Igersheim. „Verbotenes Kraftfahrzeugrennen“, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Ellwangen gegen einen 18-jährigen Bad Mergentheimer. Kein ganz alltäglicher Vorwurf, der da am Amtsgericht Bad Mergentheim verhandelt werden sollte.
Was war passiert? In einer Augustnacht des Vorjahres gegen 1 Uhr fiel der 18-jährige L. mit seinem Toyota mit „überhöhter Geschwindigkeit“ auf Höhe des Tanzcafés Riegler zwischen Igersheim und Bad Mergentheim einer Polizeistreife auf. Die Polizisten fuhren hinterher, doch der junge Mann stoppte nicht. Ganz im Gegenteil. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit durch die 70er- und 50er-Zonen der B19 in Igersheim, verfolgt von der Polizei. Auch eine rote Ampel auf der L2251 (unweit des Igersheimer Friedhofs) stoppte ihn nicht. Ungebremst überfuhr der Angeklagte diese und wurde noch schneller. „Teilweise bis zu 130 Stundenkilometer“, so die Staatsanwaltschaft, hatte der junge Fahrzeuglenker auf dem Tacho.
Doch wer die Strecke kennt, weiß: Allzu lange kann man dieses Tempo zwischen besagter Ampel am Friedhof und Kreisverkehr am Igersheimer Kaufland nicht aufrechterhalten. An jenem Kreisverkehr endete die kurze, aber intensive Verfolgungsjagd dann auch. Der 18-Jährige bremste deutlich vor dem Kreisverkehr und drehte in diesem dann mehrere Runden. Als er die Polizei erkannt haben will, stoppt der Angeklagte das Auto schließlich und lässt sich kontrollieren.
Womit der Kern seiner Aussage auch schon erreicht wäre: „Ich konnte durch die Lichter nicht erkennen, dass es die Polizei war. Ich hab ein bisschen Panik gekriegt, das war eine Drucksituation.“ Mit Freunden sei er unterwegs gewesen, man habe „nicht wirklich“ auf den Verkehr geachtet und sei einfach gefahren. Dass „plötzlich“ ein Auto ziemlich nahe hinter seinem Toyota gewesen sein soll, habe ihn erschreckt. Bedroht habe er sich von dem unbekannten Auto gefühlt und wollte durch das hohe Tempo Abstand zum Verfolger gewinnen.
Richterin Susanne Friedl war skeptisch. „Ich habe damit ein paar Probleme“, erklärte sie dem jungen Mann mit Blick auf dessen Aussage. Denn seine Schilderungen widersprachen denen der beiden Polizeibeamten deutlich. Diese gaben eine von Anfang an überhöhte Geschwindigkeit an, man habe den Angeklagten „in normalem Abstand“ verfolgt. „Ich kenne diese beiden Beamten. Die sind sehr ruhig und gelassen, riskieren nicht Kopf und Kragen“, war Friedl überzeugt. Denn tatsächlich sind beide Beamte für das Gericht keine Unbekannten. Schon öfter waren sie in anderen Verfahren beteiligt, teilweise existieren Bodycam-Aufnahmen von deren Verhalten in teils sehr hitzigen Einsätzen. Die Richterin ist auch aufgrund dieser Aufnahmen überzeugt, dass den Polizisten hier kein Fehlverhalten vorzuwerfen sein dürfte. Außerdem: „Die Polizei in Deutschland treibt niemanden über rote Ampeln. Die Polizisten wollen einen ruhigen Dienst und wieder heim zu ihren Familien.“
Das Ziel der Verteidigung: Urteil nach Jugendstrafrecht
Doch so ganz wollten der junge Auszubildende und sein Verteidiger Frank Gangl noch nicht von ihrer Version der Geschehnisse abrücken. Gangl verliest schriftliche Stellungnahmen der Freunde des Angeklagten, die ihm bescheinigen, „ganz normal gefahren zu sein“ und die das Polizeiauto als solches ebenfalls nicht erkannt haben wollen. Erst im Kreisverkehr habe man das Auto erkannt „und dann ja auch sofort angehalten“. „Er hatte wirklich Angst“, führte Gangl mit Blick auf seinen Mandanten aus. Verschärfend kam aus Sicht des Verteidigers der Umstand hinzu, dass die Polizei bei der Verfolgung auf Blaulicht verzichtet habe. „Warum hat man das nicht spätestens beim Überfahren der roten Ampel angemacht?“, fragte er sich.
Doch allzu lange wollte sich die Verteidigung nicht mit der grundsätzlichen Schuldfrage befassen, denn das eigentliche Ziel war erkennbar ein anderes. Ob denn eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht möglich wäre, wollte Verteidiger Gangl wissen. Denn klar sei das Ganze „keine Heldentat“ gewesen, aber sein Mandant hätte auch wesentlich schneller fahren können, ein Rennen sei es also nicht wirklich gewesen. Den Grund für den Wunsch nach Anwendung des Jugendstrafrechts lieferte der Anwalt gleich noch hinterher: Der 18-Jährige strebe eine Karriere bei Polizei oder Bundeswehr an, ein Eintrag ins Führungszeugnis würde diesen Wunsch quasi unmöglich machen. Bei einer Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht wäre das anders, hier werden nur höhere Strafen vermerkt. Viele Urteile liegen jedoch unter der Schwelle, sodass sich Jugendliche gegenüber Arbeitgebern als nicht vorbestraft bezeichnen können.
Für Friedl keine einfache Entscheidung. Verstöße mit einem Auto sieht sie tendenziell im Erwachsenenstrafrecht. Doch klar legte sie sich in dieser Frage nicht fest, auch ein Sachverständiger des Jugendamtes sah Anhaltspunkte „pro und contra“ Jugendstrafrecht. Was für sie allerdings klar war: „Mit drei Leuten im Auto wäre es ihnen jederzeit möglich gewesen, rechts ran zu fahren. So ziehen sie andere mit rein. Da hätte sonstwas passieren können.“
Der Angeklagte ist der Polizei bekannt – wegen Verkehrsdelikten
Erschwerend kam für den Angeklagten hinzu, dass ein Polizist mehrere einschlägige Verstöße schildert. Wiederholt sei ihnen der junge Mann im Straßenverkehr aufgefallen. Missachtung eines Durchfahrtsverbots oder mit extrem überhöhter Geschwindigkeit durch die Ortsdurchfahrt Edelfingen - die Polizei kennt den Angeklagten bereits. Zudem, so schilderte es ein Polizist, habe der Mann sein Verhalten bei der nächtlichen Kontrolle noch als Lappalie mit den Worten „Ich bin noch jung, da macht man halt sowas“ abgetan. „Völlig uneinsichtig“, „pampig“ und keinesfalls „verängstigt“ habe er gewirkt.
Für das Gericht war es letztlich eine „50/50“-Entscheidung. Diese fiel dann aber mit Anwendung des Jugendstrafrechts doch zugunsten des Angeklagten aus. Eine Verwarnung, fünf Monate Fahrverbot „als Denkzettel“ und 1.200 Euro Geldstrafe standen schließlich als Urteil fest. „Das kann schnell katastrophal enden. Sei froh, dass nichts passiert ist“, so Friedl zum Verurteilten. Und mit Blick auf dessen Berufswunsch: „Ich habe Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstbeherrschung bei Gewalt oder Befehlen. So etwas kommt aber in diesen Berufen häufiger vor. Kannst du das? Sonst hast du da nichts zu suchen.“ Den Weg dahin wolle die Richterin dem jungen Mann aber nicht grundsätzlich verbauen.
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