Der neue Film

„Die Mittagsfrau“: Kein Heimchen am Herd

Barbara Albert verfilmt mit „Die Mittagsfrau“ den gleichnamigen Roman von Julia Franck – mit Mala Emde in der Hauptrolle

Von 
Gebhard Hölzl
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Max von der Groeben als Wilhelm und Mala Emde in der Hauptrolle der Helene in einer Szene des Films „Die Mittagsfrau“. © Ricardo vaz Palma/ Wild Bunch/dpa

Neben Ulrich Seidl und Michael Haneke, Sabine Derflinger und Jessica Hausner gehört die Wienerin Barbara Albert, Jahrgang 1970, zu den international renommiertesten Filmemachern Österreichs. 1999 realisierte sie mit „Nordrand“ ihren ersten Spielfilm. Im selben Jahr gründet sie gemeinsam mit Hausner, Martin Gschlacht und Antonin Svoboda die Produktionsfirma „coop99 filmproduktion“. Das Erfolgsunternehmen, das sich als „Plattform für eine neue heimische Filmemacher*Innen-Generation“ versteht, zeichnet etwa für „Die fetten Jahre sind vorbei“ (Deutscher Filmpreis), „Esmas Geheimnis – Grbavica“ (Berlinale-Sieger 2006) oder ihren zweiten Langfilm „Böse Zellen“ verantwortlich.

Sechs Jahre hat sie sich nach „Licht“ für ihre neue Kinoarbeit Zeit genommen, zwischendurch vier Episoden der Fernsehserie „Funeral for a Dog“ (2022) inszeniert. Auf dem gleichnamigen, mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman von Julia Franck fußt ihr neues Werk „Die Mittagsfrau“, zu dem sie gemeinsam mit Meike Hauck („Pinpong“) das Drehbuch verfasst hat. Um Selbstbestimmtheit und Identität, um (weibliche) Körperlichkeit und die alltäglichen Gefahren des Lebens in (Nazi-)Deutschland geht es in dem 136 Minuten langen, zeitversetzt montierten Opus, das gut vier Jahrzehnte umspannt. Streng aus der Perspektive der fiktiven Heldin – eine der wenigen Änderungen gegenüber dem Buch – erzählt die Filmemacherin. Als Mädchen lernt man Helene (Helene Pieske) kennen. Das verträumte, intelligente Kind, das sich früh für Biologie und Anatomie interessiert, wächst mit ihrer älteren Schwester Martha (Maria Matschke-Engel) im beschaulichen Bautzen auf. Unbeschwert tobt sie durch die Natur, von Licht durchflutet sind da die Aufnahmen des Kameramanns Filip Zumbrunn („Und morgen seid ihr tot“).

Die Tante emigiriert

Ende der 1920er-Jahre ziehen die Geschwister, inzwischen von Mala Emde beziehungsweise Liliane Amuat verkörpert, Töchter eines Christen und einer Jüdin, in die Hauptstadt. „Babylon Berlin“ ist angesagt, packend und atemlos gestaltet. Während Martha sich im Feier- und Drogenrausch verliert, will die geerdete Helene, die in einer Apotheke aushilft, Medizin studieren. In Karl (Thomas Prenn) – „du wirst mein Erster und mein Letzter sein“ – findet sie die Liebe ihres Lebens. Doch das Glück währt nicht lange. Er wird kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf offener Straße von SA-Schergen erschlagen.

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Hinzu kommt, dass sie sich eine neue Bleibe suchen muss, als ihre jüdische Tante emigriert. Nach langem Zögern gibt sie dem Werben des strammen SS-Offiziers Wilhelm (Max von der Groeben) nach, der es mit der herrschenden Ideologie nicht so genau nimmt. Er besorgt ihr einen Ahnenpass, eine neue arische Identität. Dafür soll Alice – wie sie nun heißt – sich ihm bedingungslos unterwerfen, nach Stettin folgen, allzeit bereite Geliebte, Hausfrau, Köchin und Mutter sein. Diesem traditionellen Rollenbild will sich die junge Frau keinesfalls fügen und trifft, als sie schwanger wird, eine ungeheuerliche Entscheidung.

Eine tragische, vielschichtige Lovestory, ein in der Historie verankertes Drama, das durchaus zeitgenössische Sujets verhandelt: Feminismus, Gleichstellung, Verfolgung, Antisemitismus, häusliche Gewalt. Albert spricht mutig und direkt die Vielzahl von Themen an, macht sie an ihrer gepeinigten Protagonistin fest, die sich nicht unterkriegen lassen will. Perfekt füllt Emde („Und morgen die ganze Welt“) den komplexen Part. Zurückgenommen tut sie dies, häufig schweigend. Mit Mimik und Gestik drückt sie sich bevorzugt aus, trotz manch (zunächst) unnachvollziehbarer Entscheidung, schlägt man sich instinktiv auf ihre Seite, fühlt mit ihr, versteht, warum sie mit ihrer Rolle als Mutter ringt.

Als Schauspielerfilm funktioniert das ambitionierte Projekt vorzüglich. Gewöhnungsbedürftig hingegen ist die verschachtelte Struktur – dank unterschiedlicher Bildgestaltung und passender musikalischer Untermalung des Komponisten Kyan Bayani („Bad Banks“) jedoch trefflich gelöst – die mit der des Romanes bricht. Eine Entscheidung, die wohl der filmischen Dramaturgie geschuldet ist. Das ist in Sachen innerer Spannung konsequent, aber nicht unbedingt nötig, wie die Vorlage trefflich beweist.

Hinzu kommt, dass man der Produktion ein größeres Budget gewünscht hätte. Für das angestrebte Epos fehlen die überwältigenden Schauwerte. Großteils in Innenräumen ist die Handlung verortet, es wird über weite Strecken mehr gesprochen als gezeigt. Trotzdem ist es der Regisseurin gelungen, die „ Mittagsfrau“ auf der Leinwand auferstehen zu lassen.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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