Prozess am Amtsgericht

Niederstetten: Urteil nach tödlichem Unfall gefallen

Die juristische Aufarbeitung der Unfallserie zu Jahresbeginn geht zu Ende. Im Prozess um den Zusammenstoß zwischen Niederstetten und Vorbachzimmern klärte ein Gutachten die Schuldfrage eindeutig

Von 
Simon Retzbach
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Der Kia des Unfallverursachers. Der 24-Jährige musste sich vor Gericht verantworten. © Simon Retzbach

Niederstetten/Bad Mergentheim. Nicht angepasste Geschwindigkeit – ein Problem, das in Deutschland wohl tagtäglich zigtausend mal auftritt. Meistens ohne (schwerwiegende) Folgen. Doch bei dem Unfall im Januar 2024 nahe Niederstetten gab es verheerende Folgen, ein Ehepaar starb.

So wird aus bloßer Sorglosigkeit der juristische Begriff der Fahrlässigkeit. Im vorliegenden Fall warf die Staatsanwaltschaft dem 24-jährigen Angeklagten S. fahrlässige Tötung vor. „Der Unfall war vorhersehbar und vermeidbar“, zitiert Staatsanwalt Maximilian Adis aus dem Strafbefehl.

Gegen diesen Strafbefehl legte der Angeklagte Einspruch ein, weshalb es zum Prozess am Amtsgericht Bad Mergentheim kam. So viel vorweg: Der Einspruch beschränkte sich auf die Rechtsfolgen, es ging also um die Höhe der ausgesprochenen Strafe. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Sachverhalt grundsätzlich eingeräumt wurde.

Längerer Filmriss

Geklärt wurde dieser Sachverhalt durch ein Unfallgutachten. Denn dem Angeklagten fehlt bis heute jedes Erinnerungsvermögen. „Ich habe einen Filmriss bis zum Wachwerden im Krankenhaus“, erklärte er. Der Zeitsoldat sei die Strecke nach eigener Aussage fast täglich gefahren und wollte an diesem Tag nach Würzburg. Doch was ab dem Zeitpunkt des Verlassens der Kaserne in Niederstetten bis zum Aufwachen im Krankenhaus passierte, konnte er nicht sagen.

Denn der Mann verletzte sich bei dem Unfall ebenfalls schwer, er schwebte zeitweise in Lebensgefahr. Noch an der Unfallstelle musste er länger stabilisiert werden, ehe er mit dem Rettungshubschrauber in die Würzburger Uniklinik geflogen wurde. Er zog sich Becken-, Oberschenkel- und Sprunggelenksbrüche, eine zertrümmerte Kniescheibe und ein Schädel-Hirn-Trauma zu. „Er hat vor Schmerzen extrem stark geschrien“, erinnerte sich ein Polizist.

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Neben den körperlichen Verletzungen, die ihn auch nach mehreren Operationen immer noch beeinträchtigen, kommt auch eine psychische Komponente hinzu. Der Angeklagte wirkte vor Gericht zwar äußerlich gefasst, beschrieb aber Symptome, die zu einer psychischen Belastung passen. „Ich habe es noch nicht verarbeitet“, gab er vor Gericht Einblicke in sein Seelenleben. Auch seine Kameraden würden dies merken: „Wir sagen in der Einheit dazu ’komisch werden’. Wenn die Kameraden merken, dass ich wieder komisch werde, kommen sie zu mir und wir reden miteinander. Es ist einfach schlimm.“

Erfahrener Verkehrsteilnehmer

Als Kraftfahrer ist S. eigentlich ein erfahrener Verkehrsteilnehmer, legte nach eigenen Angaben gut 100 000 Kilometer jährlich zurück. Was ihn nun dazu brachte, an diesem Januartag so zu fahren, bleibt mangels Erinnerungen oder Augenzeugen ungeklärt.

Der Ablauf wurde allerdings durch ein Gutachten dargestellt. Mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 110 Stundenkilometern kollidierte der Kia des Angeklagten im Gegenverkehr mit dem Nissan des Ehepaares. Bremsspuren oder Hinweise auf einen technischen Defekt waren demnach nicht zu erkennen.

Die Ursache also: Durch nicht angepasste Geschwindigkeit des Kia im Bereich der Rechtskurve sei es zu einem „instabilen Fahrvorgang“ gekommen. So kam das Fahrzeug des Angeklagten in den Gegenverkehr und prallte dort mit dem Nissan zusammen. „Der Unfall wäre durch eine geringere Geschwindigkeit des Unfallverursachers vermeidbar gewesen, für die Unfallgegner war er unvermeidbar“, formulierte es die Gutachterin. Für das verstorbene Ehepaar war der Unfall also nicht zu vermeiden.

Richterin wandte sich an die Angehörigen

Richterin Susanne Friedl ließ erkennen, dass sie die von der Staatsanwaltschaft beantragte Entziehung der Fahrerlaubnis durchaus mitträgt. „Zwar muss man für die Frage der charakterlichen Eignung die Tat von ihren schweren Folgen trennen. Ein Tempo im Bereich der Grenzgeschwindigkeit für diese Kurve bei den Witterungsbedingungen zeigt aber eine charakterliche Schwäche“, verdeutlichte Friedl.

Nach einer kurzen Unterbrechung zog Verteidiger Holger Wüst den Einspruch gegen den Strafbefehl im Namen seines Mandanten zurück. Somit standen 90 Tagessätze zu je 60 Euro sowie ein Entzug der Fahrerlaubnis mit einer zehnmonatigen Sperrfrist als Urteil fest. Genau das wollte die Verteidigung verhindern, sie wollte aufgrund der beruflichen Situation des Angeklagten das mildere Mittel eines Fahrverbots erreichen. So muss der Verurteilte nun zehn Monate warten, ehe er seine Fahrerlaubnis neu beantragen kann.

Im Anschluss wandte sich die Richterin an die Angehörigen des verstorbenen Ehepaars aus Creglingen: „Die Geldstrafe ist nicht der Wert des Lebens Ihrer Angehörigen. Fahrlässige Tötungen sind auch für Gerichte schwierige Prozesse. Es sind oft kleine Fehler, die uns allen passieren könnten. Da ist auch das Gericht in einem Dilemma.“ Durch die Rücknahme des Einspruchs wird der Strafbefehl rechtskräftig.

Redaktion

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