Flucht und Vertreibung (10 und Ende) - Vom Schicksal des kleinen Gerardus Josef van Aalten / Hoover-Schulspeisung / Situationsberichte des Bürgermeisters von 1946 bis 1948

Anfänglich gab es Haferflockenbrei, aber auch Tomatennudeln

Von 
Hans Sieber
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Mit „Flucht und Vertreibung“ überschrieben ist eine FN-Serie. Sie befasst sich mit der Ankunft der ersten Vertriebenen in der Folge des Zweiten Weltkriegs, die sich 2021 zum 75. Mal jährt.

Hardheim. Im letzten Teil der FN-Serie geht es um „Das Schicksal des kleinen Gerardus Josef van Aalten“, aber auch um „Situationsberichte des Bürgermeisters von 1946 bis 1948“ sowie Interessantes über die „Hoover-Schulspeisung“ sowie aus „Einwohner- und Bevölkerungsstatistik“.

Das Schicksal des kleinen Gerardus Josef van Aalten: Der Junge wurde am 12. März 1946 im Krankenhaus Hardheim geboren. Sein Vater Gerardus van Aalten, Buchbinder aus Utrecht in Holland, kam zusammen mit seiner Frau Petronella van Aalten im Gefolge der US-Truppen am 20. August 1945 nach Hardheim. Wegen seiner angeblichen Zugehörigkeit zur SS wurde er im November 1945 von der CIC, der US-Militärregierung Buchen verhaftet.

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Nach der Geburt ihres Sohnes verließ die 22-jährige Mutter am 7. Mai 1946 ohne amtliche Abmeldung Hardheim mit unbekanntem Ziel. Das Kleinkind, das sich aufgrund des Berichts des Bürgermeisters in einem guten Gesundheitszustand befand, lebte in der Säuglingsabteilung des Krankenhauses Hardheim.

Der kleine Junge wurde im Juli 1945 aufgrund eines Erlasses des Innenministeriums in Stuttgart dem internationalen Suchdienst in Heidelberg überstellt.

Danach verlieren sich die Spuren des Jungen.

Die Hoover-Schulspeisung: Anfänglich waren für die Schulspeisung größtenteils Haferflocken, Mehl und Zucker in ausreichenden Mengen vorhanden. Das Speiseprogramm sah zweimal wöchentlich Haferflockenbrei, einmal Hülsenfrüchte, einmal Nudeln mit Dörrobst, einmal Tomatennnudeln und einmal Kakao vor.

Später kamen auch Fleisch und Fett aus dem deutschen Viehabbauprogramm hinzu. Besondere Höhepunkte waren die Tage, an denen die Schulküche Pudding, Südfrüchte wie Datteln, Bananen und Orangen ausgab; Produkte, die die Kinder bisher nicht kannten oder schon lange nicht mehr sahen.

Die Speisenausgabe erfolgte in Hardheim ab 8 Uhr in der Frühe. Dazu hatten die Kinder ein kleines Gefäß mitzubringen. Die Kinder wurden wöchentlich gewogen, gemessen und ärztlich untersucht. In Hardheim endete die Schulspeisung 1950.

Situationsberichte des Bürgermeisters von 1946 bis 1948: Die US-Militärregierung verpflichtete ab 9. Juli 1946 die Bürgermeisterämter von Hardheim, Adelsheim, Krautheim, Mudau, Osterburken und Walldürn zur Abgabe eines vierzehntägigen Berichts an das Counter Intelligance Corps (CIC) Büro in Buchen.

Darin sollte die Gesamtlage, die politische und wirtschaftliche Lage, der Arbeitsmarkt, die Ernährungs- und Wohnungslage in der Kommune berichtet werden. Außerdem wollte die Besatzungsmacht Informationen über Kritik an deutschen und amerikanischen Dienststellen, Gerüchte, Ostflüchtlingsprobleme und schließlich auch Hinweise über die Jugendbewegung in der Gemeinde haben.

In diesen Berichten bis zum 28. Juli 1948 spiegeln sich die Verhältnisse ganz deutlich wider. Immer wieder klagte der Hardheimer Bürgermeister über Kohlemangel, fehlende Rohstofflieferungen für Gewerbe und Industrie und vor allem über die angespannten Wohnungsverhältnisse.

Am 18. September 1946 berichtete er: „Infolge der unzureichenden Ernährung, wozu auch der völlige Mangel an Obst in hiesiger Gemeinde beiträgt, lassen Leistungen und Arbeitswillen ganz bedeutend nach“. Für den Winter 1946 sah der Bürgermeister eine ungenügende Versorgung mit Brennholz aus dem Gemeindewald, zumal der größte Teil des Holzeinschlags für die Ablieferung bestimmt sei. Wegen fehlender Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe konnte die zunehmende Zahl von Arbeitskräften nur für Waldarbeiten eingesetzt werden. Dafür fehlten aber die nötigen Arbeitskleider und Arbeitsschuhe. Aber auch deren Reparaturen konnten wegen fehlenden Rohmaterials nicht ausgeführt werden.

„Die an sich gespannte Ernährungslage hat nach Hereinbringung der Ernte 1946 keine Besserung erfahren“, berichtete Bürgermeister Henn, der unter anderem feststellte: „Arbeiter, die mehr als 10 km und mehr täglich zur Arbeitsstelle zurücklegen, dabei acht Arbeitsstunden ableisten und ihre Mahlzeiten auswärts einnehmen müssen, beklagen sich über die geringen Zuteilungen. Das vitaminreiche und nahrhafte Obst fehlt hier vollständig!“

Im Mai 1947 klagte Bürgermeister Henn über fehlende Bereifung von Fahrzeugen und auch die Hardheimer Feuerwehr sei nicht in der Lage, erforderliches Schlauchmaterial zu beschaffen. Über die beiden Jahre, für die er Berichte vorlegte, klagte er immer wieder über die unzumutbare Wohnungssituation, die fehlenden Arbeitsplätze und das „sich immer mehr verbreitende Elend“ im Erftal.

Über einen erfreulichen Aspekt berichtete der Bürgermeister seit dem 19. Juli 1946 immer wieder und gerne: Den Wiederaufbau des Sports in Hardheim (Fuß- und Handball) durch den Turnverein und die Kolpingsfamilie fand er als gelungen.

Bürgermeister Anton Henn wurde in 1945 vom Landratsamt Buchen eingesetzt und 1948 von der Bürgerschaft erstmals frei gewählt. Er verunglückte 1952 bei einem Autounfall zwischen Walldürn und Rippberg tödlich.

Einwohnerstatistik Bretzingen: Einen detaillierten Überblick gibt eine erstmalige Meldung des Bürgermeisteramtes Bretzingen zum 20. Dezember 1950.

Von den 175 Vertriebenen in der Gemeinde stammten 124 aus dem Sudetenland, 46 aus Ungarn, 2 aus Rumänien und 3 aus dem ehemaligen Reichsgebiet östlich von Oder und Neiße. Darunter waren 51 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren, 104 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren sowie 20 Menschen älter als 65 Jahre. 81 Vertriebene waren männlich, 94 weiblich. 17 Personen mit 32 Familienangehörigen hatten Arbeit, davon waren drei Pendler. Arbeitslos waren 15 Personen mit 22 Familienangehörigen.

Diese Berichte waren in der Folge dem Landratsamt halbjährlich vorzulegen.

Bevölkerungsstatistik Hardheim: Weil sich die Bevölkerungszahlen ständig veränderten, sind zu manchen Stichtagen keine fein abgestimmten Aussagen möglich. Dennoch kann festgehalten werden:

In Hardheim konnten 1578 Vertriebene und Flüchtlinge namentlich ermittelt werden. Davon waren 869 weiblichen Geschlechts (224 Mädchen von 0 bis 14 Jahren, 583 Frauen zwischen 15 und 65 Jahren, 46 Seniorinnen über 65 und 16 Frauen älter als 75 Jahre); demgegenüber standen 709 Männer (218 Knaben von 0 bis 14, 453 Männer zwischen 15 und 65 Jahren, sowie 30 älter als 65 und 8 älter als 75 Jahre).

Von den Sudetendeutschen, die die größte Vertriebenengruppe bildeten, kamen aus dem Kreis Znaim 275 Personen, aus dem Kreis Neutitschein 254, aus Mährisch-Schönberg 82, Troppau 61. Aus den südmährischen Kreisen Nikolsburg 44 und Neubistritz 55. Die Böhmerwaldkreise Kaplitz (92), Bischofsteinitz (49) und Krummau (23) stellten zusammen 164 Vertriebene.

Aus den deutschen Sprachinseln Iglau kamen 15, aus Brünn 37 und sogar aus Prag stammten 10 Personen, um nur die wichtigsten Herkunftsorte der Sudetendeutschen (soweit sie zuzuordnen waren, denn manche gaben als ihre Herkunftsorte die letzten Sammellager vor dem Abtransport nach Deutschland an) zu nennen.

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