Odenwald-Tauber/Heilbronn. Seit 1. April ist die Legalisierung von Cannabis offiziell. Neben der Eindämmung des Schwarzmarktes sind ein verbesserter Jugend- und Gesundheitsschutz für Konsumenten Ziele dieses neuen Gesetzes. Heilbronns Polizeipräsident Frank Spitzmüller indes mutmaßt einen „deutlichen Mehraufwand“ für seine Beamten, wie er im FN-Interview betont. Aus seiner Sicht spielen hierbei „anscheinend qualifizierte Fachmeinungen im Ergebnis eine untergeordnete Rolle“.
Herr Spitzmüller, wie beurteilen Sie die Legalisierung von Cannabis durch die Bundesregierung?
Frank Spitzmüller: Eine Entlastung sehe ich so nicht. Im Gegenteil, die Überwachung der komplexen Regelungen und vor allem die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit lassen für uns deutliche Mehraufwände erwarten. Auch im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes sehen wir durch das neue Gesetz erhöhten Handlungsbedarf in der Aufklärung in diesem Bereich. Die Auswirkungen des Konsums auf eine altersgerechte Entwicklung geraten in den Hintergrund und die bisherigen Bemühungen zum Kinder- und Jugendschutz werden konterkariert. Für mich ist das Gesetz dahingehend eher ein „Tanz auf der Rasierklinge“.
Justiz, Ärzte, Psychologen und auch Vertreter der Polizei haben die Umsetzung, wie sie am 1. April erfolgt ist, im Vorfeld vielfach moniert und kritisiert. Hätten auch Sie sich ein abgestimmteres Vorgehen gewünscht?
Spitzmüller: Sicherlich. Anscheinend spielten die qualifizierten Fachmeinungen im Ergebnis dann eine untergeordnete Rolle. Damit müssen wir leben.
Glauben Sie denn an den Erfolg dieser Maßnahme, durch die der Schwarzmarkt dauerhaft zurückgedrängt werden soll?
Spitzmüller: Es besteht die begründete Gefahr, dass sich die Cannabis-Legalisierung zu einem Konjunkturprogramm für die organisierte Rauschgiftkriminalität entwickeln könnte. Die legalen Abgabemöglichkeiten über die „Anbauvereinigungen“ werden den jährlichen Bedarf in Deutschland nicht decken können und stehen in direkter Konkurrenz zum Schwarzmarkt. Dieser ist bereits etabliert, preislich attraktiv, unbürokratisch und kann nach den Vorstellungen des Gesetzes bis zur Besitzgrenze von 25 Gramm jedenfalls vom Käufer künftig völlig legal in Anspruch genommen werden.
Der illegal gewerbsmäßig handelnde Rauschgiftdealer wird seine Arbeit aufgrund des Gesetzes wohl nicht einstellen. Der will weiterhin Geschäfte machen – sprich Geld verdienen – und wird sein Angebot zielgruppenspezifisch, preislich und mengenbezogen anpassen. Die organisierte Kriminalität wird bildlich gesprochen weiterhin „blühen“. Alles andere wäre eine blauäugige Darstellung. Bezogen auf die weiterhin rechtswidrigen Umgangsformen mit Cannabis sowie andere Betäubungsmittel gilt: Wir tolerieren in Baden-Württemberg keine offenen Rauschgift- und Cannabis-Szenen. Der Handel mit Cannabis wird konsequent strafrechtlich verfolgt, besonders im Hinblick auf die cannabisbezogene Organisierte Kriminalität.
Wie gestaltet sich prinzipiell die Situation diesbezüglich im Bereich des Polizeipräsidiums Heilbronn?
Spitzmüller: Die Polizei hat sich auf die Teil-Legalisierung von Cannabis, soweit möglich, vorbereitet. Um den geplanten Neuerungen gerecht zu werden, ohne die innere Sicherheit zu gefährden, werden wir weiterhin in den Bereichen Jugendschutz und Verkehrssicherheit Aufklärungsarbeit leisten. Zu diesem Zweck werden wir Kinder und Jugendliche über Wirkungsweisen, Risiken und Gefahren von Cannabiskonsum aufklären, wie das schon seit Jahren in gut bewährter Praxis und Zusammenarbeit mit den Schulen erfolgt. Erfahrungsgemäß ist fehlende Verkehrstüchtigkeit eine der häufigsten Unfallursachen für tödliche Verkehrsunfälle. Wir erwarten einen Anstieg von berauschten Verkehrsteilnehmenden, mehr schwere Verkehrsunfälle und mehr Verunglückte. Über 6000 landesweit festgestellte Fahrten unter dem Einfluss von Cannabis 2023 belegen, dass viele Menschen kiffen und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen können.
Und wie hat sich zuletzt der illegale Rauschgiftmarkt in der Region insgesamt entwickelt?
Spitzmüller: Der illegale Handel und Schmuggel mit Betäubungsmitteln im Main-Tauber-Kreis ist im vergangenen Jahr rückläufig, zumindest was das uns bekannte „Hellfeld“ anbelangt.
Die Freigabe der Droge bedeutet für Ihre Behörde sicherlich ein Mehr an Arbeit. Wie sehen denn die konkreten Pläne aus? Wie gehen Sie mit dem neuen Ist-Zustand um?
Spitzmüller: Den Polizeibeamten wurden Informationen zu der Thematik und Hinweise auf möglichst pragmatische Vorgehensweisen mitgeteilt. Wir werden intern weiterhin über die aktuellen Regelungen und Vorgehensweisen informieren und dabei auf Sicht fahren. Wenn uns eindeutige Verstöße bekannt werden, dann werden wir diese verfolgen. Hierzu finden enge Abstimmungen mit der Staatsanwaltschaft und den zuständigen Behörden statt.
Mit welchem zeitlichen und personellen Mehraufwand rechnen Sie, wenn sich die neue Situation „eingespielt“ hat?
Spitzmüller: Die Polizei wird durch das Cannabis-Gesetz nicht entlastet. Ganz im Gegenteil, sind durch die Überwachung der Konsumverbotszonen, die feingliedrige Abgrenzung zwischen legalem und illegalem Umgang mit Cannabis und mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit deutliche Mehraufwände zu erwarten.
Gibt es Überlegungen und Chancen, mehr Personal im Präsidiumsbereich anzufordern, um die zusätzlichen Aufgaben bewältigen zu können?
Spitzmüller: Da sich die Thematik im gesamten Land auswirkt und auch dort die Mehraufwände spürbar sind und weiterhin sein werden, ist nicht nur allein das Polizeipräsidium Heilbronn betroffen. Grundsätzlich benötigen wir natürlich Personal, um unsere Aufgaben in allen Bereichen zu bewältigen, besonders da das Polizeipräsidium Heilbronn mit Blick auf den polizeilichen Zuständigkeitsbereich großstädtisch und zugleich ländlich geprägt ist
Was kommt dabei vor allem auf Ihre Beamten konkret zu?
Spitzmüller: Der illegale Handel mit Cannabis muss auch nach einer Teil-Legalisierung weiterhin konsequent strafrechtlich verfolgt werden, besonders im Hinblick auf die cannabisbezogene organisierte Kriminalität. Allerdings werden die Ermittlungen zur Überführung von Rauschgiftdealern schwieriger, da einzelne Deliktbereiche vom Verbrechen zum einfachen Vergehen gesetzlich herabgesetzt wurden. So stehen uns manche verdeckten Ermittlungsmethoden in dem Maße nicht mehr zur Verfügung. Auch Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit sowie Überwachung von Konsumverbotszonen und die Verfolgung der Vielzahl an neu geschaffenen Ordnungswidrigkeiten lassen deutliche Mehraufwände erwarten.
Ist dadurch zu befürchten, dass die Polizei in anderen Bereichen eingeschränkt werden könnte?
Spitzmüller: Für eine belastbare Aussage fehlen hier die Erfahrungswerte. Wir werden unsere polizeilichen Maßnahmen aber auch künftig danach ausrichten, dass die Bevölkerung sicher lebt. Die Bürger verlassen sich auf ihre Polizei. Und das ist stets unser Anspruch.
Was ist denn Ihr Appell an die Cannabis-Konsumenten in der Region – sowohl in Heilbronn als auch in den ländlichen Gebieten?
Spitzmüller: Bekifft ein Kraftfahrzeug oder ein Fahrzeug führen, bleibt weiterhin verboten – also Hände weg vom Steuer oder Lenker. Wir schützen die Verkehrssicherheit. Hierzu werden wir unsere polizeilichen Verkehrskontrollen zur Bekämpfung von „Drogenfahrten“ intensivieren und festgestellte Verstöße konsequent verfolgen. Da gibt’s kein Pardon. Der Kinder- und Jugendschutz hat oberste Priorität. Wir schützen unsere Kinder, und unsere Jugend und geben hier keinen Zentimeter nach. Zu diesem Zweck werden wir auch weiterhin Kinder und Jugendliche über Wirkungsweisen, Risiken und Gefahren von Cannabiskonsum aufklären.
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar Legalisierung von Cannabis - handwerklich eine Katastrophe