Mit dem Rad auf dem Berliner Mauerweg: Hart an der Grenze

Die längste Sehenswürdigkeit Berlins misst 160 Kilometer: der Mauerweg. 35 Jahre nach dem Mauerfall gibt es gute Gründe, Erinnerungen aufzufrischen, sich auf Spurensuche zu begeben und Neues zu entdecken – am besten mit dem Fahrrad

Von 
Katrin Schreiter
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Auf der Glienicker Brücke wurden im Kalten Krieg die Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht. © Visit Berlin / Dagmar Schwelle

Berlin. Wo stand eigentlich die Mauer? Das fragen tagtäglich Scharen von Touristen und mittlerweile auch zahlreiche Hauptstädter, die nach 1989 geboren wurden oder erst später zugezogen sind. Wie erfolgreich war der Ruf „Die Mauer muss weg!“ aus den Herbsttagen 1989? Sind 35 Jahre danach in und um Berlin noch Reste des Monstrums sichtbar?

Wer die Antwort sucht, sollte sich auf ein Fahrrad schwingen. Der rund 160 Kilometer lange Mauerweg folgt fast komplett dem Verlauf des früheren Todesstreifens. 600 Schautafeln informieren über die Geschichte des jeweiligen Ortes. „Am besten beginnt man direkt in Berlin“, rät Stadtführer Sascha Möllering. „Wer den Mauerweg hier startet, wird gleich mit einer geballten Ladung Geschichte konfrontiert - später kann er sich von der grandiosen Naturlandschaft überraschen lassen, die es heute um den ehemaligen Todesstreifen gibt.“

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Der Guide von Berlin on Bike radelt regelmäßig mit ausländischen Touristen durch die Hauptstadt. Er hilft aber auch oft Deutschen, beim Thema Mauer die Erinnerungslücken zu füllen. „Die Älteren erzählen dann oft Storys aus alten Tagen“, sagt der 49-Jährige. „Die Jüngeren dagegen können sich meist gar nicht vorstellen, wie die Mauer das Leben in und um Berlin geprägt hat.“

Die Geschichtslektion beginnt im Norden Berlins

Wer im Norden Berlins mit der Geschichtslektion beginnt, legt den ersten Stopp am besten am S-Bahnhof Bornholmer Straße ein. In der Nacht des 9. November 1989 öffneten hier DDR-Grenzer zuerst die Mauer in Berlin. Großformatige Tafeln informieren mit Fotos und Texten an den alten Grenzverlauf, der die Nachbarn von Prenzlauer Berg und Wedding getrennt hat. „Die S-Bahnen mussten hier mit vollem Tempo durchheizen und die Notbremsen wurden vorübergehend deaktiviert“, sagt Möllering. „Das geschah, um die Flucht aus der Bahn heraus zu verhindern.“ Möllering tritt in die Pedale und rollt Richtung Mauerpark, wo das archäologische Fenster seit 2020 ein Stück Grenzgeschichte in einer Open-Air-Ausstellung zeigt. „Das sind die Überreste einer Panzersperre, die die Flucht per Auto oder Lkw aus der DDR verhindern sollte“, kommentiert der gebürtige Westberliner den Fund, der erst seit ein paar Jahren in der Ausgrabungsstelle zu sehen ist. Nur ein paar Meter weiter erstreckt sich an der Bernauer Straße die Gedenkstätte Berliner Mauer.

Dazu gehören das Denkmal zur Erinnerung an die geteilte Stadt und das Fenster des Gedenkens, in dessen Nischen 130 Porträtfotos von Mauertoten zu sehen sind. „Hier kriege ich immer wieder eine Gänsehaut“, sagt Möllering, der viel über Fluchtschicksale weiß. In der Innenstadt ist der frühere Grenzverlauf der Mauer durch eine Spur von Pflastersteinen und Metallplatten im Boden gekennzeichnet - das sollen angeblich sogar manche Berliner nicht wissen. Weithin bekannt allerdings sind die plakativen Grenzorte Checkpoint Charlie, Brandenburger Tor und East Side Gallery, der auf 1,3 Kilometern bemalte, längste verbliebene Mauerrest.

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Der Mauerweg zieht sich weiter im Zickzackkurs durch die Stadt. Er führt am Teltowkanal entlang, später an Wiesen und Feldern vorbei und schließlich teils über holprige Strecken, teils auf idyllischen Waldwegen Richtung Potsdam. Der Rundkurs ist überwiegend asphaltiert, nennenswerte Steigungen gibt es nicht. Sportliche Radfahrer können die rund 160 Kilometer auch an einem Tag abreißen, allerdings bleibt dabei kaum Zeit für den Geschichtspfad, der unterwegs zum Absteigen motiviert.

Unterwegs lohnt ein Abstecher nach Steinstücken. Bis zur Wende war dieser Wurmfortsatz vom Wannsee ein winziges Stück Amerikanischer Sektor inmitten der Sowjetischen Besatzungszone - „die einzige dauerhaft bewohnte Exklave der eingemauerten Stadt“, erklärt Robert Freimark, Stadtführer in Potsdam.

Ein paar Kilometer weiter erinnert die Glienicker Brücke an den Kalten Krieg. „Wer hätte gedacht, dass es hier noch mal 2015 zu einem Spionageaustausch zwischen den USA und der Sowjetunion gekommen ist.“ Damit irritiert Freimark seine Zuhörer. 2015? „Ja, im Spielberg-Film ,Bridge of Spies‘!“ Ein Scherz über Geheimagenten - für manche die passende Art, um mit Distanz auf die Geschichte zu schauen.

Doch auch wenn die Strecke im Westen und Norden weitab von Besiedlungen durch märkische Landschaften verläuft, bleibt der Ernst keinesfalls auf der Strecke. Die 139 Maueropfer an der Berliner Grenze werden an zahlreichen Orten eindrucksvoll ins Bewusstsein gerückt.

Zum Beispiel das Mauerstück mit Rohrauflage, das als Denkmal nördlich des Glienicker Sees zu sehen ist. Oder die zahlreichen orangefarbenen Stelen, die von Fluchtversuchen erzählen. Oder nordwestlich von Berlin der ehemalige Wachturm Nieder Neuendorf, der als Führungsstelle diente. Heute informiert dort eine Ausstellung über Struktur und Alltag der DDR-Grenztruppen, den Aufbau der Sperranlagen und die Geschichte von Flüchtlingen, Ausreisewilligen und Oppositionellen aus der Region.

Auch am Wachturm in Hohen Neuendorf klären großformatige Tafeln über Grenzdetails auf. Zurück auf dem Mauerweg kommen vier junge Radfahrer entgegen. Einer aus der Gruppe zeigt über den Nieder Neuendorfer See und ruft den anderen zu: „Da drüben war der Westen!“ 35 Jahre nach dem Mauerfall ist diese politische Geografie also immer noch nachvollziehbar.

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