Mosbach/Hardheim. Während der Verhandlung zitterte der Beschuldigte des Öfteren. Doch als das Urteil gegen den 44-Jährigen fiel, saß er aufrecht und trug die Worte der Vorsitzenden Richterin am Landgericht Mosbach Dr. Barbara Scheuble, von einer Dolmetscherin übersetzt, mit Fassung. Der aus Tunesien stammende M. mit algerischen Wurzeln muss für seine Tat, die er am 20. Juni des vorigen Jahres in der Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen in Hardheim begangen hat, aber nicht ins Gefängnis. Aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Schizophrenie wird er in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert.
Und das war passiert: Der Mann war am Morgen des 20. Juni 2024 mit Mitbewohner H. der Einrichtung vor dem Gebäude in heftigen Streit geraten. Daraufhin ging der Beschuldigte M. in sein Zimmer, hat ein Messer mit einer 17 Zentimeter langen Klinge geholt und wollte hinterrücks auf den Mitbewohner einstechen. Der Angegriffene sei, so berichtete ein damaliger Security-Mitarbeiter am Freitag während der Hauptverhandlung als Zeuge, jedoch schnell ausgewichen und weggerannt. Nachdem ihn M. wieder eingeholt hatte, hat dieser ein zweites Mal versucht, auf den Mitbewohner einzustechen und ihn wieder verfehlt.
Oberstaatsanwalt Hansjörg Bopp wertete dieses Vorgehen nicht nur in der Anklageschrift, sondern dann auch in seinem Plädoyer als „versuchten Totschlag“. Dies tat er auch deshalb, weil der ehemalige Security-Mitarbeiter sehr anschaulich die Szenerie geschildert hatte und seine Worte mit der Geste des erhobenen Arms mit einem sinnbildlichen Messer in der Hand verdeutlicht hatte. „Er wollte den Tod vorsätzlich herbeiführen“, so Bopp. Verteidiger Andreas Wörner wollte in der Tat allerdings „nur“ eine gefährliche Körperverletzung erkannt haben. Das verdeutlichte er in seinem Plädoyer.
Dieser Ansicht folgte auch das Gericht, wie Dr. Barbara Scheuble begründete: „Einen Tötungsversuch konnten wir nicht erkennen. Auch wissen wir nichts zum gesundheitlichen Zustand des Beschuldigten zur Tatzeit.“ Trotzdem verzichtete die Kammer auf eine Bewährung, „weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben sind“, so Scheuble. Dieser Ansicht ist das Gericht auch deshalb, weil M. im Vorfeld dieser Tat in Hardheim bereits mit zwei Ladendiebstählen strafbar wurde, wobei er beim zweiten Mal ein Messer bei sich hatte. Das Gericht sah somit also eine stetige Steigerung seiner Straftaten.
Er musste den Mord an seinen Vater mitansehen
Das Krankheitsbild des M. zeichnete Dr. Thomas Heinrich auf. Der Sachverständige berichtete von seinen Gesprächen mit dem Beschuldigten. Dieser habe 2002 in Tunesien mitansehen müssen, wie sein Vater von dessen Bruder erstochen worden sei. Anschließend sei er von diesem mit den Worten „du bist der Nächste“ bedroht worden. Das sei für M. ein traumatisches Erlebnis gewesen. Er habe danach immer wieder Stimmen gehört, die ihn bedroht haben, erzählte Dr. Heinrich aus den Gesprächen. Er sei sich seiner psychischen Erkrankung schon in seiner Heimat bewusst gewesen und dort auch behandelt worden. Auch vor der Tat habe M. Stimmen gehört; allerdings habe sich der Beschuldigte nicht daran erinnern können, dass er ein Messer in der Hand gehabt habe.
Und was sagte das Opfer? Nichts. Der mehrfach geladene H. war zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Während des Freitagmorgens wollte man ihn dann vorführen lassen. Herbeigerufene Polizisten trafen den Mann in seiner Unterkunft in Walldürn aber nicht an. Schon drei Wochen lang sei er dort nicht mehr gesehen worden, hieß es von Anwohnern. Das Urteil erging also ohne Aussage des Opfers.
M. sagte in seinem letzten Wort: „Ich bitte um Verzeihung.“ Zu Beginn hatte sein Anwalt für ihn gesprochen und den Tathergang aus Sicht seines Mandanten geschildert. Der Afrikaner befand sich nach mehreren Stationen in Europa seit 2022 in Deutschland. Er sei aus seinem Land geflohen, weil er sich in Europa eine bessere Hilfe für seine psychische Erkrankung erhofft habe. Sein Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. Zum Zeitpunkt der Tat stand er kurz vor der Abschiebung.
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