Küche und Kino passen perfekt zusammen, sind Balsam für Leib und Seele. Entsprechend häufig wird Essen auf der Leinwand zelebriert. Derb ging’s bei Marco Ferreris „Das große Fressen“ (1973) zu, um Japans „magische Nudeln“ kreiste Juzo Itamis „Tampopo“ (1985) während Jon Avnet „Grüne Tomaten“ (1991) servierte und Fatih Akin in „Soul Kitchen“ (2009) um den Fortbestand des von der Schließung bedrohten Titel gebenden Restaurants kämpfte. Dem lebensfrohen Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick waren Speis und Trank gar eine Sonderreihe wert, 13 Mal lud er zwischen 2007 und 2019 zum „Kulinarischen Kino“.
"Geliebte Köchin" hat Preis für die Beste Regie in Cannes erhalten
Einen besonderen Hang für leibliche Genüsse scheint Juliette Binoche („Der englische Patient“) zu haben, die in Lasse Hallströms Komödie „Chocolat“ (2000) in einem kleinen französischen Dorf eine Patisserie eröffnet, damit für reichlich Aufregung sorgt und letztlich noch das Herz eines von Johnny Depp gespielten Roma-Clanchefs gewinnt.
Ein „Märchen für Erwachsene“, ein Appell zur Toleranz und ein weiterer Beleg dafür, dass Liebe durch den Magen geht. Wie nun erneut bei „Geliebte Köchin“ von Trân Anh Hùng, der hierfür auf den Filmfestspielen von Cannes den Preis für die beste Regie entgegennehmen durfte.
Er hat das Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman von Marcel Rouff (1877 - 1936) - der vielseitige Schweizer Autor gab gemeinsam mit Maurice Edmond Sailland, Künstlername Cumonsky, den mehrbändigen Gastronomieführer „La France gastronomique“ heraus -, die Oscar-Preisträgerin als begnadete Köchin Eugénie besetzt.
1885 steht sie seit 20 Jahren im Dienst des berühmten Gourmets Dodin Bouffant (Benoît Magimel) und kreiert mit ihm und für ihn die köstlichen Gerichte. Aus der gemeinsamen Zeit am Herd und der Leidenschaft für das Kochen ist über die Zeit weit mehr als nur eine Liebe für gute Speisen erwachsen.
Doch Eugenie will ihre Freiheit nicht aufgeben und hegt keinerlei Absichten, Dodin zu heiraten. Die beiden teilen Tisch und Bett - doch die selbstbewusste Frau bestimmt, wann sie für ihren Geliebten des Nachts die Tür unversperrt lässt. Ein Umstand, den der Gutsherr beenden möchte. Unbedingt will er das Herz seiner Köchin für immer gewinnen. Also beschließt er, etwas zu tun, das er noch nie zuvor getan hat: für sie zu kochen...
Rezepte in "Geliebte Köchin" stammen von Sternekoch von Pierre Gagnaire
Fürs Reich der Sinne interessiert sich der 1962 im vietnamesischen Dà Nãng geborene Regisseur, der 1975 nach der kommunistischen Machtübernahme mit seiner Familie nach Paris emigrierte und dort von 1985 bis 1987 die Filmhochschule Ècole Louis-Lumière besuchte.
Nach dem Geruchssinn in „Der Duft der grünen Papaya“ (1993) stehen nun die Geschmacksknospen an. Inmitten des passionierten Treibens einer bestens mit Schmortöpfen, Pfannen und Kesseln ausgestatten Landküche inszeniert Trân Anh Hùng eine außergewöhnliche und im Wortsinn appetitanregende Love Story um die Kunst der Verführung und die Sinnlichkeit des Essens.
Juliette Binoche
- Ihr Nebendarstellerinnen-Oscar für „Der englische Patient“ hat die 1964 geborene Pariserin berühmt gemacht, dank ihres charmanten Spiels wird sie gerne in romantischen Komödien wie „Chocolat“ oder „Eine Couch in New York“ besetzt. Dabei ist die wandelbare, 1,68 Meter große Mimin vielseitig einsetzbar.
- In ihrer Heimat kennt man sie vornehmlich aus Arthouse-Produktionen wie „Rendez-vous“, Krzysztof Kieslowskis „Drei Farben“-Trilogie, „Die Liebenden von Pont Neuf“ oder „Die Wolken von Sils Maria“, Michael Haneke besetzte sie in „Code: unbekannt“ bzw. „Caché“, für Jean-Paul Rappeneau schlüpfte sie in „Der Husar auf dem Dach“ ins historische Kostüm.
- Alle wichtigen europäischen Filmpreise - ob César, Silberner Bär, BAFTA oder Europäischer Filmpreis - hat Binoche schon gewonnen, Publikum und Kritik lieben sie für ihre elegante Körpersprache und das Versprechen erotischer Leidenschaft - ihr Part der betrogenen Ehefrau in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ ist hierfür symptomatisch.
- Juliette Binoche war mit Regisseur Léos Carax, Tiefseetaucher Andre Halle und ihrem Kollegen Benoît Magimel liiert, hat zwei Kinder, malt, führt Tagebuch und gestaltete 1998 eine Ausgabe der Filmzeitschrift „Studio“.
- Sie ist einer der Stars Frankreichs, auf Augenhöhe mit Catherine Deneuve und Jeanne Moreau: Juliette Binoche.
Beim morgendlichen Gemüseernten im hauseigenen Garten lernt man die Protagonistin kennen, mit Bedacht stellt sie die Speisenfolge fürs Abendessen zusammen, mit dem der Hausherr seine Gäste, meist vier gute alte Freunde, regelmäßig verwöhnt. Man wird Zeuge, wie kulinarische Kunstwerke entstehen - für den Film kreiert von niemand Geringerem als Sternekoch Pierre Gagnaire.
Immer wieder wird fast in Echtzeit gekocht. Fisch ausgenommen, Fleisch pariert, Salat geputzt. Soßen werden gerührt, Suppen aufgesetzt, Baisers und Kuchen gebacken. Den aufwändigen Zubereitungsprozess - die Laufzeit von 135 Minuten unterstreicht dies - fängt Kameramann Jonathan Ricquebourg („Der Tod von Ludwig XIV.“) liebevoll und präzise ein.
Für die Speisen im Film wurden regionale Produkte verwendet
Wie in einer guten TV-Kochsendung, jedoch mit dem Unterschied, dass es ihm obendrein zu zeigen gelingt, dass hier nicht nur Gusto und Aroma zählen, sondern auch romantische, besser gesagt erotische Gefühle zum Tragen kommen. Manchmal vielleicht nicht ganz politisch korrekt dargeboten, wenn von prallen Früchten auf ein nacktes Hinterteil geschnitten wird.
Das Wasser läuft einem im Mund zusammen, es sei denn, man ist Vegetarier oder gar Veganer. Wobei angemerkt werden muss, dass immerhin ausschließlich regionale Produkte zum Einsatz kommen. Zum Team stößt die elfjährige Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire), Nichte der Küchenhilfe, die sich schnell als gelehrige Nachwuchsköchin entpuppt und deren Perspektive der Film immer wieder einnimmt.
Im Zentrum strahlt derweil die wie stets souverän agierende Binoche, der man ebenso verfällt wie der empathische Dodin, den Magimel („Die Klavierspielerin“) zurückhaltend und zufrieden anlegt. Ein ruhiges, unaufgeregtes Vergnügen für Feinschmecker, die sich vorsichtshalber nach dem avisierten Kinobesuch einen Tisch in ihrem Lieblingsrestaurant reservieren sollten.
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