Erlenbach. „Die gefüllten Sandsäcke liegen in der Scheune – direkt neben den Brettern für die Türen“, beschreibt Doris Ebert die aktuelle Situation bei ihnen in der Blumenstraße 11. Sie und ihre Familie sind jederzeit auf ein mögliches Hochwasser vorbereitet. An der Haustür sieht man die Bohrlöcher, die bereits früher dafür genutzt wurden, um Bretter anzubringen, die das Wasser daran hindern sollen, ins Haus zu laufen. „Aber ganz halten die das Wasser auch nicht zurück“, weiß sie aus Erfahrung.
Große Sorge
Doch nicht nur Doris Ebert geht es so. Auch andere Familien, die zwischen der Blumenstraße und dem Erlenbach wohnen, fürchten sich vor Wassermassen, die sich den Weg in ihre Scheunen, Häuser und Vorgärten bahnen und alles zerstören, was nicht niet- und nagelfest ist oder in Sicherheit gebracht wurde.
Der Hochwasserschutz ist in Erlenbach schon lange ein Thema (wir berichteten). Die Stadt Ravenstein will das Gelände rund um das Gewässer umgestalten und somit dafür sorgen, dass im Falle eines Hochwassers nicht direkt das halbe Dorf unter Wasser steht. Das soll im Rahmen einer Flurneuordnung geschehen. Konkret geht es um die angrenzenden Schrebergärten zwischen den zwei Brücken in der Blumenstraße und oberhalb der Brücke Richtung Ballenberg. Ein Bereich des Wasserrandstreifens soll dort abgegraben werden (siehe Infobox), wodurch eine zusätzliche Fläche entsteht, wo sich das Wasser ansammeln kann, bevor es abfließt.
Wenige Bürger sind dagegen
Doch das klappt nur, wenn alle Grundstückbesitzer mitmachen. Sollten die Eigentümer ihren Garten abtreten, bekämen sie nach Durchführung der Maßnahme einen wertgleichen Neuzuschnitt ihres Gartens. Das versichert die Stadt. Allerdings fehlt von wenigen Anliegern noch die Zustimmung.
Für die Familien Ebert und Steinbrenner ist das völlig unverständlich. Sie sind allesamt Anwohner am Bach und wären direkt betroffen, sollte es zu Überschwemmungen kommen. So wie in der Nacht des 20. Dezember 1993. Es hatte seit dem Nachmittag geregnet und der Pegel des Erlenbachs ist immer weiter angestiegen. Auch als es in die Nacht ging, fiel nach wie vor Regen.
„Das Wasser stand schon im Keller und plötzlich lief es 20 Zentimeter hoch durch die Straße“, erinnert sich Christine Steinbrenner zurück. Zahlreiche Häuser waren überflutetet, Scheunen standen unter Wasser und die Blumenstraße, die durchs Dorf führt, glich einem Fluss. „Wir waren komplett eingeschlossen. Es ging nichts mehr“, beschreibt sie die Situation. Ihr Mann Bernhard Steinbrenner, aktuell stellvertretender Ortsvorsteher, war zu diesem Zeitpunkt Mitglieder der Werksfeuerwehr bei Audi. Sie rief ihn nachts im Dienst an, doch Bernhard Steinbrenner konnte erst nach dem Ablaufen des Wassers nach Hause kommen. „Da bekomme ich jetzt schon wieder Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich war mit den zwei Kindern damals ganz allein“, sagt Christine Steinbrenner. In ihrer Scheune standen das Auto und der Traktor – beide sind „abgesoffen“.
Nur ein Haus weiter betrieben Meggi und Helmut Steinbrenner ihre Bäckerei. Auch sie wurden von dem plötzlichen Hochwasser überrascht und machten sich natürlich Sorgen um die Backstubengeräte, das Mehl und ihr restliches Hab und Gut. Sie riefen einen Freund an, der als Elektriker arbeitete und nur drei Häuser weiter wohnte, um im Bereich der Backstube den Strom abzustellen. „Er kam danach nicht mehr nach Hause. So schnell ist das Wasser gestiegen“, erinnert sich Meggi Steinbrenner. Und dabei wollte der Freund doch auch bei sich zu Hause alles sicher machen.
Ortsvorsteher Reinhard Belzner weiß noch, dass die Feuerwehr im Dauereinsatz war: „Die wussten nicht, wo sie anfangen sollen, weil jeder meinte, bei ihm stünde das Wasser höher – und es gab ja nur eine Pumpe.“
Die Eberts machten sich Sorgen um die Schwiegermutter, die ebenfalls von den Wassermassen eingeschlossen in ihrem Haus saß. „Wir kamen nicht zu ihr, um nach dem Rechten zu sehen. Ich habe nur gehofft, dass sie nicht nach unten geht“, schildert Doris Ebert ihre Sorgen.
So soll Erlenbach vor Hochwasser geschützt werden
- Die Hochwasserschutzmaßnahme am Erlenbach teilt sich in drei Bereiche: Einer liegt zwischen den zwei Brücken in der Blumenstraße, die zwei weiteren Bereiche ober- und unterhalb davon.
- Der Bereich unterhalb der Brücke in Richtung Aschhausen ist bereits abgeschlossen. Die anderen beiden Bereiche können erst abgeschlossen werden, sobald die Unterschriften der Unentschlossenen vorliegen und die weitere Planung vorangetrieben werden kann.
- Etwa 26 Gartengrundstücke zwischen den zwei Brücken sind betroffen. Dort sollen umfangreiche Bauarbeiten zum Hochwasserschutz durchgeführt werden.
- Dazu sollen zwischen fünf und sechs Meter des Randstreifens bis zu 20 Zentimeter über dem Wasserniveau abgegraben werden. So entsteht eine zusätzliche Fläche auf der sich das Wasser ausbreiten kann, ehe es zu Überflutungen kommt. Außerdem sollen Schutzwände auf Häuserseite aufgebaut werden.
- Bisher fehlt von wenigen Anliegern die Zustimmung ihre Grundstücke der Flurneuordnung zur Verfügung zu stellen. So konnte die Maßnahme, die bereits seit 2005 läuft, nicht beendet werden.
- 150 000 Euro wurden bereits in Planungen zum Hochwasserschutz investiert. Die Kosten für das Vorhaben übernimmt das Land Baden-Württemberg zu 80 Prozent, weitere 15 Prozent trägt die Gemeinde, fünf Prozent entfallen auf die Teilnehmergemeinschaft. nb
„Das Ahrtal in klein“
„Das war damals das Ahrtal in klein“, ist sich Bernhard Steinbrenner sicher. Denn erst nachdem das Wasser wenige Stunden später wieder aus Erlenbach zurückgegangen war, konnte man das Ausmaß der Katastrophe überblicken. Eine Umfrage ergab, dass es rund 1,5 Millionen D-Mark an versicherungsgedeckten Schäden waren. Der zurückgelassene Schlamm war Wochen oder gar Jahre danach noch sichtbar. „Aber das ist ja nicht alles. Wenn Geräte erst später kaputt gingen, wurde das von der Versicherung nicht mehr erfasst“, erklärt Bernd Ebert. „Die kleinen Stegen am Erlenbach waren nicht mehr da, bei einer Brücke fehlten die Dielen, überall lagen Dreck und Schutt und das Schwemmgut war mit Heizöl und Diesel belastet“, beschreibt Bernhard Steinbrenner das Szenario. Noch Tage und Woche später wurde Unrat auf dem Parkplatz nahe dem Sportgelände gesammelt.
Können nicht schlafen
Jedes Mal, wenn wieder Starkregen eintritt, haben die Familien Angst, schlafen zu gehen. Zu groß ist die Sorge, dass wieder alles unter Wasser steht, weggespült wird und sie nichts dagegen tun können. „Ich stehe mehrfach in der Nacht auf und laufe zum Bach, um zu sehen, wo das Wasser steht“, erklärt Christine Steinbrenner. „Man überlegt, was man als Erstes wegfahren müsste und was man hochräumen kann.“
Die Familien sind sich sicher: „Wir wollen mit der Angst nicht mehr leben.“ Deshalb hoffen sie, dass die Hochwasserschutzmaßnahme umgesetzt wird. Immer öfter kommt es vor, dass der Erlenbach ansteigt und nur wenige Zentimeter fehlen, bis wieder alles überflutet wird.
„Die Informationsveranstaltung vor einigen Tagen war eine gute Sache“, sagt Bernd Ebert überzeugt. So konnten einige der fehlenden Anlieger überzeugt werden, doch zu unterschreiben und ihr Grundstück für die Planung des Hochwasserschutzes freizugeben. Doch alle haben immer noch nicht zugestimmt. Und so bangen die Familien Steinbrenner, Ebert und alle weiteren Anrainer des Erlenbachs weiter bei jedem Unwetter um ihr Zuhause.
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