Bildung

Wie Musikschulen mit dem „Herrenberg-Urteil“ umgehen

Das ,,Herrenberg-Urteil" hat zur Folge, dass Musikschulen bisherige Honorarkräfte fest anstellen müssen. In vielen Kommunen laufen noch die Gespräche, wie man das in Zukunft umsetzen soll.

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Maren Greß
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Josef Backi unterrichtet seit rund 30 Jahren an der Musikschule in Hardheim als Honorarkraft. Hier bringt er dem siebenjährigen Silas Lecking Saxophonspielen bei. „Die Freiberuflichkeit ist für mich die ideale Lösung“, sagt Backi. © Maren Greß

Hardheim/Odenwald-Tauber. „Schau mal, das ist nur eine halbe Note. Die darfst du nur zwei Schläge aushalten.“ Geduldig hört der siebenjährige Silas Lecking zu, was ihm sein Saxophon-Lehrer Josef Backi gerade erklärt. Er fängt das Lied noch einmal von vorne an, dieses Mal spielt er es richtig und hält die Note nur zwei Schläge aus. Beim nächsten Lied „Kuck kuck“ steigt Josef Backi mit ein und die beiden spielen zusammen. Eigentlich könnte der Klarinetten- und Saxophon-Lehrer schon seit fast zehn Jahren im Ruhestand sein, „es macht mir aber viel zu viel Spaß“, sagt er 74-Jährige und lacht.

Neben Hardheim unterrichtet Backi unter anderem an der Musikschule in Lauda und beim Musikverein Umpfertal in Boxberg. Er ist überall auf Honorarbasis angestellt – wie viele Musiklehrer in Deutschland. Das war all die Jahre auch nie ein Problem. Bis das Bundessozialgericht 2022 ein Urteil fällte, das die Anstellung von Honorarkräften untersagt (siehe nebenstehenden Artikel). „Für mich ist die Freiberuflichkeit die ideale Lösung. Ich habe das all die Jahre gut hinbekommen“, sagt Backi. Für ihn sei das sogenannte „Herrenberg-Urteil“ ein „Schlag ins Gesicht“ für viele Musikschulen. „Einige werden das bestimmt auch nicht überleben“, ist der erfahrene Instrumentallehrer überzeugt. Wenn er 15 Jahre jünger wäre, wäre für ihn eine Festanstellung erstrebenswert. Seiner Meinung nach sollte jeder Musiklehrer selbst entscheiden, ob er fest angestellt werden will oder weiterhin als Honorarkraft an einer Musikschule arbeiten will.

In Hardheim läuft noch die Bestandsaufnahme

Dieser Meinung ist auch Hardheims Bürgermeister Stefan Grimm. Er ist Vorsitzender des Vereins der Musikschule. Wenn ein Musiklehrer die ganze Woche nur Musikunterricht an einer Musikschule gebe, dann solle er dort angestellt sein. „Wenn er nur einzelne Stunden an mehreren Musikschulen unterrichtet, sonst auch noch mit der Musik – zum Beispiel durch Konzerte – seinen Lebensunterhalt verdient, erschließt sich mir nicht, warum er plötzlich überall angestellt sein muss“, meint Grimm. „Einfach alle fest anzustellen, können wir uns nicht leisten und wollen die Lehrerinnen und Lehrer auch nicht.“

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In Hardheim mache man noch eine Bestandsaufnahme und führe Gespräche, welche Optionen es gebe, Musiklehrer fest anzustellen. Es müsse man prüfen, was sich die Musikschule überhaupt leisten könnte. Man habe deshalb, so der Bürgermeister, noch keine verlässlichen Zahlen, welche Mehrkosten auf den Verein als Träger der Musikschule zukommen würden. Ähnlich ist es in Külsheim. Wie Hauptamtsleiterin Simone Hickl-Seitz erklärt, wurde intern noch kein Beschluss gefasst, wie man weiterverfahren werde.

24 Lehrkräfte in Wertheim

An der Wertheimer Musikschule sind derzeit 24 Lehrkräfte mit unterschiedlichen Deputaten auf Honorarbasis tätig. Wie die Pressetselle der Stadt angibt, seien dies umgerechnet 7,5 Vollzeitstellen. Nur die Leitung der Musikschule, Fedra und Stefan Blido, ist fest angestellt. „Dieses Modell und die zugrundeliegenden Honorarverträge haben in vergangenen Sozial- und Arbeitsgerichtsverfahren einer gerichtlichen Überprüfung jeweils standgehalten“, so Pressesprecherin Angela Steffan.

Und weiter: „Obwohl es sich beim sogenannten Herrenberg-Urteil um eine Einzelfallentscheidung handelt, hat es bundesweit große Verunsicherung in der Musikschullandschaft, bei Kommunen und Bildungsträgern mit freiberuflichem Personal ausgelöst. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Juni verschiedene Verbände, darunter den Deutschen Städtetag, zu einem ersten Runden Tisch eingeladen, um die Konsequenzen aus dem Urteil zu beraten. Es wurde vereinbart, dass die teilnehmenden Verbände mögliche Organisationsmodelle unter den strengen Kriterien einer selbstständigen Tätigkeit prüfen, die Rentenversicherungsträger Betriebsprüfungen zunächst aussetzen und eine Verschiebung des Stichtags zur Anwendung des Urteils geprüft wird.“

Wie Angela Steffan weiter mitteilte, habe die Stadt Wertheim inzwischen bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf ein Statusfeststellungsverfahren gestellt. „Damit soll in sozialversicherungsrechtlicher Sicht Rechtssicherheit über den Status der Lehrkräfte als selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt geschaffen werden.“

Die Verwaltung habe den Gemeinderat über den Sachstand informiert. Wenn der Bescheid zur Statusfeststellung und die Ergebnisse des oben genannten Runden Tisches vorliegen, wird sich der Gemeinderat erneut mit dem Thema befassen.

Walldürn: Man müsse mit Mehrkosten von über 80 Prozent rechnen

An der Städtischen Musikschule in Walldürn laufen ebenfalls noch Gespräche. „Wir sind gerade am Stellenplan für 2025 dran“, informiert Michael Teichmann, Hauptamtsleiter bei der Stadt Walldürn. Man suche intensiv seit Frühjahr nach einer Lösung. Wenn man alle Verträge von Honorarkräften auf Festanstellungen umstelle, müsse die Stadt mit Mehrkosten von über 80 Prozent rechnen. „Aber es hilft nichts. Wir müssen handeln“, sagt Teichmann. „Es ist schwierig, jetzt von null auf 100 alle Lehrer auf einmal anzustellen“, betont Bernd Heß, Leiter der Walldürner Musikschule. Die Altersvorsorge und die Absicherung sei jedoch ein wichtiger Punkt. „Es gibt Musiklehrer, die nicht mit 67 in Rente gehen können, weil sie es sich finanziell nicht leisten können“, meint Heß. Er schlägt vor, dass man einen Plan für die nächsten Jahre entwerfe, wie man sukzessiv die Honorarverträge umstellen könnte. Sein Wunsch ist es, dass die Musikschulen in der Region eine einheitliche Lösung finden. „Wenn die ländlichen Musikschulen nicht mitziehen, haben wir in kurzer Zeit keine Lehrer mehr“, sagt Bernd Heß.

Michael Wüst von der Joseph-Martin-Kraus-Musikschule in Buchen spricht von einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“, die sich entwickele, wenn man die Honorarkräfte nicht fest anstelle. Er kritisiert, dass vieles noch nicht final geklärt sei. Im Frühjahr habe Wüst das Gespräch mit der Stadt Buchen als Träger der Musikschule gesucht. Diese wollte den Schritt nicht vollziehen, die Verträge umzuwandeln. Sein Appell geht auch in Richtung Land Baden-Württemberg. Kulturpolitik sei Landessache. „Die kümmern sich aber seit Jahren nicht“, bemängelt er. Durch entsprechend hohe Zuschüsse könne man die Musikschulträger entlasten.

Auch Hardheims Bürgermeister Stefan Grimm ist der Meinung, dass die Politik reagieren müsste: „Gesetze und Bürokratie sollten so nachjustiert werden, dass seit Jahrzehnten gelebte und bestätigte Praxis nicht von jetzt auf nachher ,illegal’ wird und einer ganzen Branche der Boden unter den Füßen weggezogen wird.“

„Historischer Moment“ für Musikschule in Tauberbischofsheim

Als eine von wenigen hat die Musikschule in Tauberbischofsheim zum neuen Schuljahr alle Honorarkräfte fest angestellt. Das freut Querflötenlehrerin Simone Werner. „Man ist jetzt abgesichert“, sagt sie. Die Stadt als Träger rechnet mit Mehrkosten von rund 64 000 Euro jährlich. Laut Sprecherin Helga Hepp werde der Gemeinderat zeitnah entscheiden, ob und wie die entstehenden Mehrkosten an die Schüler weitergegeben werden. Christoph Lewandowski, Leiter der Musikschule in Tauberbischofsheim, spricht von einem „historischen Moment“. Es freue ihn, dass die Stadt das so schnell umgesetzt habe. Seiner Meinung nach wäre es nicht praktikabel, die Gebühren zu erhöhen, sonst könnten sich bald nicht mehr alle Familien den Unterricht leisten. „Beim Musikunterricht geht es um viel mehr, als nur um Bildung“, sagt Lewandowski.

Das sieht auch Josef Backi so. Die Kinder werden in ihrer Entwicklung gefördert und das Selbstvertrauen werde gestärkt, beispielsweise durch das regelmäßige Vorspielen bei Musikschulkonzerten. Für das Konzert am ersten Advent hat auch Silas Lecking schon geübt. Da wird er „Kuck kuck“ vorspielen.

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