Kultur - Begeistertes Publikum feiert Orpheus-Version / Karnevalistisch bunt und satirisch spitz

Frankenfestspiele Röttingen: Köstlich frivol und anspielungsreich

Immerhin nur phasenweise ging es bei der zweiten großen Premiere des Festspielsommers feucht zu. Das Publikum ließ sich den Abend durch den Regenguss nicht vergällen und genoss Offenbachs „Orpheus“.

Von 
Inge Braune
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Cancan, natürlich! Was wäre Orpheus in der Unterwelt auch ohne den Galop infernal! © Inge Braune

Röttingen. Zu Offenbach, dem Erfinder von Cancan und Operette, muss man kaum etwas sagen, außer: Er war ein echter Kölscher Jung, der der Musik zuliebe Franzose wurde. Auf die vierzig ging er zu, als er mit „Orphée aux Enfers“, der karnevalistisch bunten, satirisch spitzen und musikalisch frechen Operette den Durchbruch erlebte.

Die Röttinger Fassung treibt das Vexierspiel um die altgriechische Götter- und die Pariser Gesellschaftswelt noch ein paar Schrittchen weiter - und Offenbach, geboren als Jakob, siebtes von zehn Kindern, würde sich ob dieser Fassung - nein, nicht im Grabe umdrehen. sondern sich stellenweise schlicht kringeln und kugeln vor Vergnügen. Der Inhalt ist bekannt? Falls nicht, nur kurz: Ehekrach und Seitensprünge im Himmel (Juno versus Jupiter) und auf Erden (Orpheus vs. Eurydike); Höllenfürst Pluto verführt als Honig- beziehungsweise Röttingen gemäß als Weinhändler Eurydike, die weniger an den Seitensprüngen als vielmehr an der Musik ihres Gatten verzweifelt. Ihre Entführung in die Unterwelt erfreut die beiden Eheleute – zunächst. Pech, dass die öffentliche Meinung – altgriechisch wäre das der Chor – dem qua Entführung verwaisten Musikus die Pistole auf die Brust setzt und ihn zwingt, bei Jupiter die Herausgabe seiner Veruntreuten einzufordern. Zwecks Klärung der Affäre wird zunächst Pluto zum Olymp zitiert, dann rauscht die Götterwelt samt irdischem Anhang gen Hades, um Eurydike dort aufzuspüren. Finale grande. Kurz genug?

Streitbares Ehepaar: Orpheus (Sebastian Ciminski-Knille) und Eurydike (Anne Steffens). © Inge Braune

Glücklich selbstverliebt

Entzückend, stimmlich wie mimisch wandelbar, mal schmollend, mal in sphärischem Höhenflug, durchgehend mit nie übertrieben ausgespieltem komischen Talent präsentiert Anne Steffens die Eurydike. Und Sebstian Cimanski-Knille gibt einen schön überzogen als glücklich selbstverliebt Verlassener, eher unmutig und unwillig Rückfordernder gestalteten Orpheus.

Im Götterpaar Juno und Jupiter – erbost Antje Eckhoff-Fieber, ertappt Martin Sommerlatte – steht Juno rollengerecht eher im Schatten, denn Venus (Lisa Ziehm, stimmstark, herrlich als verführerisches XL-Model agierend) und Diana (Frederike Faust als frivol-revoltierende Kämpferin für weibliche Freiheiten) stehlen ihr die Schau. Umwerfend komisch Daniel Ebert als Götter-Dealer Merkur und Styx.

Fehlen noch Pluto und die Öffentliche Meinung. Wolfram B. Meyer - schön schelmisch im Gewand des Aristeus, gekonnt schnodderig als Pluto auf Stippvisite im Olymp und höllenfürstlich im eigenen verruchten Reich. Und diese Öffentliche Meinung: Zum Schreien! Vom Allerfeinsten ist diese im Kostümchen auf Stöckelschuhen umherstaksende Bürokraten-Selbstherrlichkeit hinter Paragraphenverhau und strenger Brille, die Angela H. Fischer da auf die Bühne bringt.

Neun Profis und acht ambitionierte Amateurdarsteller aus der Region (Helmut Aulenbach, Monika Berberich, Peter langer, Stefanie Leimeister, Nina Rainer, Theresia Richter, Petra Wolf und Ringo Wunderlich) bringen unter der Regie von Matthias Kaiser einen Orpheus auf die Bühne, der selbst bei Regenwetter ein Vergnügen ist – zumindest fürs Publikum. Zu den gewagten Nosferatu-Sprüngen, die Petra Wolf beim großen Finale aufs nasse Parkett legte, gehörte schon einiges, und unter diesen Bedingungen auf den High-Heels der Öffentlichen Meinung einen Cancan auch nur anzudeuten, ist auch gewagt. Chapeau! Choreographin Veronika von Lauer-Münchhofen dürfte mit der Umsetzung hoch zufrieden sein.

Mit dem E-Roller landet Merkur (Daniel Ebert) schneller als der Schall wieder im Olymp bei Juno (links Antje Eckhoff-Fieber) und Jupiter (Matthias Vieweg). © Inge Braune

Götter im Saunamantel

Aufs Perfekteste zeigt sich das Zusammenspiel von Regie, Choreographie, Bühnenbildner (Dirk Immich), Kostümbildnerin (Angela C. Schuett) und Musikalischer Leitung (Rudolf Hild) im Olymp-Szenario: Da dämmern die Götter im weißen Saunamantel, Socken und Wellnessclogs auf Klappliegestühlen, räkeln sich im Dämmerschlaf und lassen kratzend die Laus von Gott zu Göttin und so weiter springen - das Publikum kommt aus dem Glucksen kaum mehr heraus.

Köstliche Gimmicks hat Regisseur Kaiser sich einfallen lassen: Da saust Merkur auf einem E-Roller durch den Olymp, braust eine Revolte gegen zu viel Nektar und Ambrosia auf und ist das Jupiter-Entlarvungslied ein Kabinettstückchen von Rang. Wenn dann noch Uli Styx im Hades Eurydice mit seinem Weltmeisterschuh bezirzen will, Jupiter in Men in Black-Manier zwar nicht das Gedächtnis, wohl aber die Stimme der Öffentlichen Meinung wegblitzt, wenn nicht nur die immer wieder regionale Anspielungen einflicht, das Festspielorchester den Sound des Offenbachschen Orpheus perfekt trifft und die Auffrischungen dem seit 1858 aktuellen Operetten-Evergreen den Original-Charme lassen, ist nicht nur dem Anspruch der Frankenfestspiele Röttingen Genüge getan, sondern auch dem Wunsch des Publikums nach einem amüsant-beschwingten Abend auf Burg Brattenstein.

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