Die Tanzvilla Creglingen hat am Samstag in der Mehrzweckhalle für ein künstlerisches Highlight gesorgt, das seinesgleichen sucht. Die Tanzshow „Die Besucher“ sorgte am Ende für stehende Ovationen.
Creglingen. „Die Besucher“: Versprochen hatte die Tanzvilla Creglingen, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen feiert – einfach eine Tanzshow. Was das Publikum in der Mehrzweckhalle erlebte, war einiges mehr: Das zweistündige, von zwei ausgedehnten Pausen unterbrochene Programm erreichte stellenweise das Niveau von großer Revue und Tanztheater. Das Publikum bedankte sich mit reichlich Zwischenapplaus und zum Schluss minutenlanger stehender Ovation.
60 Tänzerinnen und Tänzer aus insgesamt vier in Augsburg, Creglingen, Dresden und Leipzig beheimateten Tanzgruppen plus einige Komparsen, die die finale Kriegstoten-Konzeptperformance „Counting Bodies“ begleiteten, tanzten, schwebten, huschten und marschierten über die Bühne und erzählten die Geschichte einer anfangs idyllischen, dann immer schneller auf die Apokalypse zusteuernden Welt.
Weltuntergangsstimmung
Da wiegten sich im ersten Teil des Programms Nixen in ozeanischen Weiten, tanzten Elfen durch Wälder, ging es einmal rund durch die Welt des Tanzes vom Orient bis in die Revuewelt der „goldenen“ zwanziger und dreißiger Jahre; dann changierte im zweiten Teil orientalischer Hüftschwung zu Pop-Fusion, Tabledance-Burleske, Amazonen-Tribal-Dance und Western-Line-Dance, ehe aus Horrorfilm-Szenarien entsprungene Gerippe vor Draculas Schloss Grusel erzeugende Totentanz-Episoden folgen ließen. Der gegenwartsinspirierte dritte Teil startete mit Techno, Graffiti-Mauern, einander bekriegenden Straßengangs.
Bei Flötenspiel und dem schreitenden Auftritt der Schwarzen Schicksalsgöttin deutet sich Weltuntergangsstimmung an, die sich in düsterem Fächertanz, bei Tanz der von Straßenstaub und Ascheregen erbleichten Feen und Zombie-Auftritten zuspitzt. Atemlos folgt das Publikum den in Tanzperformance übersetzten Waffengängen, zum TV-Spektakel gerinnenden Kriegsszenen, wird Zeuge der Begegnung zweier nur unter Gasmasken die Zerstörung noch Überlebenden. Ganz still dann folgen die Gäste der ausdrucksstarken Pas des deux-Hiroshima-Performance von Ida Mahin. Es ist ein sich zuspitzender Alptraum in vielen Facetten, betörend opulent gestaltetes Grauen, das das Publikum fesselt. Natürlich bedienen sich die Choreographien bekannter Klischees und der Vielzahl aktueller Sounds und Popkultur-Zitate. Das ist erlaubt, kein Regisseur könnte guten Gewissens behaupten, nicht hier und da Ideen abgepflückt und zu neuen Sträußen gebunden zu haben.
Eben das haben die Gruppierungen um Jeanette Kellert (Tanzvilla Creglinen), Franziska Franz (Perlen des Orients und Lunaris, Dresden), Lina und ihr Ensemble (Leipzig) und Ida Mahin (Ereshkigal und Tanzkunstwerk Augsburg) getan: aus vorhandener Ideen- und Tanzformenvielfalt einen Erzählstoff gewoben, der über das Zweistundenprogramm nie den roten Faden verlor. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Gesamtkunstwerk leistete die Videokunst, die das Bühnenbild ersetzte. Simone Kroy und Helen Habel entwickelten die Ideen und gestalteten die punktgenau zugeschnittene Installation. Selbst gedreht und bis ins Detail ausgetüftelt haben sie dieses lebendige Videoart-Szenario, das die Darbietungen gekonnt mit einer zweiten Ebene ergänzte.
Mit 60 Tänzerinnen und Tänzern, von denen die jüngsten gerade mal dem Kindergarten entwachsen sind, eine solche Show auf die Beine zu stellen, dazu in der Pandemiezeit, die unmittelbare Begegnung erschwerte, den Austausch zwischen Augsburg, Creglingen, Dresden und Leipzig oft nur noch online erlaubte, ist eine reife Leistung, zu der der Tanzvilla nur gratuliert werden kann.
Unterstützt wurden die Tänzerinnen und Tänzer von einem rund 40-köpfigen Backgroundteam, das unsichtbar dafür sorgte, dass Outfits und Accessoires wie Leuchtkugeln, Stäbe, Schleier, Isisfächer und dergleichen punktgenau parat waren, weitere 15 Helferinnen und Helfer sorgten für Pausensnacks und Getränke. Für die perfekten Frisuren und Masken der Jüngsten sorgte Liane Bauer, die unfassbare Kostümvielfalt, mit der allein die Tanzvilla Creglingen ihre Tänzer und Tänzerinnen ausstatte, entstand unter Anleitung und intensiver Mitarbeit von Anja Herwarth. Pausenhighlight: Die phantasievollen, mit Lichterketten illuminierten Reifrock-Kostüme, in denen sich Mitwirkende in „Walk Acts“ unters Publikum mischten.
Wenn dieses Tanzevent am Samstag Abend mit dieser einzigen öffentlichen Aufführung zugleich seine Premiere und seine Derniere erlebt haben sollte, wäre das zutiefst bedauerlich. Aber wer weiß: Im Umland gibt es einige gut bespiel- und betanzbare Bühnen; vielleicht hat ja auch der eine oder andere Scout den Weg in die voll besetzte Creglinger Mehrzweckhalle gefunden.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/creglingen_artikel,-creglingen-tanzvilla-creglingen-vereint-idylle-und-apokalypse-auf-geniale-weise-_arid,1860749.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/creglingen.html