Creglingen

Herrgottskirche: Mini-Kopie des Riemenschneider-Altars mit großer Ausstrahlungskraft

Der berühmte Marienaltar in der Herrgottskirche hat ein Pendant im Maßstab 1:30 erhalten. Der Künstler Klaus Schoettle hat das Kunstwerk an die evangelische Kirchengemeinde überreicht.

Von 
Inge Braune
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Pfarrerin Fraukelind Braun (links) nahm die von Klaus Schoettle filigran gearbeitete Kopie des Riemenschneider-Retables stellvertretend für die evangelische Kirchengemeinde Creglingen entgegen. In der Mitte Schoettles Ehefrau Monika Adam. © Braune

Creglingen. 18 Jahre alt war Klaus Schoettle, als er 1958 Tilman Riemenschneiders Marienaltar erstmals begegnete, Unterprimaner auf Klassenfahrt. Acht Jahre nach Einweihung der Romantischen Straße, der allerersten deutschen Ferienstraße, die Touristen aus aller Welt zu deutschen Kulturdenkmalen lockte, diente der Schullandheim-Aufenthalt im Taubertal nicht nur zum Durchatmen: Der angehenden Elite – nur sechs bis sieben Prozent eines Schülerjahrgangs legten seinerzeit das Abitur ab, heute sind es über 50 Prozent – sollte mit der Kenntnis wichtiger Sehenswürdigkeiten letzter Schliff mitgegeben werden.

Riemenschneider zu kennen, war ein Muss im damaligen Bildungskanon; klar also, dass die Herrgottskirche ein fester Programmpunkt war.

30 Zentimeter Detailverliebtheit: die Marienaltar-Kopie. © Braune

Schöttle muss atemlos vor dem Riemenschneiders Meisterwerk gestanden haben, zumal er selbst bereits seit Jahren Verwandte und Freunde mit eigenen Schnitzwerken beschenkte. Aber diese Schnitzkunst, dieser Ausdruck, diese Tiefe…

Die Begeisterung für den Marienaltar hielt an – und sollte ihn lebenslang begleiten. Als sein Bruder ihm nach einer Englandreise von einem Londoner Museumsexponat, einer dem Königshaus verehrten Miniaturkopie eines schottischen Altars, vorschwärmte, wurde aus dem in Creglingen aufgefangenen Begeisterungsfunken ein höchst anspruchsvolles Projekt: Schöttle beschloss, eine kleine Kopie des Marienalters zu schnitzen. Lindenholz, wie beim Original, wäre für eine Kopie im Mini-Maßstab zu weich gewesen. Um das im Orignal 9,20 Meter hohe Retabel als nur 30 Zentimeter hohe Miniatur nachzuarbeiten, wählte der Schüler das dem Farbton nahe, aber deutlich härtere Ahornholz.

Schnitzwerkzeug für derart diffizile Miniaturarbeiten sind nicht gerade üblich: Ein Onkel versorgte den ambitionierten Holzschnitzer mit zu Schnitzeisen umfunktionierten Skalpellen, aus am Öhr eingekürzten feinen Nähnadeln stellte Schoettle Hohleisen her, eine Herausforderung stellte der Geißfuß für V-förmige Schnitte dar.

Bis ins feinste Detail

Anfangs mit noch unbewaffnetem Auge, später mit der Stirnlupe und zuletzt unterm Stereomikroskop, formte Schoettle nur anhand von Fotomaterial über insgesamt 38 Jahre den Altar bis in feinste Details nach – zuhause und auch auf Reisen, die den Maschinenbauer in alle Welt führten. Im Herbst 1996 war das Werk, das ganz wie das Original bewegliche und auch auf der Rückseite fein ziselierte Seitenflügel hat, vollbracht.

Nicht erst ab diesem Zeitpunkt gehörte der Mini-Marienaltar zur Familie. Schoettles Ehefrau Monika Adam fiel es fast noch schwerer als ihrem Mann, das Kleinstkunstwerk, das seit einem Vierteljahrhundert zum Mobiliar des unweit von Straßburg gelegenen Wohnsitzes gehörte, jetzt in neue Obhut zu geben.

Doch beiden war es ein Anliegen, das von seinem Schöpfer liebevoll als „Kuriosität“ bezeichnete Werklein, das bereits viele Freunde und Bekannte bestaunten, dauerhaft öffentlich zu präsentieren – und natürlich am liebsten da, wo der Begeisterungsfunke übersprang.

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kh
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Schon vor ein paar Jahren hatten sie mit der evangelischen Kirchengemeinde Creglingen Kontakt aufgenommen – und jetzt wurde das Kleinst-Kleinod vor Riemenschneiders Meisterwerk der Kirchengemeinde übergeben, Seinen dauerhaften Platz findet es – der Maßgabe der Schenkungsurkunde entsprechend – in der Nähe des großen Vorbilds als neuer Wandschmuck.

Zur persönlichen Übergabe der Mini-Kopie des Marienaltars, das die Gemeinde mit einem Festakt am Vorabend des Mariae Himmelfahrtstages begrüßte, war das Ehepaar aus Straßburg angereist.

Sehr passend hatte Karl-Heinz Rehfeld ältere und moderne Marienlieder ausgewählt, die die Weikersheimer Sopranistin Beate Baumann zur Piano-Begleitung Rehfelds gekonnt vortrug. Mit einem kleinen, durch ein Purcell-Rondeau eingeleiteten Mozartkonzert aus den Mozart-Sonaten in D-Dur, A-Dur und F-Dur (KV 311, 331 und 333) verlieh Rehfeld dem Abend ein feierliches Gepräge. Mit großer Freude und sichtlicher Rührung angesichts von Schoettles lebenslanger Begeisterung für das Creglinger Riemenschneider-Kleinod enthüllte Pfarrerin Fraukelind Braun das so besondere Geschenk für die Herrgottskirche.

In der jetzt anbrechenden „Lichtwunder“-Zeit taucht bei gutem Wetter die Abendsonne Riemenschneiders Darstellung der Aufnahme Mariens in den Himmel in ein fast überirdisches Licht, das Besucher immer wieder fasziniert. Dass sie dem neuen Kleinst-Kleinod auch gebührende Beachtung zollen werden, steht außer Frage.

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