Würzburg. In dem alten Gebäudekomplex in der Versbacher Straße ist der Tod allgegenwärtig. Das ist irgendwie zu spüren, sobald man durch die Schleuse des gut gesicherten Eingangsbereichs der Würzburger Rechtsmedizin geht. Täglich werden hier – unterhalb des Uni-Campus – Leichen angeliefert, die aufgrund von Unklarheiten bei der Todesursache nochmals eingehend untersucht werden müssen.
Rund 400 Obduktionen sind es in Würzburg jedes Jahr. Der Mann, der bei den meisten dieser „äußeren und inneren Leichenschauen“ dabei ist und das unterfränkische Institut seit 2011 leitet, ist Professor Dr. Michael Bohnert. Der 59-jährige Familienvater (drei Kinder) hat in seinem Leben schon viele Tote gesehen. „Genau kann ich es nicht sagen, aber es müssten deutlich mehr als 3000 Obduktionen sein, die ich in meiner 30-jährigen Tätigkeit als Rechtsmediziner bereits vorgenommen habe“, sagt Bohnert.
Wenn es um unnatürliche Todesfälle geht, sind es nicht nur äußerlich unversehrte Körper, die auf einem der beiden Sektionstische im Untergeschoss des Instituts landen. Auch deshalb ist die wichtige Arbeit, die das zwölfköpfige Team in Würzburg täglich leistet, nichts für sensible Gemüter. Für Bohnert allerdings ist die Rechtsmedizin „das Spannendste, was diese wunderbare Wissenschaft zu bieten hat“.
Dabei geht es bei den „Fällen“, die zur Obduktion anstehen, längst nicht nur um Mord und Totschlag. „Bei Weitem nicht. Die Masse der Fälle, die wir obduzieren, sind natürliche Todesfälle. Nur etwa ein Prozent ist auf Kapitalverbrechen zurückzuführen. Der größte Teil sind Unfälle – im Straßenverkehr, bei der Arbeit oder in der Freizeit. Hinzu kommen Suizide oder krankheitsbedingte Ursachen wie etwa ein Herzinfarkt.“ Klar stellt Bohnert, dass es in der Rechtsmedizin nicht allein um Leichen gehe. „Das ist nur ein Teil unserer Arbeit. Unter anderem untersuchen wir auch lebende Opfer von Gewalttaten, analysieren Gewebeproben, werten Knochenfunde aus, erstellen Gutachten (etwa zur Fahrtüchtigkeit) und machen genetische Abstammungsanalysen (Vaterschaftstests).“
Gerichtsmedizinische Obduktionen, auch Autopsien genannt, werden unterdessen stets von der Staatsanwaltschaft angeordnet. Immer dann, wenn eine nicht-natürliche Todesursache, also ein Tötungsdelikt, Suizid oder Unfalltod vermutet wird oder feststeht, und eine weitere Klärung notwendig erscheint. Ist die Todesart auf dem Totenschein als „ungeklärt“ beurkundet, erfolgt in der Regel ebenfalls eine gerichtlich angeordnete Sektion.
Und wie läuft das genau ab? Eine gerichtliche Obduktion wird nach klaren Regeln durchgeführt. Immer von mindestens zwei Rechtsmedizinern. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip. In Würzburg ist zudem meist ein Kriminalbeamter „am Tisch“ dabei.
„Die Strafprozessordnung sieht grundsätzlich eine Drei-Höhlen-Sektion vor. Es müssen also immer Kopf-, Brust- und Bauchhöhle geöffnet, die Organe fachgerecht entnommen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst präpariert und untersucht werden“, so Bohnert. Eine „normale“ Obduktion nehme etwa zweieinhalb Stunden in Anspruch. „Meine bisher längste dauerte über zehn Stunden, aber das waren 24 Messerstiche.“
Bei jeder Sektion würden zwar Proben entnommen. Sämtliche Organe kämen jedoch nach der Untersuchung wieder zurück in die Körperhöhlen. Nach dem Vernähen der Schnitte sehe man auf den ersten Blick nicht mehr, dass eine Obduktion stattfand. Diese Feststellung ist Bohnert wichtig, denn der Respekt vor den Toten und ihren Angehörigen sei bei den Rechtsmedizinern immer da – vor, während und nach der Obduktion. Auch, wenn dies in manchem Kriminalfilm nicht so scheine. Das ist aber nur ein Grund, warum Bohnert definitiv kein Krimi-Fan ist.
Kein „Tatort“, nix „Wallander“? „Nein, ich lese und schaue keine Krimis. Mein Leben ist so anders als im Film. Da bin ich eigen. Ich mag die Glorifizierung von Gewalt nicht. Das Böse hat nichts Glamouröses an sich. Deshalb verstehe ich nicht, wenn man sich damit beschäftigt, außer eben beruflich. Das hat aus meiner Sicht keinerlei Unterhaltungswert. Aber ich will da niemand zu nahe treten. Diese Sicht der Dinge hat mein Beruf mit sich gebracht“, sagt Bohnert.
Dabei habe er prinzipiell gar nichts gegen Kriminalgeschichten. Man dürfe sie nur nicht so betrachten, als würden sie die Realität widerspiegeln. Das sei, als nehme man James Bond als realistisches Abbild eines echten Geheimagenten wahr.
Es sei absurd zu glauben, ein Rechtsmediziner ermittle in einem Mordfall mit. „Wir lösen keine Fälle. Wir schaffen nicht Klarheit, sondern erheben und bewerten medizinische Befunde. Unsere Arbeit ist ein Handwerk. Der Rechtsmediziner ist dazu da, den Ermittlern medizinische Puzzleteile zu liefern. Das Gute dabei ist: Tote lügen nicht.“
Die Staatsanwaltschaft baue auf die Erkenntnisse der Mediziner. „Aber das ist immer nur ein Teil des großen Ganzen, der natürlich von entscheidender Bedeutung sein kann. Mal mehr, mal weniger. Die subjektive Seite des Täters, oder die Frage, ob es Vorsatz gab oder nicht, können und wollen wir nicht klären. Das ist und bleibt Sache der Polizei.“
Zahlen und Fakten
Das Institut für Rechtsmedizin in Würzburg ist für ein Gebiet mit rund 1,4 Millionen Einwohnern zuständig.
Pro Jahr werden rund 400 Obduktionen durchgeführt.
Etwa 100 lebende Gewaltopfer werden untersucht.
Rund 600 Fahrtüchtigkeitsgutachten werden erstellt.
Über das Jahr stehen etwa 20 Tatortbesichtigungen an.
Außerdem rund 25 osteologische Untersuchungen, etwa bei Funden von Skelettteilen. gf
Sehr wohl freue sich Bohnert aber darüber, wenn er durch seine Arbeit die entscheidenden Puzzleteile liefere. Ganz besonders sei das bei Kindern der Fall, die einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sind. Bohnert: „Da hat man dann schon mal das Gefühl, so einem armen Würmchen noch etwas Gutes getan und sein Schicksal geklärt zu haben. Das hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun und ist bei jungen Menschen tatsächlich etwas befriedigender als bei Erwachsenen, zu denen man automatisch etwas mehr emotionale Distanz hat.“
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