absolvieren. Das hat mir sehr gut gefallen, und auch das deutsche Bildungssystem begeisterte mich.“
Deutschland war ihr aber auch familiär gesehen schon vertraut: Ihre Großeltern hatten lange hier gelebt, ihr Großvater war Deutscher. Nach dem Austauschsemester sollte es jedoch noch zwei Jahre dauern, bis sie als Spätaussiedlerin anerkannt war. Der Abschied war nicht ganz einfach: „Meine Mutter hatte große Sorgen, wie ich in Deutschland aufgenommen werde und ob auch alles klappt, was ich mir vorgenommen hatte. Doch weder sie noch mein Vater zweifelten je an meiner Entscheidung. Zudem hatte ich durch meine doppelte Staatsbürgerschaft immer die Möglichkeit zurückzukehren“, sagt sie.
Von Walldürn nach Heidelberg
Doch eine Rückkehr stand nie zur Debatte. Die junge Frau wusste, was sie wollte. Und dafür nahm sie auch einiges in Kauf: „Mein Mann, damals noch mein Freund, den ich in Karlsruhe kennengelernt hatte, lebte in Walldürn. Da ich unbedingt in Heidelberg studieren wollte, war Walldürn perfekt. So wie ich früher jeden Tag 80 Kilometer von meinem Wohnort nach Krasnodar zur Uni gependelt bin, pendelte ich nun eben 80 Kilometer von Walldürn nach Heidelberg. An manchen Tagen musste ich um 4 Uhr aufstehen, weil um 8 Uhr die Vorlesungen begannen. Es kam oft vor, dass eine Vorlesung bis 19 Uhr dauerte, ich um 22 Uhr nach Hause kam und morgens um 4 Uhr wieder aufstand“, erzählt sie lachend und sagt: „Ich hatte ein klares Ziel vor Augen, und deshalb war das auch absolut in Ordnung für mich.“
Eineinhalb Jahre pendelte sie. An Tagen, an denen sie nicht in die Uni fahren musste, jobbte sie in einer Bäckerei in Buchen und erweiterte somit ihr Deutsch ganz nebenbei auch noch um den Buchener Dialekt: „Das war sehr witzig. Die Menschen in Buchen sind super cool, und meine Kolleginnen haben mir immer geholfen. Ich wusste zum Beispiel nicht, was ein ,Weck’ oder ein ,Brötle’ ist. Dass man hier eine Decke ,Teppich’ nennt, war mir auch neu. In dieser Zeit entstand sogar ein Notizbuch mit Wörtern im Dialekt.“
Parallel zu ihrem Masterstudium und zu ihrem Job beim Bäcker arbeitete Anastasia Bunjaku-Lobanova auch noch als studentische Aushilfe in einem Würzburger IT-Unternehmen. „Ich hatte alle Hände voll zu tun und gar keine Zeit, möglicherweise in Depressionen zu verfallen. Das war eine super spannende Zeit“, sagt sie.
Als sie den Masterabschluss in der Tasche hatte, bot ihr die Firma in Würzburg eine Vollzeitstelle als Software Quality Analyst an.
Tauberbischofsheim ist „perfekt“
Das Paar zog nach Tauberbischofsheim – „die perfekte Wahl“, freut sie sich. Auf die Frage, was ihr in der Kreisstadt denn besonders gut gefalle, antwortet sie: „Alles! Die Stadt ist schön und groß genug für uns. Wir haben hier alles, was wir brauchen, und die Autobahn ist auch ganz nah.“
Auf der Homepage der Stadt sah sie dann, dass Helfer und Dolmetscher für die ukrainischen Frauen gesucht werden: „Das Dolmetschen und Übersetzen sind nach wie vor meine Leidenschaft. Also habe ich mich einfach gemeldet und mich sowohl beim Integrationsbüro als auch beim Helferkreis von Hans-Jürgen Reusch vorgestellt.“
Seit dem ersten Treffen mit den Geflüchteten ist sie einfach nur dankbar. Sie erzählt: „Ich habe ihnen gleich gesagt, dass ich zwar Russin bin, aber ihnen unbedingt helfen möchte und sehr glücklich wäre, wenn sie meine Hilfe annehmen würden.“
Die ukrainischen Frauen empfingen die Dolmetscherin, die auch Ukrainisch spricht, mit offenen Armen. Ihr Herz ist voll mit Emotionen, die Sätze sprudeln nun förmlich aus ihr heraus: „Auch für mich ist es sehr schmerzhaft, dass mein Heimatland ein Nachbarland angegriffen hat. Mein Ziel ist es, die Brücken, die in diesem inakzeptablen Krieg zerstört werden, wieder aufzubauen. Das ist sogar meine Pflicht. In meinem Heimatland kann ich nichts ändern, aber wenn jemand hier meine Unterstützung braucht, dann versuche ich mitzuhelfen, den Menschen einen sicheren Hafen zu bieten. Wir dürfen uns nicht hassen, wir sind immer noch Menschen, immer noch Nachbarn. Das sehen die Frauen aus der Ukraine genauso. Auch meiner Familie in Russland habe ich gesagt, dass ich von diesen Frauen noch nie ein böses Wort über die Russen gehört habe. Und auch die Geflüchteten wissen, dass es russische Menschen gibt, die helfen wollen. Ich hoffe und glaube, dass das auch hilft, die Beziehungen nach dem Krieg wieder aufzubauen.“
Anastasia Bunjaku-Lobanova möchte eines klarstellen: „Ich höre oft von Deutschen, dass diese Frauen arbeiten gehen sollen. Das verletzt mich sehr. Denn ich weiß, dass sie arbeiten gehen wollen – am liebsten sofort. Bei jedem Treffen fragen sie mich, ob es für ihre Kinder einen Kita-Platz gibt. Doch welche Mutter würde ihr Kleinkind alleine lasen, um es jemandem recht zu machen, der sagt, du musst arbeiten gehen?“
„Immer auf dem Sprung“
Sie meint weiter: „Diese Menschen suchen hier für eine bestimmte Zeit Sicherheit. Nicht mehr und nicht weniger. Sie sind nicht auf die deutschen Sozialleistungen aus. Viele kamen nur mit einer Tasche hierher, weil sie dachten, der Krieg ist nach einer Woche wieder vorbei. Sie sind immer auf dem Sprung, wollen zurück zu ihren Vätern, Männern, Söhnen und Neffen.“
Anastasia Bunjaku-Lobanova bezeichnet die Ukrainerinnen als „unfassbar stark“: „Teilweise haben sie alles verloren, leben in Trauer und Sorge, können nicht mehr schlafen. Doch sie sprechen nicht viel darüber. Sie kämpfen hier für ihre Kinder, damit sie weiter ein glückliches Leben führen können.“ Hans-Jürgen Reusch vom Helferkreis Ukraine ist vollauf begeistert von der jungen Frau. Gegenüber den FN sagte er: „Seit April hat Anastasia Bunjaku-Lobanova für uns bei vielen Veranstaltungen, Besprechungen und Einzelgesprächen unentbehrliche, wertvolle Übersetzungsarbeit geleistet. Besonders zeichnet sie die Empathie aus, mit der sie auf die Geflüchteten eingeht. Damit schafft sie eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre, die uns in unserer Betreuungsarbeit sehr geholfen hat. Sie leistet mit ihrem Engagement, das weit über die reine Übersetzerarbeit hinausgeht, einen ganz wichtigen Beitrag dazu, den Geflüchteten hier in Tauberbischofsheim ein vorübergehendes Zuhause zu bieten.“
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