„Woyzeck“ von Büchner

Menschen wie Tiere in Käfigen gehalten

Karlsruher Theater zeigt Ein-Mann-Stück vor Oberstufenschüler des Ganztagsgymnasiums Osterburken. Ästhetische Bildung

Von 
GTO
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Puppen wie Untote beim Ein-Mann-Stück „Woyzeck“ mit Schauspieler Ruven Honnef am GTO. © Christian Göckel

Osterburken. Das „THEATERmobileSPIELE“ aus Karlsruhe hat vor Oberstufenschülern des Ganztagsgymnasiums Osterburken (GTO) das Stück „Woyzeck“ von Georg Büchner aufgeführt.

„Meine Herren! meine Damen! Sehn sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht, nix, gar nix. Zeig‘ dein Talent! Zeig deine viehische Vernünftigkeit!“ schrieb Georg Büchner in seinem Sozialdrama „Woyzeck“. Nicht nur er wird gleichsam traktiert und entmenschlicht.

Wie in einem Käfig

Präsentiert wurde das Stück von einem einzigen Schauspieler, der sich – wie in einem Käfig in unmittelbarer Nähe der Schüler – in Woyzecks menschenverachtende Lage hineinfallen ließ und die Jugendlichen – unterstützt von fast lebensgroßen Puppen – im sprichwörtlichen Sinne hautnah mitnahm.

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Ungefähr 30 Jahre nach dem Tod von Georg Büchner wurden die ersten Menschenschauen gezeigt: Menschen wie Tiere in Käfigen gehalten und ausgestellt. Die Inszenierung von Regisseur Thorsten Kreilos nimmt diesen Sachverhalt als Ausgangspunkt, um sich dem Kosmos von Woyzeck zu nähern. Woyzeck erscheint in diesem Sinne als „astronomisches Pferd“, als geschlagenes Ausstellungsstück, als Laborratte, als gehetzter Straßenköter. Mit fiebrigen Augen durchwühlt er Kleiderberge, die textilen Überreste von Menschen, deren Blut in den Fasern klebt und die Geschichte von Gewalt erzählen, die der Mensch dem Menschen angetan hat und immer wieder antut. Man denke nur an Auschwitz oder die ukrainischen Städte. Es ist eine Welt im apokalyptischen Zerfall. Woyzeck erkennt die Wahrheit und den Verrat, gegen die er aber machtlos ist. Folgerichtig landet sein Kind im Müll beziehungsweise am Zaungitter.

Leichenkleider und Kleiderleichen sind auch die inneren Figuren der Geschichte Woyzecks. Sie stehen vor den Augen der Jugendlichen und ihrer Lehrer wieder auf. Wie Untote tauchen sie als Puppen, als Figurenfratzen aus dem Kleidermeer auf: Marie, der Tambourmajor, der Doktor, der Hauptmann. Es ist völlig egal, wie sie aussehen, auch sie sind in gewisser Weise Opfer der Umstände. Wie in einem Traum spielt Woyzeck seine Erlebnisse, die andernorts und zu einer anderen Zeit in seiner Biografie real stattgefunden haben, noch einmal fast zwanghaft für sich durch. Ein durchaus denkbarer Revolutionsausruf gegen die unterdrückende Obrigkeit unterbleibt, da selbst die unteren Schichten des Volkes sich gegenseitig neidzerfressen zerfleischen.

Zuschauer als Voyeure

Die Zuschauer sind die Voyeure, die dieser „Menschenschau“ beiwohnen. Insofern wird der in diesem Fall aus dem Off operierende Marktschreier aus Büchners Dramenfragment zur dramaturgischen Klammer, zum Überbau: Woyzeck selbst wird in dieser Jahrmarktsbude ausgestellt. Auf dem kapitalistischen Markt wird er zur zynischen Allegorie für die überall verratenen Menschen, für die die Mitmenschen kein Auge haben, die sich immer schon in den schattigen Ecken irgendwelcher Hinterhöfe herumdrücken, sich in Altkleider-Containern wegducken und ihrem eigenen Getriebensein hinterherdackeln. So sind die Menschen.

Oberstudienrat Oliver Schröder, Fachschaftsleiter für Deutsch, war für die Organisation verantwortlich. Unterstützt wurde er von den Fachlehrern der beteiligten Kurse. Woyzeck ist in diesem und im nächsten Schuljahr Abiturthema.

Schauspieler Ruven Honnef nahm sich im Anschluss an sein 70-minütiges Spiel Zeit, um mit den beiden Jahrgangsstufen die Interpretation nachzusprechen. Fordernde Rollen können einen schon mitnehmen, gerade die Empfindungen der Figur des Woyzeck, dessen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, sagte Honnef. Insgesamt habe er, der seit einem Jahr als professioneller Schauspieler arbeite und für einen erkrankten Kollegen eingesprungen sei, nur zwölf Tage Zeit zur Vorbereitung gehabt. Das Bühnenbild sei Interpretationssache: Ist Woyzeck im eigenen geistigen Zustand eingesperrt? Ist es ein Schlachtfeld? Zudem laufe jedes Stück immer etwas anders ab, weil die Bedingungen unterschiedlich sind.

Das veranstaltende „THEATERmobileSPIELE“ ist ein freies, in Karlsruhe ansässiges und in ganz Baden-Württemberg agierendes Profi-Theater, das sich ausschließlich mobilen Theaterproduktionen widmet. Es kommt in die Schule, in das Klassenzimmer. Dabei will das Theater den Schülern sehr nahe sein.

Fiktionaler Alltagsraum

Diese Spielsituation ist im Sinn von ästhetischer Bildung bestens geeignet, einen gewohnten funktionalen Alltagsraum mit neuen Blickwinkeln aufzuladen, mit Phantasie in einen fiktionalen Raum zu verwandeln, als einen möglichen Ort für Geschichte(n) „erscheinen“ zu lassen.

Man versenke sich einmal in das Leben des Geringsten – Das tut Büchner mit Woyzeck allegorisch und politisch kritisch. Gefördert werden die Aufführungen von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. GTO

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