Mudau. Der demografische Wandel ist überall zu erkennen, auch bei den Hausärzten im Neckar-Odenwald-Kreis. „Immer mehr Ärztinnen und Ärzte gehen in den Ruhestand und zugleich kommt weniger ärztlicher Nachwuchs nach“, spricht Leonie Rodemers, Kreisentwicklerin des Landratsamts, ein großes Problem an, das künftig auf Patientinnen und Patienten zukommt. Die Folge könnte sein, dass immer mehr Praxen schließen müssen, weil sie keinen Nachfolger finden.
So verlief die Nachfolgersuche in Mudau
Ein Gegenbeispiel ist die Praxis von Hausarzt Dr. Karl Dobrick in Mudau. Er ging Ende Juni mit 73 Jahren in den Ruhestand und hat tatsächlich einen Nachfolger gefunden: Dr. Ngoc Khanh Huynh leitet die Praxis seit 3. Juli. Das war aber gar nicht so einfach, wie Dobrick im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten beschreibt: „Über einen Vermittler habe ich Kontakt zu zwei Ärzten aufgenommen, aber die sind nie erschienen“, blickt Dobrick auf die Suche zurück. Der Kontakt zu Huynh sei letztlich über Patienten zustande gekommen. „Über Bekannte von Herrn Dobrick, mit denen ich Golf spielen war, habe ich gehört, dass er einen Nachfolger für seine Praxis sucht“, erinnert sich Huynh. Eigentlich sollte die Praxisübernahme auch erst im kommenden Jahr stattfinden, nachdem zwischenzeitlich aber auch Hausarzt Dr. Rolf Schwing aus Mudau aufgehört hatte, war Huynh bereit, schon früher in Mudau zu starten. Zuvor arbeitete er 17 Jahre lang in der fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis in Walldürn.
Für den 55-Jährigen ist es seine erste eigene Praxis und damit eine große Umstellung. „Ich wollte etwas anderes ausprobieren“, erklärt er den Wechsel. Seine Kollegen in Walldürn seien in einem Alter, in dem sie demnächst aufgehört hätten. „Da habe ich gesagt, dass ich mich lieber selbstständig mache“, sagt er. In Mudau wolle er noch mindestens elf Jahre als Hausarzt arbeiten.
Bürokratie ein zentrales Problem
Doch eine solche Entscheidung und den Schritt in die Selbstständigkeit wagen immer weniger Ärzte. Aber warum ist das so? Dobrick und Huynh sind gleicher Meinung: „Das liegt an der Bürokratie.“ Es gebe immer wieder Probleme mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Abrechnung. „Da hat man immer Druck. Sie können nicht so agieren und verschreiben, wie sie wollen“, beschreibt es Dobrick. Denn Hausärzte werden durch Pauschalen bezahlt (siehe Infobox). „Wir erbringen meist mehr Leistung und Zuwendung, für die wir aber keinen Cent mehr bekommen“, erläutert Dobrick verärgert. Und Huynh fügt an: „Auch die Budgetierung und Entgeltung sind schwieriger geworden.“
Als Hausarzt kann Huynh also nicht einfach nur Patienten behandeln, er muss auch immer dokumentieren, was er den Tag über genau gemacht hat. Bei der Abrechnung mit der KV und der Kommunikation mit den Krankenkassen und Versicherungen helfen ihm seine drei Medizinischen Fachangestellten. Zu der Zeit, als Dr. Dobrick als Hausarzt angefangen hat, sei der Papierkram „weniger, aber vor allem einfacher“ gewesen. Als Beispiel nennt er eine krankheitsbedingte Frührente: „Früher habe ich da ein Formular ausgefüllt. Heute brauche ich dafür 15 Minuten und länger“, gibt er einen Einblick. Vor allem Nachfragen zu Krankheit und zu Verletzungen bei Unfällen seien zum Teil sehr zeitintensiv.
Durchschnittlich 7,6 Minuten Behandlungszeit pro Patient
Zusätzliche Verordnungen und die Behandlungszeit pro Patient seien weitere Probleme, vor denen Huynh künftig stehen wird. Laut einer Studie der Cambridge University haben Ärzte in Deutschland durchschnittlich 7,6 Minuten Zeit für ihre Patienten und belegen damit einen der hinteren Plätze in Europa. Wenn Huynh sich also 15 bis 30 Minuten Zeit für einen Patienten mit umfangreicher Krankengeschichte nimmt, dann fehlt diese bei anderen Patienten. Auch könne er zum Teil hilfreiche Medikamente nicht verschreiben, da diese von der Krankenkasse nicht bezahlt würden. Dobrick bringt es auf den Punkt: „Ich würde mir hier mehr finanziellen und zeitlichen Spielraum wünschen. Was man leistet, soll man auch bezahlt bekommen.“
Das alles sind Gründe, die vor allem junge Ärzte davon abhalten, eine eigene Praxis zu eröffnen oder zu übernehmen. „Die Bürokratie muss auf jeden Fall vereinfacht werden“, sind Huynh und Dobrick überzeugt, damit die Zahl der Ärzte mit eigener Praxis wieder ansteigt. Auch das große Thema Work-Life-Balance sei angehenden Ärzten wichtig. Als angestellter Arzt in einer Gemeinschaftspraxis sei es einfacher, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, nennt Huynh einen weiteren Grund.
Von Landarztstipendien und Landarztquoten während des Studiums häle der 55-Jährige nicht so viel: „Nein, das reicht nicht“, ist er überzeugt. Sollte ein junger Kollege es aber doch mit einer eigenen Praxis versuchen wollen, dann empfiehlt Huynh ihm, zunächst Erfahrung in einer Gemeinschaftspraxis zu sammeln, eher er sich selbstständig macht.
So funktioniert die Abrechnung von Kassenpatienten für Hausärzte
- Hausärzte rechnen ihre Leistungen für Kassenpatienten nicht direkt mit der Krankenkasse, sondern über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ab.
- Für jeden Patienten erhält der Hausarzt in der Regel eine feste Pauschale pro Quartal , unabhängig davon, wie oft oder lange der Patient in dieser Zeit behandelt wird.
- Zusätzlich zur Quartalspauschale können bestimmte Leistungen extra abgerechnet werden, zum Beispiel Impfungen, Laboruntersuchungen oder Hausbesuche.
- Die abrechenbaren Leistungen und ihre Vergütung sind im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab ) geregelt.
- Es gibt Budgetgrenzen , die festlegen, wie viele Leistungen ein Arzt pro Quartal voll vergütet bekommt; alles darüber hinaus wird schlechter oder gar nicht bezahlt .
- Die Abrechnungsdaten werden elektronisch an die KV übermittelt, meist am Ende eines Quartals .
- Nach Prüfung durch die KV erhält der Arzt sein Honorar , oft mit einigen Wochen Verzögerung. nb
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