Stella, Reena, Juli und Maladi haben ihr Leben in Gottes Hand gelegt. Wo die indischen Schwestern in zehn Jahren sein werden, wissen sie nicht. In Angeltürn haben sie eine Heimat auf Zeit gefunden.
Angeltürn. „Society of Sisters of St. Anne“ steht an der Tür. Warmes Licht strahlt aus den Fenstern des Fachwerkhauses, in dem die vier Schwestern seit kurzem wohnen. Malathy kann nicht beim Gespräch „mit der Zeitung“ dabei sein, sie hat Unterricht an der Sprachschule in Würzburg. Dafür sind Heike Seyfried sowie Tanja und Karsten Hellinger gekommen und sitzen nun gemeinsam mit Stelle, Reena und Juli am Tisch.
Mit Händen und Füßen verständigt
Heike Seyfried und die Hellingers kümmern sich zusammen mit Inge Höhnle und Petra Kohler um die Nonnen und erinnern sich noch genau an den großen Tag ihrer Ankunft: „Am 1. April 2016 fuhr ein ganzer Bus voller Leute aus der Seelsorgeeinheit Boxberg/Ahorn an den Frankfurter Flughafen, um die Schwestern in Empfang zu nehmen. Wir hatten zuvor nur Bilder gesehen und wussten ihre Geburtsdaten –mehr nicht. Deshalb haben wir uns eben mit Händen und Füßen verständigt und sehr viel gelacht“, sagt Karsten Hellinger.
Schwester Stella, die Oberin, strahlt: „Das war eine große Überraschung, von so vielen lieben Menschen empfangen zu werden, eine wunderbare Erfahrung“. Wie die anderen Schwestern auch, spricht sie mittlerweile sehr gut Deutsch. Nichts erinnert mehr an den Moment, an den Karsten Hellinger nur zu gern zurückdenkt: „Tanja sagte zu ihr: Oh Stella, ich freue mich so, wenn wir uns auf Deutsch unterhalten können!“
Die Sprache ist aber nicht das einzige, was Stella und ihre drei Mitschwestern in gerade mal eineinhalb Jahren in Deutschland gelernt haben: Während die Oberin ihre praktische Prüfung noch vor sich hat, haben die anderen Zwei bereits die Fahrschule hinter sich gebracht und sind stolze Führerscheinbesitzerinnen.
Anfangs war alles neu, alles anders. Und weit weg von der Heimat. Doch eine Wahl hatten sie nicht. „Wenn mir unsere Generaloberin sagt, du musst nach Deutschland gehen, dann muss ich das tun“, erklärt Schwester Reena. Sie war zuvor sechs Jahre in Mailand, hat als Erzieherin und in der Altenpflege gearbeitet. „Ich habe sie gefragt: Mutter, kannst du mich nicht in Italien lassen? Aber sie sagte nein, du gehst nach Deutschland!“ Schwester Stella gehört schon seit 30 Jahren dem indischen St.-Anna-Orden an und arbeitete zehn Jahre in Ghana, bevor sie nach Deutschland abberufen wurde. Juli und Malathy verließen ihre Heimat das erste Mal – für sie war der Flug nach Frankfurt der allererste ihres Lebens.
Alle wussten schon früh, dass sie in ihrem Leben Gutes tun wollen – und zwar nicht nur zu Weihnachten, sondern immer und für immer. Während Julis Wunsch, Nonne zu werden, kein Problem für ihre Familie darstellte, stieß Reena vor allem bei ihrem Vater auf Widerstand. „In meinem Heimatort ist es sehr schwer für die Eltern, wenn ihr erstes Kind einem Orden beitritt. Das Erstgeborene ist nämlich etwas ganz Besonderes. Alle haben gesagt, ich soll zuhause bleiben. Doch ich wollte etwas für die Menschen tun und habe meine Familie gebeten, mich gehen zu lassen. Ich wusste, dieser Weg ist gut für mich. Letztendlich haben sie es akzeptiert. Mein Vater sagte: Wenn mein Kind glücklich ist, bin ich es auch“.
Und die Oberin rückt am feierlich gedeckten Tisch lachend mit einem Geheimnis heraus: „Nach meinem Studium wollte ich ins Kloster gehen, aber es wurde mir nicht erlaubt, weil schon ein anderes junges Mädchen meiner Familie in einen Orden eingetreten war. Mein Vater sagte: Eine Person ist genug!“ Doch Stellas Sehnsucht war so groß, dass sie eine Ausrede ersann: „Ich behauptete, dass ich für ein halbes Jahr einen Englisch-Sprachkurs in Bangalore besuche. In Wahrheit ging ich aber in ein Kloster“. Heute ist alles gut so, wie es ist. Zu ihrem Ewigen Gelübde reiste die ganze Familie mitsamt ihrem Vater an.
Alle vier Schwestern haben ihre Entscheidung, Nonne zu werden, noch nie bereut. „Wenn man nicht glücklich und zufrieden ist, kann man unsere Aufgaben nicht erfüllen. Wir brauchen viel Kraft und Gottes Hilfe“, gibt Stella jedoch zu. Alle Schwestern sind sehr eingespannt.
Stella machte ein Anerkennungspraktikum als Krankenschwester im Bad Mergentheimer Caritas-Krankenhaus, im Januar beginnt für sie die Arbeit im Haus Umpfertal in Boxberg. Auch Schwester Juli absolvierte ein Anerkennungspraktikum in der Klinik in der Kurstadt. Momentan macht sie ein Praktikum bei der Sozialstation Boxberg, wo sie dann auch arbeiten wird. Reena und Malathy lassen sich zu Erzieherinnen ausbilden.
„Auf sich alleine gestellt, wären die Vier mit der deutschen Bürokratie nicht zurecht gekommen“, sagt Heike Seyfried. Verlängerungen der Aufenthaltsgenehmigungen, Ausbildungsanerkennungen, die ohne ein polizeiliches Führungszeugnis nicht ausgestellt werden – die drei Deutschen können ein Lied von den vielen bürokratischen Hürden singen. „Es hieß, Stella brauche ein polizeiliches Führungszeugnis aus Indien. Aber das hatte sie vor ihrem Abflug nach Deutschland in Indien abgegeben. Also sagte man uns, sie solle in ihre Heimat fliegen und ein neues besorgen. Wie soll das denn funktionieren? Kommt dann die Polizei ins Kloster und fragt: Haben Sie was verbrochen, Stella?“, echauffieren sich die drei guten Geister. Alle lachen. Letztendlich fanden sie heraus, dass dieses Zeugnis im Indischen Generalkonsulat in München ausgestellt wird. Also fuhr Pfarrer Edgar Wunsch mit Stella hin und das Problem war gelöst.
Dass sich die Schwestern in Angeltürn und zu Beginn in Eubigheim im ehemaligen Pfarrhaus so wohl fühlten, ist Tanja Hellinger und ihren „Teamkollegen“ sehr wichtig. Als die Nonnen damals in Eubigheim ankamen, läuteten sogar die Glocken, extra für die neuen Gäste aus dem fernen Indien. Sowohl dort als auch in Angeltürn sorgte man mit viel Liebe dafür, dass die Schwestern ein gemütliches Zuhause bekommen.
Anfangs erarbeiteten die Deutschen gar einen Fahrdienst für jeden Monat mit Handynummern der „Diensthabenden“. Gerade in ihrem ersten Winter standen die Nonnen nicht nur einmal am Bahnhof in Lauda und kamen nicht weiter zum Sprachunterricht nach Würzburg, weil der Zug ausfiel. Die Durchsagen konnten sie damals noch nicht verstehen. Karsten Hellinger erinnert sich an ihre Anrufe: „Karsten, heute kein Zug!“ Also setzte sich derjenige, der gerade etwas Zeit hatte, ins Auto und fuhr die Schwestern nach Würzburg. „Am Anfang“, sagt Karsten Hellinger und lacht, „war das schon alles sehr spannend.“
Auch zu den Heiligen Messen in der Seelsorgeeinheit wurden die Schwestern zu Beginn noch „chauffiert“. Heute können sie alle bis auf Stella, die vor der praktischen Prüfung steht, selbst Auto fahren. „Sie werden flügge“, sagt Tanja Hellinger fast ein bisschen wehmütig.
Die Schwestern sind den ehrenamtlichen Helfern längst ans Herz gewachsen. „Sie zu unterstützen, war uns nie zuviel. Man bekommt so viel von ihnen zurück“, drückt Karsten Hellinger seine Empfindungen aus. „Wenn wir sie besuchen, ist das jedes Mal wie ein kleiner Urlaub“, meint er weiter. Seine Frau Tanja ergänzt: „Bei ihnen kann man wunderbar einen Gang ‘runterschalten und den Alltag einmal etwas vergessen“.
Mittlerweile essen die Inderinnen auch deutsches Brot, ohne sich zu fragen, warum. Denn in ihrer Heimat, so erzählt Reena und lacht, „nimmt man nur Brot zu sich, wenn man krank ist“. Das deutsche Essen schmeckt den vier Nonnen sehr gut. Sie haben auch schon indisches Briani, Reis mit Fleisch, für ihre deutschen Freunde gekocht. Heike Seyfried erzählt: „Sie boten uns etwas zu trinken an und wir lehnten höflich ab. Doch als wir dann das Briani aßen, mussten wir doch um Wasser bitten – es war so scharf!“ Und wieder biegen sich alle vor Lachen am adventlich geschmückten Tisch.
„Wir haben schon viele lustige Sachen erlebt“, sagt Karsten Hellinger und erinnert sich gerne auch an die wintergerechte „Einkleidung“ der Schwestern. Bis auf Reena kannten sie schließlich weder niedrige Temperaturen noch Schnee. „Als wir sie dann das erste Mal so dick eingemummelt sahen, mussten wir ganz genau schauen, wer wer ist“, lacht er. Die Schwestern kichern.
Neue Herausforderungen
Im neuen Jahr warten bereits wieder neue „Herausforderungen“. Im Februar ist Elternabend an Reenas Sozialpädagogikschule. „Ich habe meine Lehrer scherzhaft gefragt, ob meine Eltern aus Indien kommen müssen“, erzählt sie und lacht. In diese Rolle schlüpfen nun Oberin Stella und Heike Seyfried. Rollenspiele sind den Deutschen sowieso nicht fremd: „Wenn Reena Präsentationen für die Schule vorbereiten muss“, berichtet Heike Seyfried und lacht, „übt sie in unserem Beisein. Wir sitzen dann da und sind ihr Publikum“.
Aber nun ist erst einmal Weihnachten. Am Donnerstagabend stand bereits ein wichtiger Termin an: Gemeinsam schmückten die Schwestern mit ihren deutschen Freunden ihren Baum in Angeltürn . „In Indien“, erklärt Stella, „gibt es nur welche aus Plastik“. Heike Seyfried hat den Nonnen die Krippe ihrer verstorbenen Mutter geschenkt. Dass sich alle an den Feiertagen wiedersehen, ist selbstverständlich. „Hundertprozentig“, sagt Tanja Hellinger.
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