Grünsfeldhausen.. Wenn Heinz Bernhardt in seinen Akten blättert, ist er zufrieden, auch wenn ihn die Schicksale, mit denen er konfrontiert wird, immer wieder aufs Neue betroffen machen. Schicksale von jungen Männern, die im Zweiten Weltkrieg an die Front geschickt wurden und nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Sie hinterließen Familien, Eltern, Frauen, Kinder. Die Hinterbliebenen zu unterstützen hat sich der Grünsfeldhäuser auf die Fahne geschrieben.
Dass der 72-Jährige jüngst einem Freund aus dem Raum Aschaffenburg – ein Fastnachtsbegeisterter wie er – dessen Herzenswunsch erfüllen konnte, freut Heinz Bernhardt besonders. Dieser teilt das Schicksal vieler Soldatenkinder: Sie wissen nicht, wo ihre Väter ihre letzte Ruhe gefunden haben. Im Fall des Freundes geht es sogar noch tiefer: „Er hat seinen Vater nie kennengelernt“, erzählt der Hobbyforscher. Ihm nach nunmehr 75 Jahren die Ungewissheit über seine Herkunft und Familie zu nehmen, hat sich Bernhardt zum Ziel gesetzt.
Immer informiert sein
Puzzleteile aufstöbern
Auf dem Tisch liegt eine Landkarte von der Ukraine und der Schwarzmeerküste. „In der Region habe ich schon viel recherchiert und so manches Grab gefunden“, berichtet Bernhardt.
Insgesamt mehr als 200 solcher Vermisstenanfragen aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis ist er bereits nachgegangen. Der Schwerpunkt seiner bisherigen Arbeit lag beim Feldzug „Barbarossa“. Hier kennt er sich hervorragend aus. Bei seiner Arbeit kommt ihm sein Faible für strategische Fragen zugute: ein Überbleibsel seiner Zeit als Berufssoldat. „Wichtig ist, so viele Daten und Anhaltspunkte wie möglich von der gesuchten Person zu erhalten“, sagt Bernhardt. Geburtsort und Geburtsdatum, die Einheit, die Truppenbewegungen, die viele in Briefen nach Hause beschrieben haben. Mit diesen Puzzleteilen recherchiert Bernhardt im Internet oder stellt Anfragen beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Im Falle seines Freundes hatte er als Anhaltspunkt nur einen Brief, den dieser nach dem Tod der Mutter gefunden hat. „Mein liebe Leni“ beginnen die handschriftlichen Zeilen in Sütterlin und lateinischer Schrift, die sich Bernhardt hat übersetzen lassen. „Das war nicht einfach zu lesen“, berichtet er.
Über den Umschlag der Feldpost, die 1944 versandt worden war und anhand der Feldpostnummer kam Bernhardt schließlich weiter. Diese Nummer vergleicht er mit der heutigen Postleitzahl, um die Soldaten damals in den Verbänden zu erreichen. So konnte er den Einsatzort Kielce in der Nähe von Krakau ermitteln. „Dort ist der Soldat ums Leben gekommen.“ Seine Recherchen haben den Grünsfeldhäuser zu einem Namen und sogar zu einem Foto des Gefallenen aus der Vermisstenbilderliste des DRK geführt. Der Vater des Freundes war Feldwebel der Wehrmacht, in der „Parksperr-Kompanie“, die zur 2. Kompanie der 4. Panzerarmee zählte, wie Bernhardt nun weiß. Dort diente er von 23. April bis 24. November 1944. Danach sei die Einheit wohl zersplittert und in andere Verbände eingegliedert worden. Von einer Parksperr-Kompanie hatte Bernhardt bis dato noch nichts gehört.
Überrollt vom Panzer?
Letztmals wurde Reinhold Heidenstecker – so heißt der Gesuchte – am 15. Januar 1944 auf der Tagesmeldung verzeichnet. Danach verliert sich die Spur. „In der Region hat es zu dem Zeitpunkt Kampfhandlungen gegeben“, informiert Bernhardt. Weil der Soldat, der 1910 geboren wurde und aus Moers stammte, von einem Bunker schreibt, könnte es sein, dass er mit seinem Kameraden von den anrückenden Panzern einfach überrollt wurde. Ob er so starb, lasse sich nicht mehr erforschen.
Für seine Recherchen steht der ehemalige Zeitsoldat in engem Austausch mit Stellen, die sich der Suche nach Toten und Vermissten der Weltkriege verschrieben haben – neben dem Volksbund Deutscher Kriegsgräber, dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes sowie der Deutschen Dienststelle (WASt) für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Wehrmacht, die mittlerweile ins Bundesarchiv (Abteilung PA) überführt wurde, auch mit der Liga für russisch-deutsche Freundschaft und deren Suchreferat Moskau. Auch dort will man den vielen namenlosen Toten wieder ihre Geschichte und Identität zurückgeben. Weil immer mehr Archive, vor allem in den osteuropäischen Staaten, geöffnet werden, könne die Suche erfolgreich sein, so Bernhardt.
„Es ist schön, den Menschen zu helfen“, nennt Bernhardt als Motivation seiner Arbeit. Viele bewegende Momente habe er schon erlebt, wenn er die Familien über das Schicksal ihrer Verwandten aufklären konnte.
Nun kam ein weiterer dazu. Dass Bernhardt seinem Freund nicht nur den Namen und die Identität seines Vaters, sondern sogar ein Foto mitgeben konnte, freut ihn besonders. Es sei die Bestätigung seiner Arbeit. Die Ähnlichkeit der beiden sei frappierend, berichtet er.
„Viele Jahre wurde vom Vater nichts erzählt, stattdessen wurde mein Freund von Kindern als ’Bankert’ gehänselt, weil er ein uneheliches Kind war. Er hat sehr unter dem fehlenden Vater gelitten.“ Die Mutter habe nie über diese Zeit gesprochen, aber Kriegsheimkehrer unterstützt. Dem Freund nun helfen zu können gebe ihm viel, sagt der Grünsfeldhäuser.
In einem Gedenkbuch seien die Toten von Kielce vermerkt. Ihre Gebeine sollen im Friedhof von Stare Czarnowo bei Szczecin beigesetzt werden und dort ihre letzte Ruhe finden. Die Nachforschungen sind für ihn aber noch nicht beendet. Jetzt sucht er noch Reinhold Heidensteckers Bruder und dessen Nachfahren. In den Kirchenarchiven will er mehr herausfinden. „Ich will meinem Freund die Familie zurückgeben, die er nie gekannt hat.“
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