Creglingen. Übersetzerinnen arbeiten meist im stillen Kämmerlein – allein mit sich und dem Buch, das sie ins Deutsche übersetzen sollen. Am Samstag im Romschloss aber traten sie ins Rampenlicht – für ihre Kollegin Dr. Anne Emmert, die im Januar 2024 bei einem Verkehrsunfall zusammen mit ihrem Mann Günter ums Leben gekommen war.
Der außergewöhnliche Abend stellte die Kunst des Sachbuchübersetzens in den Mittelpunkt – am Beispiel von Anne Emmert. Die von Familienmitgliedern, Freunden, Weggefährten und einem literarisch interessierten Publikum besuchte Veranstaltung stand unter dem Motto „Was haben Väter mit Perlenohrringen, wandernde Frauen und ein Recht auf Sex mit Kafkas Koffer zu tun?“. Das war schon ein deutlicher Hinweis auf die vielfältige Thematik, mit der sich Übersetzerinnen tagtäglich auseinandersetzen müssen.
An die 150 Bücher ins Deutsche übersetzt
Anne Emmert stammte aus dem westfälischen Gütersloh und fand ihren Weg ins Taubertal über die Stationen Neuhausen/Fildern, München und Würzburg.
Sie war Mitglied im Verband der Literaturübersetzer und arbeitete dort in der Honorarkommission, die sich für eine gerechtere Bezahlung der Übersetzerinnen und Übersetzer einsetzt.
Seit 1996 hat Anne Emmert etwa 150 Titel aus dem Englischen übersetzt, Belletristik und Jugendbücher, vor allem aber populärwissenschaftliche und politische Sachbücher, Essays und Biografien.
Im März erhielt Dr. Anne Emmert auf der Leipziger Buchmesse posthum den Übersetzerinnen-Preis „Rebekka“ verliehen. Der Preis wurde an ihre beiden Kinder überreicht.
Mit Anne Emmert kam bei dem Unfall im Januar auch ihr Mann Günter ums Leben. Auch ihm wurde am Samstag im Romschloss gedacht. abo
Weil sie eben nicht im Rampenlicht stehen, weiß die Leserschaft oft nichts oder nur wenig über sie – dabei sind die Übersetzerinnen und Übersetzer in einer Schlüsselposition und tragen als Scharnier zwischen Autoren und ihrer Leserschaft eine hohe Verantwortung. Weil Übersetzerinnen aber im Verborgenen arbeiten, wird ihre Arbeit wenig geschätzt und schlecht bezahlt.
Dr. Anne Emmert hat rund 150 Bücher vom Englischen ins Deutsche übersetzt
Mit welchen Herausforderungen sie im beruflichen Alltag konfrontiert sind, welche unglaubliche Vielfalt ihre Arbeit prägt und mit welcher Begeisterung sie ihr nachgehen: Das spiegelten die Übersetzerinnen Judith Elze, Claudia Arlinghaus und Katrin Harlaß eindrucksvoll wider, als sie sich am Samstag im Saal des Romschlössles vorstellten und unter der Moderation von Karen Nölle über ihre Zusammenarbeit mit Anne Emmert berichteten.
Dabei kam nicht nur die hohe Wertschätzung für den Menschen Anne Emmert zum Ausdruck, sondern auch der große Respekt vor ihrer beruflichen Vita. Sie hat nicht nur gut 150 Bücher voller Akribie vom Englischen ins Deutsche übersetzt, sondern sich auch mit Nachdruck für ihren Berufsstand eingesetzt, unter anderem hat sie 2015 die Sachbuchwerkstatt ins Leben gerufen, die eine bessere Vernetzung der Übersetzerinnen bewirkte. Und in der Honorarkommission des Verbandes setzte sie sich mit Nachdruck für eine bessere Bezahlung der Kolleginnen und Kollegen ein.
Nach einleitenden Worten von Evelyn Gillig und Bürgermeister Uwe Hehn erzählte Moderation Karen Nölle, wie sehr sich Anne Emmert gefreut habe, als sie davon erfuhr, dass ihr langjähriges Wirken mit dem Preis „Rebekka“ gewürdigt werden solle. „Es ist uns ein Anliegen, das Zusammensein mit Anne zu feiern“, sagte die Moderatorin, die Anne Emmert in den 1990er-Jahren kennengelernt hatte.
Fachvokabular, Zitate, Gedichte: Die Arbeit von Übersetzern erfordert Akribie
Judith Elze las Stellen aus dem Buch „Kafkas letzter Prozess“ von Benjamin Balint. Anne Emmert übersetzte dieses Werk im Jahr 2018. – unter anderem recherchierte sie dabei an der Uni-Bibliothek Würzburg nach 500 Zitaten. Claudia Arlinghaus stellte das Buch „Das Recht auf Sex“ von Amia Srinivasan zum Feminismus im 21. Jahrhundert vor. Die Arbeit habe angesichts des zahlreichen Fachvokabulars eine hohe Akribie bei der Recherche erfordert, so die Übersetzerin. Katrin Harlaß schließlich widmete sich dem Buch „Frauen, die wandern, sind nie allein“ von Kerri Andrews. In diesem Werk geht es um zehn Denkerinnen aus drei Jahrhunderten und ihre Erfahrungen beim Wandern. Dabei galt es, auch Gedichte zu übersetzen – eine besondere Herausforderung. Moderatorin Karen Nölle würdigte die „meisterhafte“ Arbeit der drei Übersetzerinnen und ihrer Kollegin Anne Emmert.
Judith Elze hat von der Sachbuchwerkstatt profitiert: „Dieses von Anne gegründete Netzwerk war der reinste Segen für mich“. Es habe Projekte ermöglicht, die alleine nicht denkbar gewesen wären. Katrin Harlaß sagte, man habe Anne Emmert immer anrufen und um Rat fragen können. „Sie hat sich immer Zeit genommen“. Claudia Arlinghaus bezeichnete die Zusammenarbeit mit Anne Emmert als „hoch bereichernd“. Sie habe Dinge auf den Punkt bringen können. Auch zum Thema Künstliche Intelligenz äußerten sich die Übersetzerinnen. KI könne ein Hilfsmittel sein, aber sich darauf zu verlassen, sei ein großer Fehler, lautete der Tenor.
Anne Emmert wäre das Aufhebens um ihre Person vermutlich unangenehm gewesen – worüber sie sich aber definitiv gefreut hätte: dass ihr Berufsstand wenigstens für einen Abend aus dem Dämmerlicht der Nachttischlampe in den Fokus der Öffentlichkeit wechselte.
Musikalisch einfühlsam umrahmt wurde der Abend von Karl-Heinz Rehfeld am Klavier. Veranstaltet wurde der Abend von der Stadt Creglingen und dem Verein Weltlesebühne. Dieser wiederum wird gefördert durch den Deutschen Übersetzerfonds.
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