Tradition

So kämpfen Gesangvereine um ihre Zukunft

Sind Gesangvereine ein Auslaufmodell? Die Chöre wehren sich mit aller Kraft dagegen. So auch die 100 Jahre alte „Eintracht Impfingen“.

Von 
Sabine Holroyd
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Impfingen. Die Geschichte des Gesangvereins „Eintracht Impfingen“ ist fein säuberlich in einer blauen Mappe abgeheftet. Die Vorsitzende hütet sie wie einen kostbaren Schatz, denn Marlene Bundschuh ist sich der Tradition und der Verantwortung, die diese lange Historie mit sich bringt, sehr bewusst. 100 Jahre alt ist der Verein – am 13. April 1925 wurde er gegründet. Doch wie es mit ihm weitergeht, steht in den Sternen. Neue Mitglieder sind nur schwer zu finden - ein Problem, das nicht nur den Impfinger Gesangverein betrifft. Entwickeln sich Gesangvereine zum Auslaufmodell? In vielen Singgemeinschaften tut man alles dafür, dass das nicht passiert. So auch in Impfingen.

Menschen wie Marlene Bundschuh sind für Vereine Gold wert. Sie ist eine, die Ideen hat, gesellig ist, mit anpackt und sich auch nicht zu schade ist, potenzielle neue Mitglieder direkt anzusprechen. Mit ihren 69 Jahren ist sie so etwas wie die „Mutter der Kompanie“ der momentan 36 aktiven Sängerinnen und Sänger – von denen allerdings fünf längerfristig erkrankt sind - und gehört somit zu den jüngsten Mitgliedern. Seit elf Jahren ist sie Vorsitzende, und bereits seit 1987 gehört sie der Chorgemeinschaft an.

Um den Posten gerissen habe sie sich nicht, erzählt Marlene Bundschuh den FN zuhause in ihrem Partyraum, der dem Verein auch als gemütliche Versammlungsherberge dient. Doch als es vor elf Jahren um alles oder nichts ging, der Verein am Abgrund stand, war sie mit drei weiteren Frauen an ihrer Seite bereit, den Vorsitz zu übernehmen. „Dazu“, sagt sie und lacht, „musste sogar unsere Satzung geändert werden“. Denn noch nie stand eine Frau an der Spitze des Vereins, und auch ein ganzes Vorstandsteam war in der Vereinsgeschichte noch nicht vorgekommen.

Als reiner Männergesangverein gegründet

Die „Eintracht Impfingen“ war 1925 als reiner Männerverein gegründet worden. Jakob Bundschuh war der erste Vorsitzende. Von 1939 bis 1947 ruhte der Verein kriegsbedingt. Als der damalige Chorleiter Robert Haberkorn 1969 Impfingen verließ, hielt die „Eintracht“ ganze zehn Jahre lang einen unfreiwilligen Dornröschenschlaf. Im Oktober 1979 öffnete sie sich dann auch den Frauen und firmierte von da an als gemischter Chor unter der Leitung von Fridolin Klebes. Corona sorgte dann für die nächste Zwangspause. Um den Kontakt aufrechtzuerhalten, schrieb Marlene Bundschuh Gedichte und Karten und warf sie den Mitgliedern in den Briefkasten, zu Ostern und Weihnachten gab es kleine Geschenke.

Die Vorsitzende, die gerne auch in ihrer lockeren Art die Liedernachmittage des Vereins moderiert, weiß um die Bedeutung dieser Gemeinschaft gerade für die ältere Generation: „Unsere wöchentliche Chorprobe im Pfarrheim bezeichne ich gerne auch als Singtherapie für Herz und Seele. Wer aus Krankheitsgründen längere Zeit nicht daran teilnehmen kann, den besuche ich oder rufe ich an, wenn derjenige das möchte. Das Gleiche gilt für die Geburtstagskinder. Die Vereinsmitglieder sind schließlich wie eine Familie für mich.“

Auch sie selbst hat schon erfahren, wie wohltuend die Singstunden sein können. „Ich bin da auch schon mit Bauchschmerzen hingegangen. Hinterher waren sie wie weggefegt. Um eine Chorprobe einmal nicht zu besuchen, müsste ich schon richtig krank sein.“

Das Ende des 1862 gegründeten Gesangvereins in Hochhausen bedeutete für den Impfinger Verein der Anfang eines weiteren, bis dahin noch nicht beschrittenen Weges: Nachdem die Hochhäuser Sänger ihren Verein 2022 schweren Herzens aufgegeben hatten - die Gründe dafür waren das Alter der Sänger, Mitgliederschwund und fehlender Nachwuchs – nahmen die Impfinger Sänger ihre Nachbarn von der anderen Tauber-Seite gerne auf und freuen sich seitdem über vier neue Mitglieder. Der Hochhäuser Vorsitzende Herbert Elsner sitzt jetzt im Impfinger Vorstandsteam, nachdem dort ein Mitglied nach zehn Jahren aufgehört hat.

Als weiteres Beispiel eines gelungenen Vereinszusammenschlusses führt Marlene Bundschuh die „Chorgemeinschaft WerDi“ an, die kürzlich aus den Gesangvereinen aus Werbach und Dittwar entstanden ist. Sie lobt die Stimmgewalt des neuen Chores, der eigentlich aus der Not heraus entstanden ist und sich nun gemeinsam zu neuen Höhen hinaufschwingt. Der Gesangverein Werbach ist außerdem Patenverein der Impfinger „Eintracht“.

Die „Eintracht“ hat sich immer wieder neu erfunden

Die „Eintracht Impfingen“ hat sich im Laufe ihrer 100 Jahre also immer wieder neu erfunden, ist Wege gegangen, die bei der Vereinsgründung 1925 noch undenkbar gewesen wären. Natürlich hat man auch das Repertoire angepasst, singt deutsche Versionen der Lieder von den Carpenters, ABBA oder Doris Day.

60 Prozent der Mitglieder befinden sich in der WhatsApp-Gruppe, die die Vorsitzende ins Leben gerufen hat. „Es bedeutet eine große Erleichterung für mich, dass sich doch so viele Sänger auf dieses ,neumodische Zeug` eingelassen haben“, freut sich Marlene Bundschuh. „Mit englischem Liedgut brauche ich meinen Chormitgliedern allerdings nicht zu kommen“, sagt sie und lacht – das Durchschnittsalter der Vereinsmitglieder ist etwa 76 Jahre.

Seit 2010 ist Stefanie Buck-Neuhäuser Dirigentin des Impfinger Gesangvereins. Beim Probeabend, den die FN besuchen, trägt sie ein schwarzes T-Shirt, das ihr die Mitglieder zum 50. Geburtstag geschenkt haben. In silbernen Glitzersteinchen steht „Dirigentin“ darauf.

Sie leitet momentan kommissarisch die Sprachheilschule Unterschüpf und ist gefragte Kirchenmusikerin – mit anderen Worten also voll ausgelastet - doch die Impfinger Sänger liegen ihr einfach am Herzen. „Die Chorleitung macht mir wirklich großen Spaß. Ich bewundere die Mitglieder, die fast schon ihr ganzes Leben lang der ,Eintracht` die Treue gehalten haben. Es singen ja auch einige über 80-Jährige mit, die sich immer sehr auf die Proben freuen, weil sie sich in dieser Gemeinschaft wohlfühlen“. Ohne neue Mitglieder und kreative Ideen wie etwa die erfolgreichen Projektchöre auf Zeit werde es jedoch schwierig werden – nicht nur für den Impfinger Gesangverein. Deshalb will sie zunächst auch gar nicht zu weit vorausdenken. „Wir planen jetzt unser 100-Jahr-Jubiläum sowie unser Adventskonzert. Ansonsten denken wir von Jahr zu Jahr, von Generalversammlung zu Generalversammlung.“

Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen soll am 19. Oktober mit einem beschwingten Festakt in Impfingen gefeiert werden – mit viel Musik, zahlreichen Erinnerungen, lustigen Anekdoten und vielleicht auch der Aussicht auf heiß ersehnte neue Mitglieder. „Für sie“, sagt Marlene Bundschuh, „würden wir sogar unser Liedgut noch moderner gestalten.“

Kaum noch Zuwachs

Der Sängerbund Badisch-Franken hatte 2001 noch fünf Sängergruppen und 84 Vereine, teilte sein Pressesprecher Reinhard Haas mit.

2018 war der Sängerbund inzwischen organisatorisch in sechs Sängergruppen aufgeteilt und zählte 72 Vereine sowie 83 Chöre mit insgesamt etwa 5.000 aktiven und passiven Mitgliedern.

In diesem Jahr sind es jetzt noch 67 Vereine mit einer sicherlich geringeren Sänger- und Mitgliederzahl, wie Reinhard Haas vermutet: „Es gibt eben noch Vereine, in denen zwar gesungen wird beziehungsweise die singfähig sind, die aber kaum noch Zuwachs im aktiven Bereich haben.“

„Leider“, fügt er hinzu.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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