An den Katastrophenschutz gibt es zwei Anforderungen: vorbeugen und reagieren. Feuerwehr, THW, Polizei und Bundeswehr waren beim Unwetter zur Stelle. Aber man kann schlechterdings nicht bestreiten, dass die betroffenen Menschen und Gemeinden eher unvorbereitet und nicht der Lage angemessen gewarnt waren. Die Ergebnisse sprechen für sich: eine Schneise der Zerstörung durch Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nach Starkregen und Flut.
Wir waren gewarnt. Die Wettervorhersagen zum Starkregen waren düster. In einigen Orten war man auf das Schlimmste gefasst. Aber die Menschen richten sich nach ihren Erfahrungswerten.
Sie haben an Hochwasser gedacht, an überflutete Keller, nicht passierbare Straßen. Niemand verlässt Hals über Kopf Haus und Hof, nur weil eine App Unwetter meldet – und sei es starkregenbedrohlichen Ausmaßes. Man leert den Keller und sorgt mit einer Wasserpumpe vor. Wer in Flussnähe lebt, hat von Generation zu Generation gelernt, sich auf Risiken einzustellen und mit Gefahren wie mit falschen Alarmen – die werden in der Debatte verdrängt – umzugehen.
Was diesmal allerdings eintrat, war monströs. Eine verstörend neue Dimension, die alle Erfahrungswerte sprengte. Niemand hat exakt voraussagen können, dass der Ort Schuld verwüstet wird oder dass Teile von Erftstadt zu einem Schlund werden. Die Warnungen waren besorgniserregend, aber nicht exakt genug, nicht hinreichend begründet, nicht zwingend. Deswegen haben die Menschen ihre Häuser meist nicht verlassen. Man muss sie eindringlicher warnen, zumal sie nun genauer hinhören werden.
Es ist ein primitiver Reflex, wie die Linkspartei den Rücktritt von Innenminister Horst Seehofer für ein kollektives Fehlurteil zu fordern. Nur weil man an einem Bundesminister eher sein Mütchen kühlen kann als an unbekannten Landesministern. Seehofer ist weder Teil der Lösung noch des Problems.
Eine Reform des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes liegt nicht im Belieben des Bundes. Der Katastrophenschutz ist Teil der allgemeinen Gefahrenabwehr und obliegt den Ländern. Der Bund greift ein, wo er um Amtshilfe gebeten wird. Der Zivilschutz ist die Aufgabe des Bundes im Spannungs- oder Kriegsfall. Das kann man gut oder auch schlecht finden. Aber erst einmal ist es eine Verfassungsrealität.
Die Trennung wurde gerechtfertigt, um Mischkompetenzen zu vermeiden – eine eigentlich schlüssige Begründung, nämlich eindeutige Entscheidungsstrukturen zu schaffen. Aber die Erfahrungen in Ausnahmesituationen – in Großlagen bei Terroranschlägen, in der Pandemie oder beim Hochwasser – zeigen, dass der Föderalismus verbessert werden sollte. Wir brauchen vernetzte Strukturen und eine Bundesregierung, die alle PS auf die Straße bringen darf, personell, materiell.
Vielleicht öffnet sich ein Zeitfenster, um die Kompetenzen von Bund und Ländern beim Katastrophenschutz neu auszutarieren oder gar das Grundgesetz zu ändern. Erst jetzt könnte das Anliegen eines gemeinsamen Katastrophenschutzes in aller Dringlichkeit im Kanzleramt und bei den Ministerpräsidenten ankommen. Da gehört es hin.
Eine verzichtbare, gleichwohl schier unumstößliche Lebenserfahrung lautet: Es muss etwas passieren, damit etwas passiert.
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