Zweifel sind erlaubt

Michael Fürst zu den neuen Spielweisen bei den Jüngsten

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Michael Fürst
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Opas verstehen die Welt nicht mehr, Mütter staunen, Väter schütteln nur den Kopf. Wer sich in diesen Tagen und Wochen als Zuschauer der jüngsten Fußballer, auf den Sportplatz begibt, der wird es erlebt haben: Großeltern schieben es auf die altersbedingte Ermangelung ihrer Auffassungsgabe, wenn sie sehen, dass der Enkel den Ball gerade eingekickt hat, obwohl es doch eigentlich Einwurf hätte geben müssen. Die Mamas rufen unwissend: „Junge, kannst du keine ordentliche Ecke schießen?“, nachdem so ein Dreikäsehoch mit dem Ball von der Eckballmarkierung einfach ins Spielfeld gedribbelt ist, anstatt das Spielgerät reinzuflanken. Die Papas, oft selbst noch im heimatlichen A-Klasse-Verein aktiv, winken ab und überlegen, ob sie ihren Filius nicht doch lieber beim Federball anmelden.

Der Fußball soll überall gleich sein, hieß es einmal – von der Bundesliga bis in die C-Klasse, von der AH bis zu den Bambini, und das überall auf der Welt. Pö! Das ist schon lange nicht mehr der Fall. In den Profiligen manövrieren sie sich mit dem Videobeweis weg von den Fans, und jetzt spielen die Jüngsten auch noch einen anderen Fußball als den, den sie aus dem Fernsehen oder von ihren Vätern kennen. Ich habe nicht nur einmal einen Jungen sagen hören: „Mensch, Papa, ich will richtig Fußball spielen!“

Wer es noch nicht mitbekommen hat: Der DFB hat neue Richtlinien für den Kinderfußball erlassen, welche die Verbände, Kreise und Bezirke nun umsetzen. Beispiele gefällig? Gerne: Bambini spielen „Drei gegen Drei“ auf zwei, wahlweise auf vier Tore – ohne Keeper. Es soll die Spielfreude im Vordergrund stehen, nicht Taktik und Ergebnis, so die Weisheit aus der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Und ja: Gibt es Freistoß, darf einfach vom Tatort aus weiter gedribbelt werden. Gibt es Einwurf, wird der Ball per Kick, wahlweise per Dribbling zurück ins Spielfeld befördert. Beim Eckball darf ebenso eingedribbelt werden. Hoch reinhauen in den Strafraum, so wie es halt die Senioren tun, darf der Schütze nur dann, wenn er sich den Ball vorher angetippt hat. Das muss man verstehen! Torhüter, wenn sie dann mal erlaubt sind, dürfen den Ball nicht aus der Hand abschlagen. Schiris gibt es von den Bambini bis zu den E-Junioren schon lange nicht mehr. Das sollen die Kids unter sich regeln. Auf Tabellen wird verzichtet. Spaß, Spaß, alles nur noch Spaß!

Aber: Ist das noch der Fußball, den wir alle kennen und lieben?

Werden wir uns in einigen Jahren nicht wundern, wenn es in einem C-Jugend-Spiel – in dem dann plötzlich wieder „echt Fußball“ gespielt wird, 27 falsche Einwürfe gibt, weil die Buben und Mädchen das vorher noch nie gemacht haben? Haben wir noch genügend Torhüter? Wann beginnt die Ausbildung, wenn doch den Jüngsten keiner mehr benötigt wird. Können die Fußballspielenden noch gescheite Ecken oder Flanken schlagen, wenn sie es in jüngsten Jahren nicht schon lernen dürfen? „Alles übertriebene Kritik“ – glaubt man dem DFB und dem Beitrag „die größten Irrtümer“ auf fussball.de.

Aber irgendwie erinnern mich diese Neuerungen an die Grundschule: Da durften die Kinder plötzlich schreiben, wie sie es für richtig empfanden. Die orthografischen Grundkenntnisse sind dadurch sicher nicht besser, eher schlechter geworden. Dass man also auch im Fußball einen Qualitätsverlust statt eines Qualitätsgewinns befürchten darf, ist nicht aus der Luft gegriffen…

Ressortleitung Reporterchef und Leiter der Sportredaktion