Wie war das mit dem Abseits?

Michael Fürst zur schwindenden Gleich-heit des Fußballs

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Michael Fürst
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Ein Grund dafür, warum der Fußball Volkssport Nummer 1 ist, definiert sich aus der Tatsache, dass er überall gleich gespielt wird: In Asien wie in Amerika und Europa, in der Bundesliga wie in der Kreisklasse C8 Berlin. Alle kennen Abläufe und die Regeln: Zwei Teams, zwei Tore, ein Ball. Und los! Ist das wirklich noch so?

Nein, gewiss nicht: Zum einen hat sich der Profifußball durch den Videobeweis in den beiden Bundesligen Deutschlands vom Amateurfußball distanziert. Hand ist schon lange nicht mehr Hand, ob Absicht oder nicht. Hier ist es sogar so, dass die Regel von Spiel zu Spiel anders ausgelegt und interpretiert wird. In den Bundesligen glotzt der Schiri so lange auf den Bildschirm, bis es eben Hand ist. Basta. Bei den Amateuren kommt es hingegen schon mal vor, dass es eben weiter geht, wenn der Ball mal an die Hand dotzt. Dafür ist das Geschrei draußen dann umso größer. Schuld daran ist der Videobeweis, weil alle nach der absoluten Gerechtigkeit gieren.

Zum anderen kamen in den vergangenen Jahren die schleichenden Veränderungen im Jugendfußball dazu – ob nun Fußball-pädagogisch sinnvoll oder nicht, das lassen wir an dieser Stelle einmal dahingestellt, bzw. das haben wir in den FN schon ausführlich in alle Richtungen hin erörtert. Aber Fußball ist eben nicht mehr Fußball, wenn der Einwurf eingekickt oder eingedribbelt wird, ebenso der Eckball. Das Torwartspiel des kleinen Norman P. in der D-Jugend ist ein anderes als das des Manuel N. bei den Bayern, weil Klein-Norman den Ball nicht aus der Hand abschlagen, damit das Mittelfeld überbrücken und so das Spiel schnell machen darf. Und wenn man dann noch ins Feld führt, dass die einzelnen Landesverbände unterschiedliche Ansätze bei „unteren Jugenden“ pflegen, dann ist vielleicht der Ball noch rund und das Tor eckig, aber Fußball eben nicht mehr Fußball.

All dieser Regelwirrwarr führte kürzlich zu der abstrusen Situation, dass sich ein Schiedsrichter vor einem D-Jugend-Spiel mit den beiden Trainern ins Benehmen setzte, um die Regeln für den anstehenden Kick festzuzurren. Es galt vor allem die Frage zu erörtern, ob das Abseits bei einem Einwurf, der ja in dieser Jugend noch ein Einkick oder Eindribbler ist, trotzdem aufgehoben ist – oder eben nicht, da ja vom Spielfeldrand mit dem Fuß und nicht mit der Hand agiert werde. Kurios: Drei Männer, drei Meinungen – auch wenn die Regel im Merkblatt für die Saison 2023/24 klar definiert ist: „Es wird mit Abseits gespielt. Beim Einpassen und Eindribbeln ist das Abseits nicht aufgehoben!“

Die Frage nach der Logik des Ganzen kann an dieser Stelle aus Platzgründen ebenso wenig erörtert werden, wie die Frage, warum in Baden eine D-Jugend-Mannschaft mit einer geraden Anzahl an Spielern (nämlich 8) statt mit einer Fußball-typischen ungeraden Zahl (eben 11 oder 9 oder 7) agiert. „Macht nichts. Auf der Straße haben wir früher auch nicht darauf geachtet, ob die Teams gerade oder ungerade waren“, werden jetzt die Lehrmeister des neuen Kinderfußballs sagen. Das stimmt, aber für die frühe Gewöhnung an Spielsysteme wäre eine gerade Anzahl an Feldspielern schon hilfreich.

Ach, äh, nein. Entschuldigung. Es geht ja nur noch um den Spaß. Aber könnten nicht angeführte Beispiele Gründe dafür sein, dass sich der Fußball von den Menschen entfremdet? Überall gleich ist er gewiss nicht mehr…

Ressortleitung Reporterchef und Leiter der Sportredaktion