Tauberbischofsheim. „Beim Einkaufen, beim Sport, in der Fußgängerzone oder auch auf dem Weihnachtsmarkt: Überall wurde ich angesprochen“, sagt Heidi Stumpf und lacht, auch wenn ihr in der Sache nicht zum Lachen ist. Die Situation in den Kindertagesstätten hatte die ehemalige Kita-Leiterin so sehr bewegt, dass sie sich Ende November an die FN wandte. In dem Artikel hatte die Tauberbischofsheimerin die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen ganz allgemein sowie den neuen Erprobungsparagrafen im Besonderen scharf kritisiert.
Kitaleiterin erfährt positive Resonanz
Dass sie mit ihren Sorgen in die Öffentlichkeit ging, bereut Heidi Stumpf keineswegs, im Gegenteil. „Viele sagten mir, ich hätte ihnen aus der Seele gesprochen. Es gab wirklich niemanden, der sich negativ geäußert hat“, sagt sie nun gegenüber den FN. Als die Vorabendausgabe mit dem Bericht online war, kamen schon die ersten Reaktionen, berichtet sie weiter: „Eine Mutter bedankte sich, dass sie mit ihren Nöten und Bedenken ernst genommen wird und jemand die Fakten auf den Tisch legt. Viele bedankten sich auch für meinen Mut. Ich habe ja frei weg von der Leber gesprochen, schließlich habe ich nichts zu verlieren“, sagt sie und berichtet, dass der Artikel über sie auch in etlichen WhatsApp-Gruppen herumgeschickt wurde und sogar Thema von Teamsitzungen in Kindertagesstätten war. Sie lacht und meint: „Bei manchen Anrufern fragte ich mich allerdings wirklich, woher sie meine Nummer hatten, denn ich stehe ja nicht im Telefonbuch.“ Auch dass sie groß auf dem neuen Roadside-Screen der FN an der Mergentheimer Straße prangte, belustigt sie: „Jemand rief mich an und sagte: Heidi, du bist riesig auf der digitalen FN-Tafel zu sehen.“
Etliche Kontaktaufnahmen erhalten
Sie betont, dass sie nicht nur von Erziehern, sondern auch von pädagogischen Assistenten an Schulen, von Therapeuten oder Menschen, die im kirchlichen Bereich tätig sind, kontaktiert wurde. „Lehrkräfte aus der gesamten Region schilderten mir ihre Nöte, ein Rentner sprach mich an und meinte, dass die Situation auch eins zu eins auf die Pflege übertragbar sei.“ Überall fehlten Arbeitskräfte, überall wäre keine Verbesserung spürbar, dabei, findet sie, seien diese Berufe doch allesamt so wichtig. Unter diesen Bedingungen könne schlichtweg keine gute Arbeit geleistet werden, mit der man wirklich jedem gerecht werde.
Auch zwischen den Jahren, erzählt Heidi Stumpf, bekam sie weiterhin Reaktionen auf ihre Aussagen im FN-Bericht. Immer wieder bedankten sich Menschen bei ihr, dass sie die Wahrheit gesagt habe. „Vielleicht können wir was bewirken!“, meint sie hoffnungsvoll und sieht das Gesellschaftsjahr, das nun wieder im Gespräch ist, als Schritt in die richtige Richtung, um die Kitas und den Pflegesektor zu unterstützen. Jedoch brauche es dazu ein gutes Konzept.
Heidi Stumpf denkt zurück an ihre Zeit als Leiterin der Kita St. Martin. „Heute könnte ich das nicht mehr leisten“, sagt sie ehrlich und erklärt: „Wenn man morgens schon mit dem Gedanken aufwacht, dass hoffentlich niemand im Team krank ist, und wenn doch, wie man die Situation am besten meistert, nimmt einem das die Freude am Beruf doch sehr. Am schlimmsten ist es, wenn nur eine Notbetreuung zur Verfügung steht und man viele Eltern, die nicht berufstätig sind, wieder mitsamt ihrem Kind nach Hause schicken muss.“
Erziehungswesen: Prävention wird vernachlässigt
Doch, fragt sie sich, sollten diese Notbetreuung nicht auch Eltern nutzen dürfen, die zuhause sind, deren Kinder aber nicht nur Deutsch, sondern auch den Umgang mit anderen Menschen lernen müssen? Heidi Stumpf sagt: „Die Politik muss viel mehr in die Prävention stecken, das geschieht aber weder im Gesundheits- noch im Erziehungswesen.“ Sie erwähnt die Early Excellence Center in Großbritannien, eine Art Elternbildungseinrichtungen, die Schwangere besuchen und dort alles über Säuglingspflege und Ernährung lernen. „Sie treffen dort auf andere Frauen, können sich austauschen und diese Einrichtung auch nach der Geburt weiter aufsuchen. Hier dagegen wird erst gehandelt, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, also zum Beispiel nicht sozial verträglich ist.“ Sie meint: „Wenn ich Politikerin wäre, hätte ich mich vor Jahren schon für einen Erziehungsführerschein eingesetzt. Für alles braucht man in Deutschland eine Qualifikation, nicht aber für die Erziehung eines Kindes. Man bekommt sein Kindergeld – ob man sich um die Kinder kümmern kann oder nicht. Solch ein Erziehungsführerschein wäre doch zum Wohle aller. Man unterstützt dadurch die Eltern und gibt ihnen wichtige Tipps, die ihnen dann im Alltag mit ihrem Kind sehr nützlich sein werden. Wer solch einen Führerschein vorweisen kann, bekommt Kindergeld, wer die Kurse nicht besucht, erhält eben keines“, so ihr Vorschlag. Heidi Stumpf will das nicht als Bevormundung verstanden wissen, sondern als Instrument zum Wohle der Kinder.
Sie erinnert sich, wie sie selbst einmal als Kita-Leiterin eine junge Mutter mehrerer kleiner Kinder an den Caritasverband vermittelte. „Jeden Morgen kam sie fix und fertig mit ihren Kindern zu uns. Als Leiterin ist man natürlich nicht für das Wohlergehen der Eltern, sondern das ihrer Kinder verantwortlich, doch wenn es ihnen gut geht, geht es auch den Kindern gut.“
„Ein fürchterlicher Spagat“ für Kita-Leitungen
Für die Kita-Leitungen hat sie besonders großes Verständnis: „Sie haben tagtäglich einen fürchterlichen Spagat zu vollbringen – sie sind Vorgesetzte, aber auch Teammitglied, dann sind sie ,Elterncoach’, Pädagoge und haben auch noch die Verwaltungsaufgaben zu bewältigen, für die Erzieher aber gar nicht ausgebildet werden.“ Heidi Stumpf: „Alles wird immer mehr anstatt weniger. Und dabei verdient eine Leitung nicht wesentlich mehr als eine Erzieherin im Gruppendienst, die ihrerseits ja auch noch andere Aufgaben zu erledigen hat. Ihre Forderung: Eine Aufwertung des Erzieherberufs muss dringend, und nicht nur finanziell, erfolgen. Nachdem aus ihrem Weihnachtswunsch nun nichts geworden ist, formuliert Heidi Stumpf es nun eben genauso nachdrücklich als Wunsch für das neue Jahr: „Ich hätte gern, dass Politiker zum Hospitieren in die Kitas kommen.“
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