Zeitreise

Nicolas de Pigage - der Architekt der Kurpfalz

In Schwetzingen wird heute eine Bronzebüste zu seinen Ehren enthüllt: Hofarchitekt Nicolas de Pigage würde jetzt 300 Jahre alt. Für das Mannheimer Schloss und die Schwetzinger Sommerresidenz war er ein bedeutender Baumeister

Von 
Peter W. Ragge
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Ein heiterer, intimer Raum mit außergewöhnlichem Status: die Kabinettsbibliothek von Elisabeth Augusta im Schloss, von Nicolas de Pigage geschaffen. © Markus Prosswitz

Mannheim. Der Raum wird mit einer Glasscheibe geschützt, so kostbar ist alles. Eine Spiegeldecke, Stuck mit Rocialelementen und Blumenranken, feinste Schnitzereien an Schränken und Wandvertäfelungen, Parkettboden, Decken- und Wandgemälde mit christlichen und mythologischen Motiven in zartem Rose und hellem Grün – das ist das Bibliothekskabinett von Kurfüstin Elisabeth Augusta im Mannheimer Schloss.

Es ist ein „heiterer, bewegter und intimer Raum“. So beschreibt Uta Coburger, Konservatorin für Mannheim bei den Staatlichen Schlössern und Gärten, den privaten Rückzugsort der als klug und gebildet geltenden Kurfürstin mit Bücherregalen hinter reich verzierten feinen Gittertüren. Er nimmt, so Coburger, „einen außergewöhnlichen Status innerhalb des Schlosses ein“.

Nicolas de Pigage: Zwei Residenzen in der Kurpfalz geprägt

Als einziger von mehr als 500 Schlossräumen hat sich dieses Kleinod trotz aller Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg im beinahe ursprünglichem Zustand erhalten. Es ist so kostbar, dass es vom Schlossmuseum nur durch eine Scheibe besichtigt werden darf. Und der bezaubernde Raum, entstanden zwischen 1755 und 1757, ist auch ein Beispiel für die Baukunst des lothringischen Baumeisters Nicolas de Pigage, der zwei Residenzen in der Kurpfalz enorm geprägt hat.

Geboren ist er am 2. August 1723 in Lunéville – seit 1969 Partnerstadt von Schwetzingen. „Wahrscheinlich erlernte er bei seinem Vater Anselm Pigage, der selbst Architekt war, die nötigen Grundkenntnisse des Architektenberufes“, so Ralf Wagner, Konservator für Schloss Schwetzingen bei den Staatlichen Schlössern und Gärten.

In Paris erwirbt er an der Ecole Militaire den Titel eines Ingenieuroffiziers und geht noch von 1744 bis 1746 an die Pariser Académie Royale d’Architecture, wo er an der Spitze einer Liste der zehn begabtesten Studenten steht.

Porträt von Nicolas de Pigage in der REM-Gemäldesammlung. © rem/Maria Schumann

Die drei Jahre danach liegen im Dunklen. „Die Zeit bis zu seiner Anstellung in der Kurpfalz 1749 konnte bisher in der Forschung nicht geklärt werden“, bedauert Wagner. Möglicherweise sei er in Italien gewesen – für angehende Architekten durchaus üblich. Über eine Empfehlung von Herzog Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld kommt Pigage in den Hofstaat des Kurfürsten Carl Theodor, der ihn am 10. Februar 1749 mit erst 26 Jahren zum „Intendanten dero Gärthen und Wasserkünsten“ ernennt.

Ein neuer Geist

Das klingt toll, sei aber „eher eine Verlegenheitslösung“, meint Wagner. „Seine Aufgabe waren vor allem bauorganisatorischer Art und hatten nichts mit Gärten und Wasserspielen zu tun“, weiß er. Denn seit 1748 trägt Guillaume d’Hauberat den Titel eines kurpfälzischen Oberbaudirektors, zuvor ist es Alessandro Galli da Bibiena. Obgleich d’Hauberat schon 1749 stirbt, wird seine Stelle nicht sofort mit Pigage besetzt. „Er durfte sich erst als Architekt in der Kurpfalz beweisen“, so Wagner.

Zunächst muss er Pläne zeichnen, die in der Schublade landen – und die sich heute in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim befinden. Carl Theodor betraut Pigage mit einem Neubau für eine großangelegte Sommerresidenz in Schwetzingen, die aber über Fundamentierungsarbeiten in Höhe des heutigen Arionbeckens nie hinauskommen. Wagner begründet das „hauptsächlich mit der prekären finanzielle Lage der Kurpfalz“, weshalb ja sogar das Hofopernhaus in Mannheim von 1742 bis 1748 aus Kostengründen nicht bespielt wird.

Besuchertipps für Mannheim und Schwetzingen

  • Schloss Mannheim: Bismarckstraße, 68161 Mannheim, zu besichtigen sind Haupttreppenhaus, Rittersaal, je vier rekonstruierte Räume des Kaiserlichen Quartiers und des Appartements der Großherzogin einschließlich „Erlebnisraum Hofmusik“, dazu Schlossmuseum mit Dauerausstellung und Kabinettsbibliothek von Elisabeth Augusta..
  • Eintritt: Schloss mit Audioguide oder App für Erwachsene neun Euro, Ermäßigt 4,50 Euro und für Familien 22,50 Euro. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.
  • Schloss und Schlossgarten Schwetzingen, 68723 Schwetzingen.
  • Eintritt: Schlossgarten 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, Familien 20 Euro. Öffnungszeiten: Schlossgarten bis 28. Oktober täglich 9 bis 20 Uhr, letzter Einlass 19.30 Uhr. Die Besichtigung der Innenräume des Schlosses ist nur mit Führung möglich.
  • Kombiticket: Schloss Mannheim und Schlossgarten Schwetzingen, gültig vom 1. April bis 31. Oktober 2023, Erwachsene 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro, Familien 38 Euro, zusätzlich erhält jeder Besucher eine Überraschung an der Schlosskasse. pwr

Ab 1751 gibt Carl Theodor Pigage den Auftrag, das Mannheimer Schlosses um- und auszubauen. Mit ihm wehte dort „ein neuer Geist“, sagt Coburger. „Dabei war Pigage allerdings an die monumentalen und nicht unbedingt akademisch korrekten Fassaden seiner Vorgänger gebunden“, ergänzt Wagner.

Aber er vollendet den Residenzbau mit dem westlichen Querflügel, mit dem Ostflügel, mit Marstall und Remisen für Pferde und Wagen (vorher nur in Holzverschlägen untergebracht) sowie dem östlichen Eckpavillon der Schlossbibliothek als Pendant zur Schlosskirche. Es ist das, so Coburger, „Herzensprojekt“ des Kurfürsten. „Pigages großartigste Raumschöpfung“, findet Wagner, doch im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Neubau in Benrath

Inzwischen vom Können Pigages überzeugt, ernennt Carl Theodor ihn am 18. Februar 1752 zum Oberbaudirektor. Für den privaten Bereich des Kurfürsten darf er drei Malereikabinette neu ausstatten. Und 1755 beauftragt er ihn „zu einer Bibliothek vor deren frauen Gemahlin“ im Erdgeschoss unter ihren Wohnräumen. Im gleichen Jahr darf Pigage beginnen, in Düsseldorf – die Herzogtümer Jülich-Berg und Jülich-Kleve-Berg sowie das Großherzogtums Berg sind ja ebenso Residenz des Pfalzgrafen – in Benrath anstelle eines baufälligen Wasserschlosses ein neues Lust- und Jagdschloss zu errichten. Das dauert 14 Jahre, bis 1771, hat laut Wagner aber „geradezu Modellcharakter“ als ein „Lustschloss par excelence“.

Pigage wird zudem für weitere Schlossbauten in der Kurpfalz engagiert. Für Pfalzgraf Friedrich Michael von Zweibrücken-Birkenfeld, Schwager der Kurfürstin Elisabeth Augusta, baut er dessen Schloss in Oggersheim zu einer repräsentativen Sommerresidenz aus. Nach dem frühen Tod des Bauherren 1767 kauft es Elisabeth Augusta und zieht sich dorthin zurück. Ihre Ehe mit Carl Theodor ist zerrüttet, seit der Erbprinz kurz nach der Geburt 1761 stirbt, er sich Mätressen und auch sie sich anderen Verehrern widmet.

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„Pigage besaß aber die Gabe, bei beiden Eheleuten als versierter Architekt in der Gunst zu stehen“, schließt Ralf Wagner aus der Tatsache, dass Elisabeth Augusta den Architekten ihres Mannes den Winterflügel ihrer Oggersheimer Residenz bauen lässt. Weniger Glück, so Ralf Wagner, hat Pigage dagegen im – damaligen – Ausland. „Mehrere Projekte für den württembergischen und baden-durlach’schen Hof für Schlossneubauten und Gartenanlagen blieben unrealisiert“, so der Konservator.

In der Kurpfalz dagegen ist er hoch angesehen – und auch wirtschaftlich erfolgreich. 1756 wird der Oberbaudirektor zum Wirklichen Rat mit Sitz und Stimme in der kurpfälzischen Hofkammer, 1762 noch zum Gartendirektor der Sommerresidenz Schwetzingen ernannt und 1768 von Kaiser Joseph II. in den erblichen Adelsstand erhoben

Als Pigage 1765 ins Rheinland reist, um dort Ziegel einzukaufen, lernt er deren Herstellung mit Steinkohle statt mit Holzkohle kennen – und greift das auf. Mit Unterstützung des Kurfürsten gründet er 1767 in Mannheim, auf dem heutigen Lindenhof (Bereich Rennershof-/Lindenhofstraße) eine Ziegelei. Nicht nur deshalb gilt er als wohlhabend. Er besitzt neben seiner Dienstwohnung im Schloss in der Mannheimer Oberstadt, dem bevorzugten Wohnquartier des Hofadels, ein eigenes Haus in B 1,10 und darin eine eigene Gemäldesammlung.

Das Ende der Welt

Er liebt die Kunst und gibt daher 1788 mit dem Kupferstecher Christian von Mechel den Katalog der Düsseldorfer Gemäldegalerie heraus. „Das war der erste für eine deutsche Galerie erschienene, kritische, komplett illustrierte Galeriekatalog“, hebt Ralf Wagner hervor. Auch Möbel entwirft Pigage.

Ein Werk von Pigage: die Moschee im Schwetzinger Schlossgarten. © ssg

Dagegen bleibt ihm sein Wunsch verwehrt, eine große Kirche zu bauen. Als der Konvent von St. Blasien im Schwarzwald sich mit seinem Architekten Michel d’Ixnard über den Bau der Klosterkirche zerstreitet, bringt er sich zwar dort ein – von seinen Planungen wird indes nur das Chorgitter in St. Blasien ausgeführt. „Auch seine Pläne für die Frankfurter Paulskirche 1787 wurden von den dortigen Ratsherren abgelehnt“, berichtet Wagner, weshalb der Baumeister nur kleinere Kirchenbauten realisieren kann, etwa in der Pfalz, in Sinsheim und die katholische Kirche St. Pankratius in Schwetzingen.

In Schwetzingen hat er aber im Schlossgarten alle markanten, bis heute im Original erhaltenen Bauten geschaffen, etwa die Neue Orangerie, das Naturtheater mit Apollotempel, den Minervatempel und den Tempel der Waldbotanik sowie die Wasserwerke zur Versorgung der Brunnen und Fontänen. Das Mittelparterre führt er über das Hirschbassin hinaus bis zum Großen Bassin. Und mit dem Badhaus sowie der Anlage der wasserspeienden Vögel, dem ganz privaten Refugium des Kurfürsten, schafft er ein ganz besonders hübsches Kleinod.

Schwetzinger Schlossgarten bietet Blick ins Paradies

Und nicht nur das: Dank Pigage können Besucher des Schwetzinger Schlossgartens sagen, dass sie ans „Ende der Welt“ gehen – aber nicht weit laufen müssen. „Optischer Pavillon“ hat er sein 1775 fertiggestelltes Werk genannt, ein äußerst geschickt gestaltetes Perspektiv aus einem tunnelartigen Laubengang und dahinter einer Apsis, als Grotte sehr aufwendig gestaltet mit Halbedelsteinen und Moosen, Muscheln und Felsen aus Stuck sowie einem rieselnden Wasservorhang.

Es ist gedacht als ein Blick ins Paradies – übrigens bewusst nach Norden ausgerichtet und damit nach Mannheim an den Zusammenfluss von Rhein und Neckar. „Diese Szenerie ist heute einzigartig in der Gartenkunst“, hebt Wagner hervor.

Das älteste erhaltene Rangtheater in Europa und das älteste Theater überhaupt in Baden-Württemberg, das Schlosstheater hinter dem nördlichen Zirkelbau der Schwetzinger Residenz, geht ebenso auf Pläne von Pigage zurück. Es wird 1752/53 binnen weniger Monate gebaut.

Umbenennung abgesagt

Mit der Übersiedelung des Hofes nach München 1778 werden die Gelder für Bauprojekte in der Kurpfalz indes zunehmend knapper. „Dennoch gelingt es Nicolas de Pigage gerade in dieser finanzschwachen Zeit, seine größten Gartenbauten in Schwetzingen zu realisieren“, verweist Wagner etwa auf das römische Wasserkastell, den Merkurtempel und besonders (zwischen 1779 und 1795 erstellt) die Moschee.

Carl Theodor will sich damit als toleranter, weltoffener, aufgeklärter Herrscher in Szene setzen. „Es ist die größte und aufwendigste Gartenmoschee des 18. Jahrhunderts und die letzte erhaltene dieser Zeit in Europa“, betont Wagner, allerdings habe der Kurfürst „die fertige Moschee nie gesehen“, denn er kommt nach dem Antritt des bayerischen Erbes nur noch dreimal nach Schwetzingen.

Gerade Schwetzingen hat von Pigage also enorm viel profitiert. Die Staatlichen Schlösser und Gärten wollen daher zu seinem 300. Geburtstag am 3. August 2023, um sein Lebenswerk zu würdigen, das Schlosstheaters in Pigage-Theater umbenennen. Der im Volksmund verwendete, vom SWR für seine Festspiele geprägte Name „Rokoko-Theater“ ist schließlich nicht korrekt – weil es reines Rokoko hier gar nicht gibt.

Als aber die Pläne im Herbst 2022 bekanntwerden, regt sich sofort enormer Widerspruch in der Bevölkerung der Stadt. Doch gegen die Bürger wollen die Staatlichen Schlösser und Gärten das nicht durchsetzen – sie nehmen von der Idee ganz schnell Abstand.

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Die Schwetzinger werden den großen Baumeister aber nun doch ehren. Schließlich hat er hier seit 1766 das untere Stockwerk des Gesandtenhauses (heute Amtsgericht) bewohnt und ist dort am 30. Juli 1796 gestorben. „Da sein Grab nicht mehr zu orten ist, war es ein besonderes Bedürfnis, dem genialen Franzosen, dem Schwetzingen bis heute sehr viel zu verdanken hat, in seinem Jubiläumsjahr ein Ort der Erinnerung und Anerkennung zu schaffen“, sagt Barbara Gilsdorf, die Kulturreferentin der Stadt.

Ihm wird daher eine Bronzebüste auf dem Pigageplatz (bei Hotel Adler Post, Schlossstraße) gewidmet. Als Bildhauer hat die Stadt Hatto Zeidler gewonnen, der durch seine „Maulbronner Köpfe“ – Bildnisse von zehn ehemaligen Seminaristen des Maulbronner Klosterseminars – bekanntgeworden ist.

Der Bildhauer zeigt den Architekten dabei mit dem gigantischen Künstlerhut, mit dem sich Pigage in den beiden einzigen bekannten Porträts von der Hofmalerin Anna Dorothea Therbusch darstellen ließ. Eines ist im Kurpfälzischen Museum Heidelberg, eine Kopie davon in den Reiss-Engelhorn-Museen. Es stammt von dem Ur-Urgroßneffen und Maler Werner von Pigage (1888-1959), der in Mannheim gewohnt hat und dort verstarb.

Redaktion Chefreporter

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