Kolumne #mahlzeit

Leute, dient eurem Land

Seit Jahren wird geprüft, ob für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle das Grundgesetz geändert werden muss. Kolumnist Stefan M. Dettlinger findet: Einfach machen - es kann nur gut sein für die zersplitterte Gesellschaft.

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Stefan M. Dettlinger
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© kako

Sie habe, sagte Caro beim Essen, einen Artikel eines ihr bis dahin unbekannten Philosophen gelesen. Der Philosoph – dessen Namen auch ich nie gehört hatte, und ich habe seitdem auch niemanden getroffen, der das tat – habe die These aufgestellt, dass es gut wäre, in Deutschland eine Dienstpflicht einzuführen. Denn seit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 fehle den Menschen ein republikanischer Erfahrungsraum, weil sie nicht mehr ihrem Land dienen. Sagt der Philosoph, den kein Mensch kennt, was nichts zu bedeuten hat, denn viele kluge Menschen unter den rund 8,25 Milliarden Menschen auf der Erde kennt kein Mensch.

Natürlich haben Caro, Bela, Alya und ich dann heftig gestritten. Bela hat, Alyas Tochter tätschelnd, wieder mal seinen liberalen Neigungen freien Lauf gelassen, Alya war indifferent, Caro und ich fanden die Argumente des Philosophen, den naturgemäß auch Alya und Bela nicht gekannt hatten (geschweige denn Elin), interessant, oder, wie Caro sich ausdrückte: „verfolgenswert“.

Ich habe im Nachgang des Streits, mit dessen unappetitlichen Details ich die 8,25 Milliarden Menschen dort draußen heute verschonen will, etwas nachgedacht. Halt auf meinem bescheidenen Niveau. Mir war natürlich bekannt, dass man in Berlin über ein Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen nachdenkt, das man als Friedens-, Alten-, Klima- oder Denkmalschützer absolvieren kann. Da wieder Krieg ist, ist die Sache vereinfacht. Seit langem wird das nämlich – die DB (Deutsche Bürokratie) ist ja nur so gut wie die DB (Deutsche Bahn) – verfassungsrechtlich geprüft. Es geht um die Frage, ob man für ein Dienstjahr eben mal die Verfassung ändern müsste, was naturgemäß nicht leicht ist. Nicht mal zum Aussetzen der Wehrpflicht hat man das getan, weil in Artikel 12a (männerfeindlich) steht, dass Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Wehrdienst verpflichtet werden – können. Das Können ist entscheidend, denn die Wehrpflicht ist damit zwar erlaubt, aber nicht geboten. Die Aussetzung steht nur im Wehrpflichtgesetz.

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Also ich fände so ein Jahr gut, das ja viele vorwiegend aus Akademikerhaushalten stammende Jugendliche eh machen. Freiwillig. Tatsächlich denke ich, dass ein Jahr für alle aus allen Schichten den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft mit ihren kulturellen Paralleluniversen verstärken, dass eine Bindung ans Gemeinwesen sichergestellt werden könnte und so aktive(re) und sozial(er) denkende Staatsbürger heranwachsen – statt Menschen, bei denen jeder zweite Satz mit „Ich“ beginnt. Ich denke da kommunitaristisch: Nur, wer in die Gemeinschaft integriert ist, kann empathisch und moralisch handeln.

Natürlich sind (sorry, liebe FDPler) wieder mal die Liberalen dagegen. Sie sehen die Freiheit bedroht und sprechen von Zwangsarbeit. So ein Quatsch! Man kann doch nicht in einer Gemeinschaft leben und ganz frei sein. Gemeinschaft heißt immer Pflicht. Aber wenn es so weiter geht, werden die Liberalen bald so bekannt sein wie der Philosoph, den Caro gelesen hatte.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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