Röttingen. Endlich wieder Theater: Begeistert beklatscht wurde die erste Premiere auf der Röttinger Burg. Mit „Sugar – manche mögen’s heiß“ kommt eine Musical-Adaption des weltbekannten Billy Wilder-Films auf die Bühne.
Vieles hat Intendant Lars Wernecke in seiner Inszenierung charmant und publikumswirksam lösen können. Das Grundproblem liegt nicht in der Inszenierung, sondern im Musical-Stück an sich: Wilders rasante Wort- und Situationskomik kann man in diesem Kontext nicht erreichen. Wer also mit dem Film im Kopf ankommt, wird enttäuscht werden.
Man muss sich freimachen
Der Spagat der Regie ist der des Zuschauers: Nur wer sich von der Vorlage ein stückweit frei machen kann – es fehlen auch die musikalischen Nummern der Monroe – bekommt sehr gut gesetztes Theater mit witzigem Steptanz, Tempo und atmosphärischen Ruhepolen. Das macht Spaß und wenn dann mal eines der Original-Zitate kommt („Männer? Diese schrecklichen haarigen Biester?“), dann kann man auch herzlich lachen. Ein wenig ist das zwar mit dem Kopf um die Ecke rum, aber was soll’s.
Das Stück kann richtig gefallen und das hat vor allem mit dem vorzüglichen Hauptdarsteller-Duo zu tun. Sven Zinkan (Joe/Josephine/Junior Shell Oil) und Björn Boresch (Jerry/Daphne) spielen so angenehm und authentisch, dass man hinter dem nie überzeichneten Slapstick die Schlussbotschaft ernst nehmen kann: Wir sind alle Menschen – und perfekt ist niemand. So etwas wie Liebe kann „trotzdem“ gelingen, wenn jeder den Ball flach hält.
Der Inhalt von „Sugar“ ist weithin bekannt: Zwei Berufsmusiker und Schlitzohren sitzen zu Zeiten der Prohibition auf der Straße. Als sie Zeugen eines brutalen Mafia-Mordes werden, heißt es untertauchen. Und weil eine Damenkapelle just zwei Jobs für Saxophon und Kontrabass frei hat, muss man nolens volens zugreifen – in Frauenkleidern (natürlich) und mit Frauenstimme, die (natürlich) immer wieder mal in die männliche Lage fällt. Die naive Frontsängerin „Sugar“ (Marie-Sophie Weidinger) wird schnell zur Freundin und über Hochstapler-Tricks von Joe/Josephine auch zu mehr. Schwerenöter-Millionär Osgood Fielding (Hans B. Goetzfried) lässt bei „Daphne“ nicht locker. Für Zucht und Ordnung im Tanzorchester sorgen Sweet Sue (Nina Basten) und Herr Bienstock (Pascal Grote). In weißen Gamaschen ist der blutrünstige Ober-Mobster (Alexander Krüger) hinter den Flüchtigen her und man verrät nicht zu viel (weil es eh jeder weiß), dass nach dem finalen Showdown alles sich findet. Geld ist jedenfalls nützlich im Prozess und selbst die unmöglichsten Lieben können wirklich und wahr funktionieren, so verspricht es das Stück.
Weil sich das ja jede(r) für sich auch wünscht, verzeiht man letztlich alles. Kleine Unstimmigkeiten in der Ausstattung etwa: Nadelstreifenanzüge und Fedora-Hüte verweisen aufs erste Drittel des 20. Jahrhunderts, doch als Langwaffen kommen statt Tommy Guns mit Rundmagazin modernere Sturmgewehre und sogar ein Granatwerfer M32 zum Einsatz. Der würde real die ganze Bühne wegpusten – in Röttingen trifft es glücklicherweise mit MG-Sound nur den bösen Mafiaboss auf dem Damenklo. Herzergreifend kurios dessen Dahinscheiden im Steptanzmodus.
Engagierte „Extras“
Die beiden Extra-Ensembles sind fit – die Amateure aus der Region singen im Chor mit den Profis tadellos und sind immer ein Hingucker. Die Frauenabteilung als Jazzband: Hochengagiert in jeder Rolle.
Die Handlung fokussiert insgesamt aber auf die vier eingangs genannten Darsteller, die elegant und voller Spielfreude unterwegs sind. „Sugar“ hat es sicher am schwersten, denn den Monroe-Layer zu umspielen ist gar nicht so einfach. Dies gelingt Weidinger aber scheinbar ohne Mühe und äußerst sympathisch. Reduziertes, multifunktionales Bühnenbild (Dirk Immich): Das ist toll, tadellos, tiptop. Die Musik (Rudolf Hild mit Klein-Orchester) haut mit Zug dahinter ebenfalls hin. Doch, wie gesagt, was soll man zum Mitsummen spielen, wenn die wirklichen Hits fehlen?
Die Choreographie (Veronika von Lauer-Münchhofen) hat’s mit den nötigen Abständen auch nicht leicht (Schlussposen gehen halt nicht) – bespielt aber dafür die volle Bühnenbreite. Die Kostüme (Angela C. Schuett) sind angemessen retro-fashy. Da stecken Ideen für den Tauber-Sommer drin. Fein.
Fazit: Mit „Sugar“ wurde unter Corona-Bedigungen Sehenswertes auf die Bühne gestellt. Kleine Abstriche gibt’s, die der Hunger nach Theater aber leicht wieder wettmacht. „Männer in Frauen-Fummel“ funktioniert eigentlich immer – weil Lars Wernecke hier dezidiert nicht auf Schenkelklopfer aus ist, sondern seine Figuren ernst nimmt (und die Spieler das auch konsequent umsetzen), war’s und wird’s ein angenehmer und swingender Komödienabend, den man empfehlen kann.
Die Stadt Röttingen wird heuer (noch) mehr zuschießen müssen. In Besprechungen erwähnt man so etwas normalerweise nicht. Weil hier aber für Zuschauer und Bühnenkünstler etwas Lebenswichtiges am Gehen gehalten wird, kann man auch an die Adresse der Kommunalverantwortlichen einmal ein dickes Lob verteilen – und Danke sagen.
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