Gerichtsprozess

Bad Mergentheim: Angeklagter für Überfall auf Apothekenkurier verurteilt

Ein Vermummter überfällt einen Lieferfahrer auf dem Parkplatz des Aktiv-Centers und entwendet Betäubungsmittel. Kein Einzelfall.

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Simon Retzbach
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Der Tatort. An diesem Lieferanteneingang lauerte ein 34-Jähriger einem Apothekenkurier auf und entwendete dessen Lieferung. © Retzbach

Bad Mergentheim. Ein 34-Jähriger muss sich vor dem Amtsgericht für das Beschaffen und den Diebstahl von Betäubungsmitteln verantworten. Die Anklage wirft ihm vor, im November 2023 einen Medikamentenkurier auf dem Parkplatz des Bad Mergentheimer Activ-Centers überfallen und mehrere Medikamente gestohlen zu haben.

„Sowas habe ich in 14 Jahren noch nicht erlebt“, schildert der Kurier den Überfall vor Gericht. Er sei mit seinem Wagen direkt an den Lieferanteneingang am Rande des Parkplatzes gefahren, um die Medikamente abzuliefern. „Ich habe den Angeklagten schon beim Hereinfahren gesehen. Der ließ mich nicht mehr aus den Augen“, beschreibt er das Geschehen. Dem Kurier sei direkt klar gewesen: „Der will was von mir.“

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Als er am Lieferanteneingang hielt und begann, Medikamente zu entladen, sprach ihn der Angeklagte an. Nach einem Job habe der Mann gefragt, erinnert sich der Kurier. Als er dies verneinte, entriss der Täter ihm die Medikamente und flüchtete durch die Johann-Hammer-Straße in Richtung des Bahnübergangs. Nur ein Teil des Gesichts sei erkennbar gewesen, der Rest durch Kleidung vermummt. „Es ging sehr schnell, ich konnte ihn nicht aufhalten“, so der Kurier vor Gericht.

Doch warum wartete der Angeklagte bereits unweit des Lieferanteneingangs auf den Kurier? Eine Mitarbeiterin der Apotheke beschreibt ein planvolles Vorgehen. Denn der Angeklagte hat ihr zufolge vor dem Überfall selbst in der Apotheke angerufen und ein Medikament bestellt. An das „merkwürdige“ Telefonat erinnert sie sich noch, da sie den Eindruck hatte, der Anrufer wollte seinen Namen nicht nennen. Er forderte mit einem vermeintlichen Rezept ein verschreibungspflichtiges Medikament unter falschem Namen an, das daraufhin von der Apotheke bestellt wurde. Die Mitarbeiterin nannte ihm schließlich den Zeitpunkt, wann er das Medikament abholen könne.

Ein Patient im Krankenhaus Tauberbischofsheim liefert den entscheidenden Hinweis

Dieses Vorgehen fiel auch deshalb auf, weil nach den entwendeten Medikamenten (darunter das bestellte Mittel) im Nachhinein nicht mehr gefragt wurde. Kein Patient schien sie also zu vermissen. Gerade bei einem vorbestellten Medikament hätte das aber der Fall sein müssen – sofern dieses jemand regulär hätte abholen wollen. Dass die Abholung in diesem Fall auf andere, irreguläre Art erfolgte, wurde so deutlich.

Dass überhaupt ein Tatverdächtiger ermittelt und angeklagt werden konnte, ist letztlich der Hartnäckigkeit eines Bad Mergentheimer Polizisten zu verdanken. Denn auf den ersten Blick gab es wenig konkrete Anhaltspunkte: Der vermummte Täter entkam, Material der Überwachungskameras war nicht brauchbar und der beschriebene Anruf wurde nicht aufgezeichnet. Doch der Polizist blieb hartnäckig. Er hörte sich weiterhin um und bekam letztlich einen entscheidenden Hinweis. Ein Patient der psychiatrischen Station des Krankenhauses Tauberbischofsheim gab an, ein anderer Patient habe ihm davon erzählt, dass er „einen Apotheker angerufen und überfallen“ habe. So kam der Polizist letztlich dem nun angeklagten 34-Jährigen auf die Spur.

Nachdem sich Verteidigung, Anklage und das Gericht in einem Gespräch verständigen, räumt der Mann die Tat schließlich ein. Zu Beginn hatte er sich noch nicht geäußert und die Anklage damit durchaus in Bedrängnis gebracht. Denn der Hinweisgeber aus dem Krankenhaus Tauberbischofsheim erscheint nicht vor Gericht, ohne seine Schilderungen und mangels eindeutiger Identifizierung durch den Kurierfahrer steht die Anklage auf eher wackligen Beinen.

Dieses Symbolbild zeigt Oxycodon-Pillen, die als Schmerzmittel zum Einsatz kommen und hohes Suchtpotenzial besitzen. Der Angeklagte ist seit Jahren abhängig. © picture alliance/dpa

„Ich bin seit einigen Jahren opiatabhängig. Es ist eine absolute Katastrophe, ich habe alles verloren“, beginnt der 34-Jährige sein Geständnis. Am Tattag sei er durch den starken Suchtdruck „so verzweifelt“ gewesen. „Ich habe mir nicht anders zu helfen gewusst, ich wollte niemandem schaden oder wehtun“, führt er weiter aus. Er wolle sein „normales Leben“ wieder zurück und nach mehreren erfolglosen Entzugsversuchen eine Therapie beginnen, habe bereits einen Platz für eine langfristige Therapie erhalten.

„Es war eine Tat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln, von denen er abhängig ist. Er war vom Suchtdruck getrieben“, fasst Staatsanwalt Dr. Julian Hänßler zusammen. Wie in der Verständigung vereinbart, soll der Mann für sein Geständnis aber eine Strafe „im bewährungsfähigen Rahmen“ erhalten. Eigentlich wäre eine Bewährung angesichts massiver Vorstrafen, darunter eine schwere Körperverletzung und mehrere Diebstähle, nicht mehr möglich. Doch vor dem Hintergrund einer Therapiemöglichkeit und einer als ehrlich empfundenen Reue sei diese Bewährung „ausnahmsweise“ noch möglich. „Mein Mandant versucht, sein Leben in den Griff zu kriegen“, erklärt Verteidiger Niklas Baudach.

Anfang 2024 kommt es an gleicher Stelle zu schwerem Raub

Mit ihrem Urteil von einem Jahr und drei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, liegen Richterin Susanne Friedl und die Schöffen zwischen den Forderungen von Anklage und Verteidigung. Das „authentische Geständnis“ sei dem Mann „hoch anzurechnen“. „Sie sind schon jetzt ein anderer Mensch geworden, ich kenne Sie auch anders“, wendet sich Friedl an den Verurteilten. Die genaue Höhe des Urteils sei letztlich nicht entscheidend, sondern der Erfolg der Therapie. „Wenn Sie clean sind, haben Sie gute Chancen, eine Arbeit zu finden“, ist die Richterin optimistisch. „Sie haben so die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen, für das es sich lohnt, clean zu bleiben!“

Neben dem nun verhandelten Überfall kam es an genau dieser Stelle bereits kurze Zeit später zu einem noch wesentlich schwereren Fall, der allerdings nicht dem nun Verurteilten zuzurechnen ist. Anfang Januar 2024 bedrohte ein Unbekannter einen Lieferanten der Apotheke mit einem Messer und forderte ebenfalls die Herausgabe von Medikamenten. Wie die Staatsanwaltschaft Ellwangen auf FN-Anfrage mitteilte, wurden die Ermittlungen wegen schweren Raubs nach rund einem Jahr kürzlich „mangels weiterer Ermittlungsansätze“ eingestellt. Der Täter bleibt unbekannt.

Redaktion

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