Boxberg. Vor 175 Jahren, am 18. März 1849, gründeten führende Persönlichkeiten des Amtsbezirks Boxberg im „Adler“ den ersten politischen Volksverein im Bezirk. Pfarrer Zimmermann (Schweigern), der spätere Landtagsabgeordnete, plädierte für „möglichst größte Freiheit ohne Anarchie und Socialismus“. Die Gründung beflügelte die entschiedenen Demokraten: in wenigen Wochen existierte in fast jeder Bezirksgemeinde ein örtlicher Volksverein.
Ab Spätherbst 1848 organisierte sich die liberale Opposition verstärkt in parteiähnlichen Verbänden. Die Gemäßigten (Anhänger der bestehenden Staatsform) sammelten sich in „(Neuen) Vaterländischen Vereinen“, etwa in Walldürn, Wertheim oder Krautheim. Die „Entschiedenen“ oder Radikaldemokraten (oft zugleich Anhänger der Republik) konterten in Baden mit dem Aufbau von „Volksvereinen“.
Anfang März 1849 entstand im Raum Krautheim-Osterburken ein erster überbezirklicher Volksverein. Er stieß in den Amtsbezirken Adelsheim, Boxberg, Buchen und Krautheim auf großes Interesse. Boxberger Honoratioren luden auf Sonntag, 18. März um 14 Uhr ins Boxberger Gasthaus „Adler“. Gut 200 Leute „verschiedenen Alters, größtentheils Landleute und Taglöhner“ fanden sich ein. In der Eröffnungsrede sprach der evangelische Pfarrer Philipp Zimmermann (Schweigern) von „der Erstrebung der möglichst größten Freiheit ohne Anarchie und Socialismus“.
Zimmermann erklärte später: „In der Zeit politischer Ansprüche und Hoffnungen erachtete ich es für meine Pflicht, dem Volk in einem Bezirke, wo die Bildung und Aufklärung noch viel zu wenig oder gar nicht allgemein ist, mit Belehrung und Unterstützung entgegenzukommen, damit dasselbe vor Mißverständnissen und Mißgriffen bewahrt bleibe.“ Unter „Mißgriffen“ verstand er vor allem die Ausschreitungen vom März 1848, die am Fastnachtsdienstag einsetzten.
Als zur Fastnacht 1849 erneut massive Gerüchte von „Raubgesindel“, „Anarchie und Communismus“ durchs Land schwirrten, sah Zimmermann darin die „Ehre des Volkes verletzt“. Im „Adler“ betonte er: „Entfernen, abweisen wollen wir den Vorwurf, als sei bei uns keine Erkenntnis, keine Bildung, kein Trieb nach ächter Freiheit zu finden, sondern in wilder Leidenschaft sei man nur zum Crawall geneigt. Sittliche Kräfte sollen gepflanzt, gehegt und gepflegt werden, damit wir die Verantwortung aushalten gegen jedermann.“
Boxbergs Bürgermeister Friedrich Henrici verlas die Satzungen des neuen Bezirksvereins, dem ein Teil der Anwesenden sogleich beitrat. Die Mitglieder wählten Zimmermann zum Vorsitzenden. Weitere Vorstände wurden: Bürgermeister Henrici, der evangelische Stadtpfarrer Adalbert Danquard (Boxberg), der für die Amtsbücher-Erneuerung in Bobstadt zuständige Eugen Oswald, der Posthalter Philipp Josef Reitz (Boxberg), der Kaufmann Leonhard Westfeld (Unterschüpf) sowie als Schriftführer Hauptlehrer Georg Glässing (Wölchingen).
Ein Jahr später waren sämtliche Genannte wegen „hochverrätherischer Umtriebe“ dienstentlassen, entweder flüchtig, in Untersuchungshaft oder zu Zuchthaus verurteilt. Pfarrer Zimmermann, im Juni 1849 noch als Abgeordneter in die Verfassungsgebende Versammlung Badens gewählt, erhielt die höchste Strafe: Zwölf Jahre Zuchthaus (später „begnadigt“ zur Auswanderung nach Amerika). Bürgermeister Henrici wurde zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt (später auf drei Jahre vermindert).
Adlerwirt Reitz erhielt vier Jahren Zuchthaus; ebenso Teilungskommissär Oswald, der nach Schottland flüchtete. Gegen Stadtpfarrer Danquard verhängte man zunächst zweijähriges Zuchthaus. „Sechs Monate Zuchthaus“ lautete der erste Richterspruch gegen Lehrer Glässing. Kaufmann Westfeld starb noch vor einem Urteilsspruch.
Nach der Gründung des Bezirksvereins entstanden bis Mitte Mai 1849 in fast allen Boxberger Bezirksgemeinden politische Volksvereine. Von deren Vorständen wurde nach dem Niederschlagen der Revolution der katholische Pfarrer Franz Anton Grimmer (Unterschüpf) am höchsten bestraft: mit zehn Jahren Zuchthaus (später zur Auswanderung nach Amerika „begnadigt“).
Weitere sechs Vorstände erhielten Zuchthaus-Strafen zwischen zwölf und 18 Monaten: Hauptlehrer Häfner (Kupprichhausen), Ratsschreiber Sigmund (Schweigern), Hauptlehrer Lang (Boxberg), der Arzt Dr. Nötling (Königshofen), Müllermeister Stein (Königshofen) und Hauptlehrer Wagner aus Lengenrieden.
Zerschlagen war der Versuch, eine badische oder deutsche Demokratie zu verwirklichen. Unerfüllt blieb die Hoffnung, die Pfarrer Zimmermann im April 1847 im Gasthaus „Zum Roß“ in Schweigern zu Auswanderungswilligen beim Abschiedstrunk äußerte: „Es gereicht der Regierung nicht zu Lobe, dass die besseren Bürger auswandern und in Amerika ein Asyl sich suchen müssen, doch lasst uns hoffen, dass in Bälde auch uns die Stunde der Freiheit schlagen werde.“
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