Tauber-Odenwald. Mit dem Spaten hebt die Archäologin ganz vorsichtig die Erde ab. Knöcheltief steht sie in einer quadratischen Fläche. Der sogenannte Profilkasten wird sorgfältig nach Fundstücken untersucht. Im Erdreich könnten sich kleine Tonscherben befinden. Am Vortag wurde ein unscheinbarer roter Stein mit einem kreisrunden Loch darin gefunden: ein Spindelgewicht. Nur wenige Meter daneben rücken ihre Kollegen dem Untergrund mit leichten Pickelhieben zu Leibe. Die Ausgrabungen erfolgten im Zuge der bauvorgreifenden Maßnahmen für den „SuedLink“. Im Rahmen dieses gigantischen Infrastrukturprojekts werden Kabel verlegt, um den Windstrom aus dem Norden in den Süden zu transportieren.
Nicht nur entlang der A 81 sind die Baumaßnahmen mit den offenen Gräben sichtbar. Hier haben die Bagger bereits eine 35 Meter breite Schneise in die Erde gerissen und den Mutterboden sorgsam abgetragen. Bevor es tiefer geht und die Leerrohre für die beiden parallel verlaufenden Stromkabel gelegt werden, nehmen die Archäologen den Untergrund in Augenschein. Das ist der längste archäologische Querschnitt im Land, sagen die Fachleute. Denn überall, wo die Bagger die Erde abtragen, ist Archäologie darunter. Bei Großrinderfeld wurden im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen bereits Artefakte aus der Keltenzeit dokumentiert. Was die rund ein Dutzend Fachleute bei Grünsfeldhausen entdeckt haben, ist eine Siedlung aus der Linearbandkeramischen Kultur um 5500 bis 5000 vor Christus.
Kulturdenkmale wie „an der Perlenkette“
Dr. René Wollenweber, Archäologe der Prähistorischen Archäologie und Referent für lineare Projekte am Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart, schwärmt von den Kulturdenkmalen, die gefunden wurden. „Wie an einer Perlenkette aufgereiht gibt es einige Fundstellen aus der Zeit der Bandkeramik.“ Um 5500 vor Christus waren die Menschen, deren Vorfahren wohl ursprünglich aus dem anatolischen Raum kamen, im Taubertal sesshaft geworden und haben Ackerbau betrieben. Interessant ist für den Fachmann die Häufigkeit der Fundstellen, die sich auch in Richtung Großrinderfeld und in Richtung des Rödersteingrabens erstrecken. Im Abstand von rund zwei Kilometer und quasi auf jeder Kuppe, so Wollenweber, sei eine Siedlung gestanden. „Wir gehen von einer hohen Bevölkerungsdichte aus.“
Was 7000 Jahre später noch zu sehen ist, erklärt Grabungsleiter Laurin Scheiderer. Er deutet auf die dunkle Verfärbung am Boden. Dort haben Pfosten für das Langhaus gestanden. Tief in die Erde wurden die Stämme gerammt. Durch Erosion, Wind und Regen sind sie aber nur noch wenige Zentimeter unter der Schicht des Mutterbodens. Zahlreiche solcher Stellen wurden für ein Gebäude gefunden. Die Häuser hatten ein Ausmaß von bis zu 350 Quadratmetern Fläche, in denen teilweise Großfamilien mit 50 bis 60 Personen lebten. Die Wände wurden wie bei einem Fachwerk mit Zweigen gefüllt und mit dem vorhandenen Lössboden verputzt. „Wir wissen zwar die Ausmaße, aber nicht wie die Häuser gedeckt waren oder sonst aussahen“, ergänzt Wollenweber. Ausgerichtet waren die Gebäude mit dem Haupteingang in Richtung Südosten.
Über das Leben der Vorfahren lernen
Was für ungeschulte Augen nur schwer zu erkennen ist, sagt den Archäologen viel über das Leben unserer Vorfahren aus. Etwa auch das dunkle Erdmaterial, das sich in einem freigelegten Querschnitt halbkreisförmig gegen den hellen Löss abzeichnet. Diese Siedlungsgrube könnte vor mehr als 7000 Jahren eine Vorratskammer gewesen sein oder auch eine Lehmgrube, aus der man Baumaterial geholt hat.
Aufschluss über das Leben der Menschen geben auch die Fundstücke. Spektakulär ist nicht nur ein Geweih, sondern auch die Ahle, die wohl aus dem Knochen einer Ziege hergestellt wurde. Daneben wurde ein Spindelstein entdeckt sowie verschiedene Scherben, mit denen man eine Datierung vornehmen kann: Wollenweber spricht von der jungen Bandkeramikzeit um 5100 vor Christus. Die Scherbe, die er zeigt, könnte einst zu einem Gefäß gehört haben, mit dem man Wasser aus dem Brunnen geschöpft oder in dem man Getreide aufbewahrt hat. Mit Punkten und Linien verziert wurde der Tonkrug wohl mit einer Ahle oder einem Holzstab. Nicht gefunden habe man bisher die „Friedhöfe der Bandkeramiker“, sagt Scheiderer. Das könne auch damit zusammenhängen, dass man nur den Korridor für die „SuedLink“-Trasse untersuche und nicht außerhalb weitergrabe.
Zahlreiche Schritte der Dokumentation
Die bedeutsamen Bereiche werden fotografiert, kartiert, dokumentiert und fotogrammetrisch erfasst und festgehalten, damit auch in Jahrzehnten jeder die Funde den Stellen zuordnen könne, ergänzt Wollenweber. Die Artefakte, wie das Spindelgewicht oder die Tonscherben, werden nach der Reinigung und Bearbeitung im Zentralarchiv in Rastatt gelagert.
„Der ,SuedLink‘ ist ein drastischer Einschnitt, für die Archäologen aber auch ein Glücksfall“, räumt Marco Schrickel, stellvertretender Referatsleiter beim Landesamt für Denkmalpflege. Man habe so die Möglichkeit, die zeitliche Entwicklung über eine längere Distanz nachzuzeichnen. Das Amt sei von Beginn an mit in die Planungen eingebunden gewesen, Archäologen seien vor Ort. „Wir können weit vor den Baggern arbeiten.“
Dass die Archäologie ein wichtiger Bestandteil bei der Trassenführung von „SuedLink“ ist, betont auch Dr. Holger Schweitzer, Teamleiter Umwelt bei Transnet BW. Idealerweise habe man die Trasse auch so gelegt, dass die Archäologie nicht zerstört werde. Die Ausgrabungen an der A 81 bei Grünsfeldhausen sind im Zeitplan und sollen Anfang April beendet sein. Dann können die Rohre per HDD-Spülverfahren unter der Straße hindurch verlegt werden.
Die Archäologen sind erneut fündig geworden. In der Erde liegt ein ganz besonderer Stein, eine Seite griffig, die andere glatt. „Das könnte das Stück eines Reibsteins gewesen sein, mit dem Getreide zu Mehl gemahlen wurde“, sagt Grabungsleiter Scheiderer. Weitere kleine solcher Schätze lassen sich finden. Für die Archäologen ein spannendes Zeugnis aus der Frühzeit der Siedlungsgeschichte der Region.
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