Bad Mergentheim. Strafbefehlsverfahren, die letztlich als vereinfachte und beschleunigte Verfahren die Justiz entlasten sollen, kommen eigentlich im Bereich der minderschweren Kriminalität zum Einsatz. Kleinere Delikte schnell abarbeiten – so die Devise.
Mit 80 Tagessätzen hat es den Angeklagten K. angesichts der schwer klingen Vorwürfe auch nichtmal unbedingt ’schlimm erwischt’, um es salopp zu formulieren. Denn die Schwelle für eine Vorstrafe im sogenannten Führungszeugnis liegt bei mehr als 90 Tagessätzen, er würde also selbst bei einem Urteil beispielsweise bei Bewerbungen weiterhin als unbescholten gelten.
Doch der 32-Jährige sieht sich als unschuldig. Dass er eine Arbeitskollegin bedrängt, gegen ihren Willen in deren Wohnung eingedrungen und dort begrapscht haben soll, bestreitet er vor Gericht. „Ich fasse keine Frauen an“, weist er die Vorwürfe entrüstet zurück. Ganz im Gegenteil: Die Vorwürfe seien eine Art Intrige gegen ihn, weil seine Arbeitskollegin kostenlose Wasserflaschen des Arbeitgebers in großen Mengen unerlaubt mit nach Hause genommen habe. Um 50 Flaschen soll es gehen, Pfandwert immerhin 12,50 Euro. Das soll nun der Grund für derart schwerwiegende Vorwürfe sein? So zumindest der Vorwurf des Angeklagten.
Schließlich wird auch die Frau gehört. Auf Richterin Friedls charakteristische Frage „Was war da los?“ sprudelt es nur so aus der vermeintlich Geschädigten heraus. Über eine Stunde hinweg schildert sie ihre Erfahrungen mit dem 32-Jährigen, mit dem sie ein Jahr lang in einem Weikersheimer Betrieb zusammenarbeitete. Hierbei zeigen sich große Widersprüche zur Darstellung des Angeklagten, der selbst Annäherungsversuche gegenüber der jungen Frau verneint hat. „Immer wieder hat er mich auch vor Kollegen ziemlich derb angemacht“, lässt sie über eine Dolmetscherin mitteilen. Immer wieder suchte er ihr zufolge Möglichkeiten, ihr näher zu kommen und sie zu berühren.
Wasserflaschen als Vorwand für Erpressung?
Dieses Verhalten gipfelte dann in einem Abend im April 2023, als er sie in ihr Wohnhaus und sogar in das Appartement verfolgte, sie dort auf das Bett gezogen haben soll. „Ich hatte Angst, das wollte ich nicht“, schildert die Frau. Erst als sie „in Panik“ zu schreien beginnt, lässt der Mann demnach von ihr ab und verlässt das Mehrparteienhaus.
Hier spielen nun die eingangs erwähnten Wasserflaschen eine Rolle. Denn diese Flaschen will der Mann beim Verlassen der Wohnung beobachtet und sie bezüglich der unerlaubten Verwendung zur Rede gestellt haben. Doch während der Angeklagte dies als Grund für die in seinen Augen falschen Vorwürfe sah, schildert die Frau auch hier eine ganz andere Version der Geschichte.
Dass sie die Flaschen in größeren Mengen mitgenommen hat, räumt sie ein. Als Folge einer Medikation müsse sie aktuell mehr trinken, erklärt sie. Der Angeklagte soll das für eine Erpressung genutzt haben: „Er meinte, dass er das beim Chef melden wird.“ Sie würde dann entlassen werden, so sein Kalkül, und wäre allein und ohne Arbeit im für sie fremden Land. „Du kannst kein Deutsch, ohne mich kannst du nichts machen“, soll der Gambier der Bulgarin gesagt haben.
Immer wieder habe der Mann sie bedrängt, mit dem vermeintlichen ’Wasserklau’ erpresst, um dann doch „mehr“ bei ihr zu erreichen. Als die Frau irgendwann unter dem Druck zusammenbricht und das Thema bei den Vorgesetzten aufklärt, wird der Angeklagte kurze Zeit später entlassen.
Doch damit nicht genug: Sie erzählt von Äußerungen durch Arbeitskolleginnen. Diese machen allerdings eher der Frau Vorwürfe. „Was wäre denn so schlimm gewesen, wenn du mit ihm geschlafen hättest?“, so die Frage einer Arbeitskollegin. „Du solltest dich vor ihm in Acht nehmen, er ist gefährlich“, warnt eine andere Arbeiterin. Für die mutmaßlich Geschädigte sind das keine Argumente: „Nein heißt nein.“
Es ist eine durchaus lange, aber eindrucksvolle Aussage. Gerade vor Gericht, wo Aussagen öfter mal eher kurz und stockend ausfallen und mit vielen Fragen durchzogen sind, bildet die Frau einen scharfen Kontrast. Ausführlich, detailreich und – soweit man der vereidigten Dolmetscherin vertraut – eloquent schildert sie ihre Erlebnisse.
Wurde das vermeintliche Opfer auf Druck der Kollegen gekündigt?
Zum Abschluss dann der Kracher: Nach einer Art Unterschriftenaktion im Kollegium des Weikersheimer Betriebs wurde sie ebenfalls entlassen. Nicht jedoch wegen des vermeintlichen Wasserdiebstahls, sondern weil die Kollegen fanden, beide Mitarbeiter sollten für den Konflikt gleichermaßen bestraft werden.
Nach einer Stunde weitgehend stillen Zuhörens kommt dann die Frage auf, die sich bei Prozessen um Strafbefehle öfter stellt: Den Einspruch zurückziehen und die Strafe akzeptieren oder weitermachen? „Stand jetzt sieht es für den Angeklagten nicht so gut aus. Die Aussage der Zeugin war gut und detailreich“, gibt Richterin Friedl eine erste Einschätzung ab.
Dem widerspricht Verteidiger Bernhard Horsinka. „Von den Vorwürfen im Strafbefehl bleibt nicht viel übrig“, so seine Ansicht. Die Vorgeschichte seines Mandanten mit der Frau sei zudem nicht Gegenstand des Verfahrens, die Zeugin habe einen „großen Belastungseifer“. Heißt konkret: Sie will den Mann unbedingt verurteilt sehen.
Eines ist für Horsinka klar: „Wir werden den Einspruch nicht zurücknehmen, der Angeklagte hat sich nicht schuldig gemacht.“ Die Verhandlung muss also zu einem anderen Zeitpunkt fortgesetzt werden. Dann auch in größerem Rahmen, wie Friedl deutlich macht. „Wenn ich hier weitermache, gehe ich in die Vollen“, kündigt sie die Anhörung weiterer Zeugen an. Dann soll auch das Verhalten des Arbeitgebers näher beleuchtet werden.
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