Vom Oberamtsbezirk bis zum Landkreis Mergentheim reicht dieser Blick in die Geschichte.
Der Altkreis Mergentheim ist wie viele Kreise in Württemberg (früher Oberämter) ein künstliches territoriales Produkt aus der napoleonischen Zeit. Das Herzogtum Württemberg war vom Kaiser der Franzosen reich mit ehemals eigenständigen Gebieten beschenkt worden und zudem zum Königreich erhoben.
Danach musste der neue mittelgroße Staat die neuwürttembergische Gebiete in Verwaltungsbezirke gliedern. Das neugebildete Oberamt Mergentheim entstand aus Teilen von sieben ehemaligen Herrschaften: von Gebieten des Deutschen Ordens wie Mergentheim, aus Hohenloher Land wie Weikersheim, aus Würzburger Gebiet wie Laudenbach und Brandenburg-Ansbachischem wie Creglingen bis zu Teilen, die wie Finsterlohr der Reichsstadt Rothenburg gehörten; das Kloster Schöntal hatte Simmringen besessen, die Hatzfelder Waldmannshofen. Als Amtssitz dieses Oberamtes wurde Mergentheim bestimmt.
Um die Vielfalt der alten Strukturen zu vereinheitlichen erließ die Regierung des Königreichs Württemberg am 1. März 1822 ein Edikt mit 149 Paragraphen, das die Verwaltung der Gemeinden, der Oberämter und der Stiftungen regelte. Es hatte mit kleinen Änderungen bis ins 20. Jahrhundert Gültigkeit. Der Oberamtmann war ein vom Innenministerium bestimmter Beamter, der viele Kompetenzen besaß und geradezu autokratisch in seinem „Reich“ regieren konnte. Eine der wenigen Einschränkungen lautete: „Ohne zuvor eingeholte Erlaubnis der betreffenden Regierung hat sich der Oberamtmann nicht über Nacht aus seinem Oberamtsbezirk zu entfernen.“
„Herrscher“
Er war der „Herrscher“ in der Verwaltungseinheit, der die Hoheitsrechte des Staates durchsetzen musste. In den Gemeinden hatte er bei Wahlen den Vorsitz inne; zudem musste er die Tätigkeit der Gewählten überprüfen. Er konnte Visitationen anberaumen, um zu überprüfen, ob die Gemeinden die Vorschriften einhielten und seine Anordnungen durchführten. Bei Streitigkeiten zwischen Ortsorganen musste er schlichten oder eine Entscheidung treffen. Im Amtsbereich war er für die Aufsicht der Polizei wie auch für die Rekrutierung der Soldaten zuständig. Er hatte sogar in beschränktem Maße ein Recht zu strafen, unter anderem in Fragen der Sittlichkeit und des Schulbesuchs.
Kraft und Intelligenz
Der Staatsrechtslehrer Robert von Mohl, 1848 im hiesigen Stimmbezirk erfolgreicher Kandidat bei der Wahl zur Nationalversammlung, urteilte über die Entwicklung des Königreichs, dass man der Regierung Neuwürttembergs das Lob der Kraft und der Intelligenz im Ordnen sehr verschiedenartiger und widerstrebender Bestandteile zuerkennen müsse, wenn sie auch nicht den Ruhm der Schonung, Milde und Versöhnung mit dem Neuen erworben habe. Sie sei aber schließlich zum Vorbild für die Verwaltung des Königreiches geworden.
Die meisten der hiesigen Oberamtmänner waren Juristen, die in Tübingen ausgebildet und eine Zeit lang im Innen- oder Justizministerium tätig gewesen waren. Die Regierung setzte hier in der Regel evangelische Beamte ein, weil die Mehrheit des Bezirks evangelisch war. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an hatten die meisten dieser Beamten einer der konservativen Verbindungen angehört. Selten kam es vor, dass Hofbeamte der ehemaligen Kleinstaaten diesen Posten bekamen.
Im Oberamt Mergentheim wurde im Jahr 1819 der 1767 in Mergentheim geborene Cajetan von Tautphaeus für vier Jahre als Oberamtmann eingesetzt, der Sohn eines deutschordischen Hofkammerrats und selbst Justizamtmann des Deutschordensamtes Neuhaus war. Am längsten, von 1857 bis 1873, amtierte der in Leuzendorf geborene Pfarrersohn Friedrich Gustav Höchstetter in der Kurstadt. Interessanterweise machte die Gemeinde Mergentheim den zweiten Oberamtmann August Fischer (1811-1817) zu ihrem Ehrenbürger. Er hatte sich eingesetzt, den Konflikt zwischen dem König, dem dicken Friedrich, und den Mergentheimern, den „Peter-und-Paul-Lümmeln“, zu entschärfen. Die Mergentheimer hatten sich an Peter-und-Paul 1809 der Einnahme der Stadt mit Waffengewalt widersetzt, was der neue Herr ihnen lange übelnahm.
Einem Oberamtmann standen mehrere Beamte und Fachleute zur Seite. Seinen Stellvertreter, den Oberamtsaktuar, konnte er sich mit Zustimmung der Regierung auswählen – und auch entlassen. Der Amtspfleger war der von der Amtsversammlung gewählte Kassenverwalter. Es gab Techniker, vor allem aber Gesundheitsbeamte: Oberamtsärzte, -wundärzte, -tierärzte und -hebärzte. Diese wurden der Amtsversammlung vorgestellt und von ihr gewählt.
Die Amtsversammlung sollte nach dem Edikt von 1822 aus 20 bis 30 Abgeordneten der Gemeinden bestehen, in der Regel aus den Ortsvorstehern. Mehrere kleine der etwa 50 Gemeinden des Bezirks mussten sich einigen, wen sie als Deputierten in die Versammlung schickten. Mergentheim delegierte wegen seiner größeren Einwohnerzahl zwischen fünf und zehn, Weikersheim und Creglingen zumeist zwei Männer. Mit der Zeit wuchs die Versammlung.
Etat vorgelegt
Zum Beispiel nahmen 1917 neben 30 stimmberechtigten auch 25 nichtstimmberechtigte Vertreter der Gemeinden an ihr teil, in der Regel die Bürgermeister kleiner Orte, manchmal aber auch Fachleute.
Der Versammlung musste vor allem der Etat der Amtskörperschaft vorgelegt werden, zu dem die Mitglieder Stellung nehmen konnten. Sie durfte die Kasse halbjährlich prüfen lassen. Die Amtsversammlung konnte praktisch nur auf den ökonomischen Bereich Einfluss nehmen, ist aber im Grunde der Kern der späteren demokratisch gewählten Kreistage.
Schwierig war die Situation des Oberamtmannes David Wilhelm Ekert (1874-1929), der 1912 nach Mergentheim versetzt wurde. Im Kriege musste er einerseits die immer größer werden Einschränkungen verkünden und durchsetzen, andererseits Optimismus ausstrahlen und versichern, dass der Sieg gewiss errungen werde. Am 5. November 1917 verkündete er in der Amtsversammlung, dass die militärische Lage besser sei als je zuvor. Das deutsche Volk dürfe „sein Schicksal in die Hand des großen Mannes (Hindenburg) legen, der mit unvergleichlicher Meisterschaft die feindlichen Heere in Schach halte und unser Heer von Sieg zu Sieg führe. Uns selbst soll nichts zu viel, nichts zu schwer sein, um künftigen Geschlechtern ein freies und starkes Deutschland sichern zu helfen.“ Das sah manch einer völlig anders.
„Tu’ auf deine güt’ge Hand“
Ein Bauer aus Finsterlohr notierte mit Blick auf den Oberamtmann Ekert folgende Verse, gesprochen von einem Huhn: „Oh lieber Kommunalverband / tu auf doch deine güt‘ge Hand / und gib uns kleine Körner auch / wie es von jeher war der Brauch. / Dann wollen wir uns fleißig regen / und ungezählte Eier legen. / Doch wenn wir keine Körner kriegen / dann musst du leider dich drein fügen / dass es auch keine Eier gibt / so sehr es selber uns betrübt. / Aus nichts wird nichts, das weiß ein jeder / … / Mein lieber Kommunalverband / das gibt es nicht im ganzen Land / drum höre unser heißes Flehen / eh völlig wir zugrunde gehen.“
Der Bauer glaubte, der strenge Ekert habe sich im August 1918 nach Stuttgart versetzen lassen. Er dürfte aber wohl nach Stuttgart versetzt worden sein, um mit seiner Strenge als Vorstand der Landesversorgungsstelle den Mangel zu verwalten.
Eine zumindest für die Amtsstadt wesentlich bessere Zeit erlebte Friedrich Albert Schlör (1872-1934), der im November 1919 die Stelle als Oberamtsvorstand in Mergentheim antrat.
Er kannte den Bezirk gut, denn er hatte dort schon von 1902 bis 1909 als Amtmann gedient. Nun boomte die Kurstadt trotz des verlorenen Krieges und der Inflationszeit, da kaum ein Deutscher mehr in die böhmischen Bäder fuhr. 1926 wurde die Quellenentdeckung vor 100 Jahren mit Schlör großartig gefeiert. Der Landrat scheint auch ein gutes Renommee bei der Bevölkerung gehabt zu haben: Die neue Brücke der Straße von der Tauber nach Reinsbronn wurde 1929 nach ihm benannt.
Mit Friedrich Geißler (1889-1971) wurde 1929 ein gut vernetzter Beamter Landrat, wie er nun genannt wurde. Er war bis 1933 Vorsitzender der Vereinigung der württembergischen Oberamtmänner. Er bewegte auch vieles im Kreis, obwohl in jenen Jahren das Sparen Priorität hatte. Er sorgte für die Verbesserung der Wasserversorgung im Amtsbezirk, regte die Gründung eines Bezirksheimatmuseums an und beteiligte den Landkreis an der Neugründung der „Kurverwaltung Bad Mergentheim GmbH“, deren Vorsitzender er wurde. Dem aufkommenden Nationalsozialismus stand der konservative Beamte nicht so entschieden gegenüber wie der Mergentheimer Bürgermeister Dr. Brönner, dessen Entscheidungen gegen die Nationalsozialisten er als Übergeordneter abmilderte. Als ihm klar wurde, dass die Nationalsozialisten, zum Beispiel am 25. März 1933, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzten, trat er ihren Rechtsbrüchen entgegen. Das störte die neuen Herren. Landrat Geissler wurde wohl – wie sein Stellvertreter Richard Alber 1933 – auf Veranlassung hiesiger Nazis 1934 nach Tübingen versetzt, .
Seine Nachfolger Dr. Fritz Wanner (1896-1989) war gezwungen mit dem Kreisleiter zu kooperieren, was er in der Sitzung vom 22. November 1934 bekannt machen musste. Zwar konnte er mit der Behauptung beginnen, dass „insbesondere die Stellung des Landrats in der Kreisverwaltung wesentlich gestärkt“ worden sei, musste aber zugleich zugeben, dass der „politische Hoheitsträger“, Kreisleiter Seiz, als ordentliches Mitglied dem Kreistag angehöre und dass „der Landrat bei manchen Entscheidungen an die Zustimmung des Kreisleiters gebunden“ sei. Das hatte sich schon vor Wanners Amtsantritt bei der neuen Zusammensetzung des Kreistages gezeigt: Dessen Mitglieder, die Vertreter von mehreren kleinen Gemeinden, waren vom Oberamt „im Einvernehmen mit dem Kreisleiter“ bestimmt worden. Von 1937 bis 1946 wurde offenbar keine Amtsversammlung abgehalten. Die Gemeinden sollten also keinen Einfluss mehr haben.
Paul Eugen Kleih (1883-1955) wurde ein gewählter Landrat, allerdings noch nicht im April 1945. Da wurde er von der amerikanischen Besatzungsmacht kommissarisch in das Amt eingesetzt. Die Wahl fiel auf ihn als langjährigen hohen Beamten im Landratsamt, der nicht Mitglied des NSDAP gewesen war. Er hatte nach der Realschule die Verwaltungslaufbahn eingeschlagen und war seit 1914 in Mergentheim tätig. Er führte das Protokoll der Amtsversammlungen. Die Amerikaner wussten durch Informationen der Emigranten ziemlich genau, wer eifriges Parteimitglied war und wer nicht; sie entschieden sich für Kleih. Dessen erste öffentlich gewordene Amtshandlung war am 3. Mai 1945 ein „Aufruf zur Hilfeleistung für die kriegsbeschädigten Gemeinden des Kreises Mergentheim“, abgedruckt im ersten des wöchentlich erscheinenden Amtsblattes. Schon im Juni wurde er aber abgelöst und arbeitete zunächst als Regierungsoberinspektor weiter im Landratsamt.
Die amerikanische Militärregierung ernannte am 14. Juni 1945 den ehemaligen Mergentheimer Bürgermeister Dr. Josef Brönner (1928-1933) zum Landrat, der die NS-Zeit als Angestellter einer Bausparkasse in Stuttgart und im südlichen Württemberg überstanden hatte. Zum ersten Mal durfte die Amtsversammlung mit Erlaubnis und im Beisein von Amerikanern am 3. Juni 1946 das Kreisoberhaupt wählen. Sie machte Dr. Brönner zum Landrat.
Er hatte sich in erster Linie um die Ernährungssituation und das Verkehrswesen zu kümmern. Im seinem Spruchkammerverfahren (Entnazifizierung) wurde deutlich, dass Dr. Brönner 1933 seine Stellung als Bürgermeister zu retten versucht hatte, indem er sich um die Aufnahme in die NSDAP bewarb. Das gelang ihm aber nicht. Die Amerikaner enthoben ihn aber wegen dieses Versuchs am 30. Oktober 1946 seines Amtes.
„Entlastet“
Dr. Brönners Karriere war damit nicht beendet, im Gegenteil. Er war schon im Januar 1946 durch sein Amt Mitglied der „Vorläufigen Volksvertretung für Württemberg-Baden“ und im Juni 1946 der „Verfassungsgebenden Landesversammlung“ geworden. Ende 1948 wurde er nach mehreren Spruchkammerverfahren als „entlastet“ eingestuft. Von 1949 bis zu seinem Tode 1958 war er Mitglied des Deutschen Bundestages.
Eugen Kleih, seit November 1946 stellvertretender Landrat, wurde am 1. April 1947 Amtsverweser und danach gewählter Landrat. Es hatten sich elf Kandidaten gemeldet, es erschienen aber nur fünf zur Vorstellung.
Eugen Kleih erhielt 23 der 25 Stimmen. Seine große Aufgabe war es, die Flüchtlinge zu integrieren und den Wiederaufbau zu fördern. Deshalb kennt man zahlreiche Bilder von ihm, die ihn bei der Einweihung der wiedererrichteten Brücken oder bei der Eröffnung von Ausstellungen zeigen, auf denen hiesige Firmen ihre Produkte präsentierten. Er wurde für viele Bürger der umgängliche „Papa Kleih“. Mit knapp siebzig Jahren ging er 1952 in den Ruhestand. Sein Nachfolger bis 1958 wurde Dr. Walter Cantner.
Der letzte Landrat des Kreises Mergentheim – von 1958 bis 1973 – vor der Zusammenlegung mit dem Kreis Tauberbischofsheim war Kurt Nagel. Zum Missvergnügen älterer Landräte wie Geißler setzte es sich nach 1949 durch, dass dieses Amt ein Wahlamt wurde, und zwar vom gewählten Gremium: Der Kreistag trat an die Stelle der Amtsversammlung.
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