Lauda. Marlon ist laut und deutlich zu vernehmen. Dass sein Mitbewohner Richard plötzlich ins Freie befördert wird, gefällt ihm überhaupt nicht. Die beiden sind stolze Hähne mit prächtigem Gefieder und feuerroten Kämmen. Aufgeregt trippelt Marlon im Gehege hin und her und protestiert entschieden mit vehementem Krähen. Die sechs Hühner stimmen mit ihrem Gegacker ein. So ganz geheuer ist auch Hahn Richard die Situation nicht. Dennoch posiert er geduldig fürs Foto. Züchter Tobias Blessing hält den Hahn mit festem Griff an den Füßen und beruhigt das Tier.
Immer informiert sein
Bei Blessings im Garten leben Augsburger Hühner. Die seltene Rasse besticht schon optisch. Nicht nur das schwarze und blaue Federkleid hat es dem Laudaer angetan, sondern auch die besondere Kammform. Denn Augsburger haben keinen klassischen Kamm, wie Haushühner, sondern einen Kronenkamm. Der beginnt schon am Schnabelansatz. Der Kopfschmuck ist ein Fehler der Kreuzzüchtung von La Fleche-Huhn und Lamotta -Huhn. Eine weitere Besonderheit, die sofort ins Auge fällt: die großen weißen Ohrscheiben.
Seit 2019 sorgt das Federvieh dafür, dass bei Familie Blessing immer frische Eier auf den Tisch kommen. Auf dem Grundstück habe es schon immer Hühner gegeben. „Das Gelände wurde von vielen früher als Zoo von Lauda bezeichnet“, sagt Tobias Blessing, der im „normalen Leben“ Stadtbaumeister von Lauda-Königshofen ist.
Nur mit Hahn halten
Begonnen hat alles vor einigen Jahren. „Ich hatte von Bekannten zunächst Zwerghühner bekommen“, erinnert sich Blessing. Doch er wollte lieber eine besondere Rasse. Also hatte er sich schlaugemacht und war auf die Augsburger Hühner gestoßen. Über einen Züchter aus Schwäbisch Hall holte er sich einige Jungtiere: Zwei Hähne und vier Damen dazu. Mit der weißen Henne Henrietta lebt auch noch eine davon. „Die Rasse darf nur mit Hähnen gehalten werden, damit eine Nachzucht immer gewährleistet ist.“
Blessing ist einer von wenigen Züchtern, die sich deutschlandweit der Rasse annehmen und wohl der einzige im Kreis. Immer wieder bekommt er Anfragen von anderen Züchtern, die Eier von seinen Tieren möchten. Im Sonderverein der Züchter des Augsburger Huhns und der Zwerg-Augsburger sind sie zusammengefasst. Bundesweit gab es danach 2016 rund 400 Tiere. „Jetzt sind es einige mehr.“
Augsburger Hühner
Die Rasse der Augsburger Hühner wird in der Kategorie I der Roten Liste bedrohter Nutztierarten geführt und ist somit als extrem gefährdet eingestuft, heißt es auf der Internetseite des Sondervereins der Züchter des Augsburger Huhns und der Zwerg-Augsburger.
Erstmals erzüchtet wurden diese Tiere um 1870 durch Julius Meyer in Haunstetten, einem heutigen Stadtteil von Augsburg. Dessen Ansinnen war es, eine möglichst widerstandsfähige, gut legende Rasse mit hoher Fleischqualität zu züchten. Dazu verpaarte er einen hörnerkämmigen französischen La Fléche-Hahn mit schwarzen Lamotta-Hühnern (dunkelläufige Italiener) und entdeckte bei der Nachzucht Einfach-, Hörner- und, für ihn erstmalig, Kronenkämme, auch Becherkämme genannt.
Danach fanden die Tiere bei den Landwirten große Verbreitung. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde die Rasse aufgrund der fehlenden Reinerbigkeit komplett verboten. In den 1950er Jahren erfuhren die Augsburger wieder einen Aufschwung.
Das mittelschwere Huhn weist eine volle, gestreckte Landhuhnform auf, ist etwas aufgerichtet. Die Zierde der Rasse ist der Becher- oder Kronenkamm.
Farbenschläge: Schwarz: mit grünem Glanz, Blau-gesäumt: Mittleres Taubenblau; jede Feder mit schwarzem Saum; beim Hahn sind Hals- und Sattelbehang blauschwarz.
Ein Hahn wiegt bis zu drei Kilogramm, eine Henne bis 2,5 Kilogramm. Die Schalenfarbe der Eier ist weiß.
Infos gibt es unter https://sv-augsburger-huehner.jimdofree.com/
Zucht zum Arterhalt
Der Arterhalt will gelernt sein, denn die Rasse sitzt nicht gerne auf den Eiern, um sie auszubrüten. Also wurde mittlerweile ein passender Brutautomat angeschafft. Dort werden im Februar bis zu neun Eier „ausgebrütet“. Drei Wochen dauert es, bis sich die Küken einen Weg durch die Schale bohren und schlüpfen. „Meist sind es nicht mehr als vier oder fünf Tiere“, sagt der Fachmann. Danach dürfen die Kleinen weitere sechs Wochen unter Rotlicht wachsen. Erst danach geht es zum Akklimatisieren in einen kleinen Stall ins Freie. Einmal, so erzählt Blessing, habe er seine Küken mitsamt Rotlicht sogar zu einer Familienfeier mitgenommen, damit die Aufzucht reibungslos erfolgen konnte. „Die Tiere haben das gut überstanden“, schmunzelt der Züchter.
Im großen Garten von Familie Blessing haben die Nutzvögel neben dem eigens gebauten Hühnerhaus viel Auslauf. Das nutzt eine der Hennen, als Richard wieder zurück ins Gehege soll. Schnell ist die blaue Dame entwischt und tut sich am Gras gütlich. „Uschi ist etwas vorwitzig“, kommentiert Tobias Blessing die Aktion. Für die Sommermonate will er noch ein größeres Gehege schaffen. Das Provisorium haben einige Tiere genutzt, um mehr als das ihnen zugedachte Territorium zu erkunden.
Jedes Tier hat einen Namen, von allen hat der Stadtbaumeister den genauen Geburtstag in einer Liste vermerkt. So wie bei Marlon, der am 6. Juli 2020 aus der Schale geschlüpft ist. „Er ist unsere erste eigene Nachzucht“, erzählt Blessing stolz. Deshalb hat Familie Blessing und vor allem die drei Kinder beschlossen: „Er darf nicht geschlachtet werden.“ Für die Blessings sind die Tiere nämlich „Zwei-Nutzungs-Hühner“: Sie liefern Eier und landen auch schon mal im Topf. „Sonst wäre das Gehege schnell zu klein.“
Tobias Blessing, der selbst mit Tieren aufgewachsen ist, hat neben dem Erhalt der Rasse einen weiteren Gedanken hinter der kleinen Hühnerzucht: „Die Kinder sollen sehen, wo Lebensmittel herkommen.“ Und die Familie habe Spaß an den Tieren. Bei Ausstellungen sei er aber nicht zu finden, betont er. Deshalb ist für ihn die Gefiederfarbe auch nicht ausschlaggebend.
Der zutrauliche Marlon mit seinem prächtig-schwarzen Federkleid darf sich natürlich auch noch zeigen. Stolz und auch neugierig beäugt der stattliche Hahn auf der Schulter von Tobias Blessing die Umgebung. Als ganz junges Tier hatte er das bei einer Grillparty erstmals „ausprobiert“ und sich mittlerweile an die Menschen gewöhnt. Henne Uschi lässt sich davon nicht beeindrucken und scharrt mit Begeisterung in der Erde.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/lauda-koenigshofen_artikel,-lauda-koenigshofen-tobias-blessing-zuechtet-in-lauda-vom-aussterben-bedrohte-huehnerrasse-_arid,1911567.html