Lauda-Königshofen. Es ist früher Vormittag im Johann-Bernhard-Mayer-Heim in Lauda. Und es ist schon allerhand los in dem Haus, das vom Caritasverband im Tauberkreis betrieben wird. Manch einer der Bewohner ist bereits rege aktiv und mit seinem Rollator auf den Gängen des geräumigen Gebäudes unterwegs. Mittendrin: drei junge Frauen. Sie lächeln freundlich, sind aber zunächst noch etwas schüchtern, als sie sich zum Gespräch mit dem FN-Reporter im Aufenthaltsraum treffen. Aber das soll sich dann schnell legen.
Ein Abenteuer verändert das Leben grundlegend
„Ich heiße Le Bui Thi“, sagt die erste leise, aber bestimmt. „Ich habe die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft gemacht und arbeite jetzt hier.“ Ihre Kolleginnen, Vui Thi Nguyen und Phuong Tran Thi Quynh, nicken zustimmend, auch sie verrichten in dem Haus ihren Dienst – als Auszubildende. Die drei Frauen aus Vietnam haben sich auf ein Abenteuer eingelassen, das ihr Leben grundlegend verändert hat.
Silvia Spinner, die Einrichtungsleiterin, lehnt sich zurück. Sie erinnert sich noch sehr gut an den Beginn. „Zu Anfang war es für uns alle wirklich schwierig, für die jungen Damen, für uns als Einrichtung und das gesamte Team“, sagt sie. „Wir wussten, das wird eine echte Herausforderung.“
Der Fachkräftemangel in der Pflege war längst spürbar. In dem Haus mit 59 Plätzen war die Belastung groß. „Wir haben immer wieder Stellen ausgeschrieben, aber kaum jemand hat sich beworben“, erzählt Pflegedienstleiterin Malgorzata Tatus. „Da haben wir uns gesagt: Wir müssen neue Wege suchen – und beschreiten.“ Und so entstand die Idee, sich einer Kooperation mehrerer Caritasverbände in Baden-Württemberg mit Vietnam anzuschließen. Junge Menschen dort erhielten dadurch die Möglichkeit, in Deutschland eine Pflegeausbildung zu absolvieren – mit Sprachkurs und Betreuung.
„Ich war 20 Jahre alt, als ich hierher kam“, blickt Vui Thi zurück. „Ich erinnere mich noch gut: Wir kamen im Sommer an - ich dachte: Was ist das für ein Land?“ Sie lacht. Doch das Lachen verschwindet etwas, wenn sie an die ersten Wochen denkt. „Ich habe nichts verstanden. In der Schule in Vietnam haben wir Deutsch gelernt – aber hier… Dialekt, schnell gesprochen, dazu lateinische Fachbegriffe im Unterricht. Das war sehr schwer.“ Phuong nickt zustimmend. „Ich musste in den Gesprächen mit den Bewohnern oft nachfragen. Und wenn ich mal gar nicht weitergekommen bin, habe ich eine der Kolleginnen geholt. Die helfen immer gern.“
Silvia Spinner: „Der Dialekt war wirklich ein Problem. Aber die jungen Frauen waren und sind unglaublich fleißig. Sie haben gelernt, gelernt, gelernt – und sich nie aufgegeben.“
„Ich vermisse meine Familie sehr“, sagt Le Bui. „Meine Eltern, meinen Bruder – ich sehe sie nur per Handy. Aber ich weiß, dass ich hier etwas Gutes tue. Ich will in Deutschland bleiben.“
Malgorzata Tatus: „Es war für uns bewegend zu sehen, wie sich die jungen Frauen aus Vietnam hier eingelebt haben. Anfangs hatten sie etwas Angst, mit den Bewohnern zu sprechen. Heute unterhalten sie sich, lachen, machen Scherze. Das ist Integration, wie man sie sich wünscht.“ Silvia Spinner nickt. „Wir haben gemerkt, dass Sprache und Nähe alles verändert. Es war schön zu sehen, wie die Bewohner die Mädchen angenommen haben – mit Offenheit und Herzlichkeit.“ Eine Bewohnerin habe ihr einmal gesagt, berichtet Spinner: „,Die Mädels sind so freundlich, so höflich – die machen das mit Herz.‘ Das hat mich wirklich berührt.“
Dabei war die Ausbildung bisweilen kein Spaziergang. „Wir mussten nicht nur Deutsch lernen, sondern auch Fachbegriffe – darunter viele lateinische Wörter“, erklärt Phuong. „Und wenn man nicht motiviert ist, schafft man das nicht.“
Pflegedienstleiterin Tatus beschreibt die Entwicklung - mit Stolz: „Sie haben sich von schüchternen Mädchen zu selbstbewussten jungen Frauen entwickelt. Sie trauen sich jetzt, Verantwortung zu übernehmen. Und sie geben diese Herzlichkeit an unsere Bewohner weiter.“ Und Silvia Spinner ergänzt: „Ich sage immer: Das ist eine Win-Win-Situation. Wir bekommen motivierte, engagierte junge Fachkräfte – und sie erhalten eine tolle Perspektive. Das ist ein Gewinn für alle.“
Inzwischen haben die drei Vietnamesinnen, zusammen mit weiteren Mitstreitern, sogar eine eigene Wohnung gefunden. Sie kochen abends zusammen, rufen ihre Familien per Video an und verbringen viel Zeit miteinander. „Chapeau“, sagt Silvia Spinner. „Das war alles Eigeninitiative. Sie haben sich Wohnungen gesucht, Behördengänge erledigt – das ist nicht selbstverständlich.“
Le Bui lächelt: „Ich fühle mich hier sehr wohl. Und ich bin stolz auf mich. Am Anfang habe ich manchmal geweint, aber jetzt bin ich hier zu Hause.“ Auch Vui Thi ist dankbar. „Ich bekomme sehr viel Freundlichkeit von den Bewohnern. Wenn sie ‘Danke‚ sagen, bin ich glücklich.“ Und Phuong fügt hinzu: „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier bleiben möchte. Aber jetzt - ja, ich will hier arbeiten, ich will helfen und Gutes tun für die Menschen.“
Ein Projekt als Modell für die Zukunft
Silvia Spinner indes sieht das Projekt als Zukunftsmodell. „Wir haben in diesem Jahr vier weitere Auszubildende aus Vietnam gewinnen können, insgesamt haben wir jetzt zehn Frauen und einen jungen Mann von dort im Team – das hätten wir vor drei Jahren noch nicht geglaubt. Und jetzt haben die ersten ihre Ausbildung erfolgreich beendet und bleiben uns als Pflegefachkräfte erhalten. Das ist für uns wie ein Sechser im Lotto.“ Malgorzata Tatus nickt: „Ohne diese jungen Frauen wäre unser Alltag weitaus schwieriger. Sie bringen nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Wärme und Menschlichkeit ins Haus und zu den Bewohnern.“
Wenn man durch das Gebäude geht, spürt man diese Atmosphäre. Es riecht nach Mittagessen, auf dem Flur wird gelacht. Die jungen Pflegekräfte aus Vietnam verteilen Getränke, sprechen mit den Bewohnern – auf Deutsch, mit einem weichen Akzent.
„Ich würde diesen Weg wieder gehen“, sagt Le Bui. „Es war schwer, aber ich habe hier ein neues Zuhause gefunden.“
Ein kleines Pflegeheim im Taubertal, ein großer Schritt für die Zukunft: Das Johann-Bernhard-Mayer-Heim zeigt, dass Integration nicht nur möglich, sondern bereichernd ist – für alle Seiten. Silvia Spinner fasst es so zusammen: „Am Anfang war da Unsicherheit, heute ist da sehr viel gegenseitiges Vertrauen. Und aus drei jungen Frauen sind drei geschätzte Kolleginnen geworden. Das ist das Schönste, was passieren kann.“ Und von der eingangs beschriebenen Schüchternheit ist bei den Dreien längst nichts mehr zu spüren.
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