Markelsheim. Er ist ein Spurensucher, der nicht locker lässt, wenn er auf eine interessante Spur gestoßen ist. Beharrlich und mit großer Ausdauer hat er sich in den letzten Jahrzehnten der Lektüre historischer Quellen gewidmet – und das nicht immer zur Freude seiner Zeitgenossen. Mit Hartwig Behr feiert an diesem Donnerstag ein Mann 80. Geburtstag, der die Hälfte seines Lebens auf der Suche war – und der mit Stolz zurück blicken kann auf sein Lebenswerk als Historiker.
Ohne Hartwig Behr wäre das jüdische Leben im Taubertal nicht annähernd so ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, wie dies heute der Fall ist. Sein wohl wichtigstes Werk: das 2020 erschienene Buch über den Nationalsozialismus im Altkreis Mergentheim. „Dieses Buch habe ich für die Menschen hier und nicht für Universitätsbibliotheken verfasst“, sagt der seit 2007 pensionierte Geschichtslehrer im Gespräch mit den FN.
Ihm ist damit ein Standardwerk zum Thema gelungen, das in einer Sprache verfasst ist, die es nicht nur für Insider interessant macht. Die Rezensionen fielen durchweg positiv aus, und Hartwig Behr freut sich, etwas „Relevantes“ geschaffen zu haben – ein Buch, das aufzeigt, dass die Nazis damals „nicht vom Himmel gefallen sind“, wie es ausdrückt. Und die nach dem Krieg auch nicht einfach so verschwunden sind . . .
Seine Forschung über den Nationalsozialismus in der Region in den 80-er und 90-er Jahren – damals noch zusammen mit dem Redaktionsleiter der Tauberzeitung, Claus-Peter Mühleck – führte viele Jahre später zur Verlegung von Stolpersteinen, zuletzt im Weikersheimer Ortsteil Bronn/Honsbronn (wir berichteten kürzlich), wo der polnische Zwangsarbeiter Boleslaw Galus 1941 ermordet wurde. Nicht minder wichtig sein zusammen mit dem Theologieprofessor Horst Rupp 2001 herausgebrachtes Buch „Vom Leben und Sterben – Juden in Creglingen“, das mit zu einer Erinnerungskultur in Creglingen geführt hat, die ihren Namen auch wirklich verdient.
Immer schon hat er sich für das Schicksal der Opfer interessiert – mit zunehmender Dauer aber rückten auch die Täter in den Blickpunkt. „Denn wo es Opfer gibt, da gibt es auch Täter.“ So wie den NSDAP-Kreisleiter Reinhold Seiz oder den Mergentheimer Finanzbeamten Belzner. Beides Täter, aber mit einer unterschiedlich großen persönlichen Schuld. Gerade Seiz war besonders skrupellos und jagte Leute mit Lügen und Intrigen aus dem Amt.
Auf Tätersuche
Behrs Tätersuche machte aber auch vor der eigenen Familie nicht halt. Mehr durch Zufall war Hartwig Behr darauf gestoßen, dass sein Onkel Wilhelm Fanderl in den Jahren 1931 bis 1944 in der Nähe von Joseph Goebbels auftauchte. Sein Onkel hatte über die Zeit vor 1945 nichts erzählt und nahm seine Geschichte 1989 mit ins Grab. Hartwig Behr aber wollte sich damit nicht zufrieden geben und begann über seinen Onkel zu forschen. Es folgten intensive Recherchen in Berlin, die Hartwig Behr mit der ihm eigenen Beharrlichkeit über Jahre betrieb. Mit Erfolg, denn soviel stand letztlich für ihn fest: Sein Onkel war ein „gläubiger Nationalsozialist“, der seine Vergangenheit nach dem Krieg erfolgreich verheimlichte. Hartwig Behr stieß bei diesen Recherchen an Grenzen, kam nicht immer weiter, manche Quellen waren versiegt, andere wollten sich nicht äußern. Und so räumt er unumwunden ein: „Ein Historiker kann nicht alles wissen“.
Soviel aber scheint für ihn klar: Wilhelm Fanderl war ein „früher Nazi der zweiten oder dritten Reihe“. Auch wenn es heikel sein kann, sich in die eigene Familiengeschichte zu begeben und dabei Unerfreuliches zutage zu fördern: Hartwig Behr hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der ihm gebietet, auch an Schmerzgrenzen zu gehen. Und deshalb hat er seine Forschungsergebnisse nun in einem Privatdruck herausgegeben. Titel: „weil ich eben Nationalsozialist bin und diesen Glauben über alles stelle“. Rechtzeitig zu seinem 80. Geburtstag ist das Büchlein über seinen Onkel fertig geworden – allerdings in nur 80-facher Auflage, analog zu seinem neuen Alter.
Behrs Forscherwerk ist viel umfangreicher, als es in diesem Bericht zum Ausdruck kommen kann. In zahlreichen Publikationen – auch in den Fränkischen Nachrichten und der Tauberzeitung – hat er sich etwa auch mit dem Bad Mergentheimer Kurwesen beschäftigt. Nicht zu vergessen sein Engagement als Film-Dozent. Über 20 Jahre lang arbeitete er erfolgreich mit Kinobesitzer Fritz Ehrler zusammen. Auch am Deutschordengyymnasium hat der Lehrer Spuren hinterlassen, etwa durch den Schüleraustausch mit Polen. Am DOG lernte er auch seine Frau Christa – ebenfalls Lehrerin – kennen, die er 1978 heiratete. „Wir haben uns immer gegenseitig den Rücken frei gehalten“, so Hartwig Behr.
Gründlichkeit vor Tempo
Der Historiker hat aktuell kein neues Projekt auf dem Schirm, aber das will nichts heißen. Vielleicht fällt ihm ja wieder mal zufällig ein Schnipsel vor die Füße mit Hinweisen auf ein Thema, das zu erforschen es wert wäre. Langsamer wird es angehen lassen, aber das muss mein Makel sein. Gründlichkeit geht vor Tempo, das war schon immer sein Lebensmotto. Gefahren ist Hartwig Behr gut damit. Und profitiert davon haben alle, die sich für regionale Geschichte interessieren . . .
Die FN gratulieren Hartwig Behr herzlich zum runden Geburtstag.
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