Bad Mergentheim. Der gestresste Paketbote wartet nicht, bis sein Kunde an der Haustür ist, sondern stellt das Paket im Eingangsbereich ab und fährt weiter? Dieser Vorgang dürfte in Deutschland täglich tausendfach vorkommen. Weniger alltäglich dürfte jedoch sein, was im vergangenen Herbst in Bad Mergentheim geschah und nun vor dem Amtsgericht verhandelt wurde.
Der 43-jährige Angeklagte G. soll nach einer vermeintlich nicht angekommenen Lieferung eine Anzeige wegen Unterschlagung bei der Polizei gegen den ausliefernden DPD-Boten gestellt haben, da ein Couchtisch im Wert von etwa 160 Euro ihn nie erreicht habe. Nun stand er jedoch selbst vor Gericht – falsche Verdächtigung lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Denn im Rahmen der Aufnahme dieser Anzeige fiel einem Polizeibeamten der Couchtisch des Mannes auf – dieser sieht exakt so aus wie das bestellte Möbel.
Da liegt der Schluss also nahe, dass der Mann den Tisch tatsächlich bekommen hat. Die Anzeige gegen den Boten wäre demnach falsch. Dabei machte sich G. die Tatsache zunutze, dass der Paketbote bei der Übergabe nicht wartete und die Unterschrift für den Empfang später fälschte. Dieses Verfahren wurde jedoch wegen Geringfügigkeit eingestellt, denn auch dieser Vorgang dürfte in Deutschland tausendfach vorkommen.
Bekannter aus Berlin soll Möbelstück zufällig im Keller haben
Doch wie kommt nun ein exakt gleich aussehender Tisch wie aus der Bestellung in das Wohnzimmer des Mannes? Hierzu gibt es die naheliegende Theorie – und die recht ’kreative’ Variante des Angeklagten, welche die Nerven von Richterin Susanne Friedl im Prozess deutlich strapazierte.
Ein Bekannter in Berlin habe ihm den Tisch überlassen, als er hörte, dass der Angeklagte diesen nach einer missglückten Bestellung vermisse. Er habe das Möbel zufällig bei sich im Keller stehen gehabt. „Ist das nicht ein etwas arg großer Zufall bei diesem recht individuellen Tisch?“, wollte Friedl hörbar skeptisch wissen.
Doch der Mann blieb bei seiner Aussage. Allgemein war er sich sehr sicher in seiner Darstellung. So will er am Tag der Lieferung auch bei allen Nachbarn im Mehrparteienhaus geklingelt haben, um nach dem Verbleib des vermissten Pakets zu fragen. Er habe zwar nicht alle, jedoch zumindest einen Nachbarn angetroffen.
Doch spätestens mit der Aussage der Frau des Angeklagten fiel die Darstellung des G. wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Als Ehefrau hat sie ein Zeugnisverweigerungsrecht, hätte nicht vor Gericht aussagen müssen – es wäre wohl die bessere Entscheidung gewesen.
Denn schon in ihrem zweiten Satz deckt Friedl den ersten Widerspruch zur Aussage des Angeklagten auf. War es zuvor noch der G., der in Richtung Haustür gegangen sein will, war es laut ihr sie selbst, die im Eingangsbereich nach dem Paket sehen wollte. Anfänglich skeptisch, nun sichtlich genervt unterbrach Friedl den Prozess.
Mehrere Ungereimtheiten in der Aussage
Der Angeklagte und sein Verteidiger Florian Reis sollten erneut überdenken, ob der 43-Jährige den Einspruch gegen den Strafbefehl (50 Tagessätze zu je 50 Euro) nicht lieber zurückziehen möchte. Bereits nach seiner ersten Schilderung wollte die skeptische Richterin ihm diese Möglichkeit einräumen. „Ich tue mir sehr schwer, das zu glauben“, machte sie deutlich.
Doch erneut war der Mann von seiner Ansicht – und dem Einspruch – nicht abzubringen. Friedl wurde deutlich: „Ich höre mir das alles an. Ich lasse sämtliche Nachbarn und auch den Bekannten aus Berlin vorladen. Wenn ich aber den Eindruck gewinne, dass ich hier angelogen werde, kommen noch weitere Verfahren wegen Falschaussagen dazu.“ Große Kulisse also für den eher preiswerten Tisch.
Auf dem Weg zur Falschaussage befand sich auch weiterhin die Frau des Angeklagten. Nachdem man sich in der Unterbrechung darauf festgelegt hatte, dass das Ehepaar „gemeinsam nach unten gegangen“ sei, kam prompt die nächste Ungereimtheit. Man habe beim Klingeln in der Nachbarschaft niemanden erreicht – Friedl intervenierte erneut.
Selbst der Rechtsanwalt wird ermahnt
Nach kurzem Stocken war sich die Frau dann sicher, dass ihr Mann den Nachbarn zu einem späteren Zeitpunkt kontaktiert haben müsse, anfangs habe man wirklich niemanden erreicht. Friedl ließ diese wenig überzeugende Erwiderung gerade noch durchgehen. Dennoch wurde überdeutlich, wie unsicher die Frau in ihrer Aussage war. Etwaige Hilfsversuche durch Rechtsanwalt Reis unterband Friedl jedoch mit dem energischen Hinweis, dass eine Beratung der Zeugin nicht seine Aufgabe sei.
Nach der dritten offensichtlichen Lüge reichte es ihr jedoch endgültig und sie brach die Vernehmung der Frau ab. Ihre übliche Belehrung hinsichtlich der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage war hier offensichtlich völlig missachtet worden. Verteidiger Reis bat um die mittlerweile dritte Unterbrechung. Schon zuvor hatte er beklagt, dass „zu viel Druck“ seitens der Richterin im Prozess sei. „Sie sind beide sehr nervös, es ist eine Premiere vor Gericht für sie“, erklärte er.
Nach kurzer Beratungszeit nahm der Angeklagte „sehr, sehr schweren Herzens“ den Einspruch zurück. Der Strafbefehl wird damit rechtskräftig. 2500 Euro muss der Mann nun zahlen, hinzu kommen noch die Gerichtskosten. Alles in allem ein Vielfaches des ursprünglichen Preises. Für das Geld wären edle Designerstücke drin gewesen.
So zahlt er den höchsten Preis für seine Unehrlichkeit. Und hat noch „großes Glück“, wie Susanne Friedl anmerkte. Denn zusätzliche Verfahren wegen Falschaussage gegen seine Frau und den Bekannten hätten die Summe noch weiter erhöht – oder sogar eine Freiheitsstrafe ergeben.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/bad-mergentheim_artikel,-bad-mergentheim-bad-mergentheim-wie-ein-couchtisch-fuer-einen-kuriosen-prozess-sorgt-_arid,2237252.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/bad-mergentheim.html