Mannheim. Wäre die Deutsche Mark ein Mensch, so dürfte man schreiben: Geboren am 20. Juni 1948 in Frankfurt als Tochter der Westalliierten und deutscher Finanzexperten, friedlich entschlafen im Alter von nur 53 Jahren am 31. Dezember 2001. Sie hinterlässt einen Sohn namens Euro, der das Werk seiner Mutter bislang erfolgreich fortsetzt.
Diese Allegorie mag seltsam erscheinen und hat doch ihre Berechtigung: Eine geradezu emotionale Beziehung haben die Deutschen zu ihrer Währung, deren Einführung vor 75 Jahren Grundlage für jahrzehntelangen Wohlstand und politische Stabilität der Bundesrepublik bildet, als deren wichtigste Vorstufe sie gilt. Eine Erfolgsstory also.
Ami-Zigarette als Zahlungseinheit
Erst recht, wenn man bedenkt, wie alles beginnt. 1945 ist Deutschland nicht nur militärisch besiegt und moralisch bankrott, sondern – ungeachtet des Raubs an der eigenen jüdischen Bevölkerung und der Ausplünderung der besetzten Länder Europas – auch finanziell pleite. Angesichts der Trümmer ist die Währung nichts wert. Das Land fällt in eine archaische Tauschwirtschaft zurück. Die Ami-Zigarette wird zur dominierenden Zahlungseinheit.
Die Alliierten, selbst ökonomisch angeschlagen, wollen, dass die Besiegten wieder für sich selbst sorgen, wirtschaftlich auf die Beine kommen. Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Geldwirtschaft. Angesichts des aufkommenden Kalten Krieges beginnen sie ihre Planung ohne die Sowjets und deren Zone.
„Konklave von Rothwesten“
Im Mai 1946 entwickeln die US-Professoren Gerhard Colm, Joseph Morrell Dodge und Raymond Goldsmith die Grundlinien der Reform. Flankiert werden sollen sie von deutschen Experten; die sollen die Ausführungsbestimmungen erarbeiten.
Am 20. April 1948 werden die zehn Männer und eine Frau in einem Bus mit geschwärzten Scheiben in eine Kaserne nach Rothwesten bei Kassel gebracht, dazu ein Koch-Ehepaar und ein Friseur. Die Gruppe soll autark arbeiten und streng geheim. Die Experten selbst wissen nicht, wo sie sind. Das Areal ist von Stacheldraht umgeben und streng bewacht.
Eine Kaserne bei Kassel als Labor für die Währungsreform von 1948 – heute ein Museum
- Lage: Rothwesten liegt zehn Kilometer nördlich von Kassel und befand sich 1948 in der US-Besatzungszone. Entfernung von Mannheim: 276 Kilometer, Fahrzeit mit dem Auto: etwa drei Stunden.
- Geschichte: Die Kaserne wurde 1934 von den Nazis errichtet. Den Krieg überstand der Gebäudekomplex unzerstört. Nach Kriegsende wurde er von den Amerikanern genutzt.
- Haus Posen: Das Gebäude liegt in der äußersten Ecke des Kasernenareals. Hier wurde 1948 die Expertenrunde zur Vorbereitung der Währungsreform, das sogenannte „Konklave“, untergebracht. Dazu wurde das Haus mit einem Stacheldraht umgeben und streng bewacht, Durchfahrt war nur durch ein zweiflügeliges Holztor möglich.
- Unterbringungssituation 1948: In den einfachen Soldaten-Stuben, jedoch einzeln, möbliert mit Bett, Stuhl, Tisch, Spind, Lampe. Sanitärräume am Ende des Flures und gemeinschaftlich zu nutzen, ebenso die Duschen im Keller.
- Nach 1948: Nutzung durch die US-Armee als Fliegerhorst, ab 1972 durch die Bundeswehr als „Fritz-Erler-Kaserne“, benannt nach dem SPD-Verteidigungsexperten und Bundestagsfraktionschef der 1960er Jahre.
- Erinnerung: 1988 Einweihung einer Gedenktafel, 1993 einer Dauerausstellung in zwei Räumen. 2007 Auszug der Bundeswehr, Überlassung an den 2011 gegründeten „Museumsverein Währungsreform 1948 e. V.“
- Öffnungszeiten: Jeden 1. Samstag im Monat 13 bis 17 Uhr, Sonderführungen nach Anmeldung, Infos unter www.waehrungsreform1948.de -tin
Dafür ist die Verpflegung für die damalige Situation üppig: Steaks, dazu Riesling vom Rhein, zum Nachtisch Ananas – mancher isst sie das erste Mal in seinem Leben – , französischer Cognac, kubanische Zigarren.
Leiter des Projektes, als „Konklave von Rothwesten“ in die Geschichte eingegangen, ist der 26jährige US-Leutnant Edward A. Tenenbaum, Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer in New York, studierter Volkswirtschaftler aus Yale.
Er wird Bindeglied zwischen amerikanischer Militärregierung und deutschen Fachleuten und damit „einer der Köpfe, die hinter der Reform steckten“, so der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der 1949 seine Diplomarbeit zur Währungsreform verfasst. „Er ist sehr zu Unrecht kaum ins Bewusstsein der Deutschen gedrungen“, betont Schmidt in seinen Memoiren: „Er verdient ein Denkmal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.“ Doch Tenenbaum stirbt fast vergessen 1975 bei einem Autounfall.
Währungsreform wird kurzfristig angekündigt
Nach 49 Tagen beendet das Konklave am 8. Juni 1948 seine Beratung. Das praktischste Problem ist bereits gelöst: die Produktion der neuen Banknoten. Die alte Reichsdruckerei in Berlin, ohnehin zu nah am Sowjetsektor, liegt in Trümmern. So werden die Scheine in New York und Washington gedruckt – das sieht man am Design, ähnlich dem Dollar.
Unter dem Decknamen „Bird Dog“ (Spürhund) und der Tarn-Adresse Barcelona treffen die 1000 Tonnen Papier in 23 000 Stahlkisten im April in Bremerhaven ein und werden per Zug nach Frankfurt gebracht. In der Taunusanlage lagern sie im Kellergewölbe der früheren Reichsbank, bis sie Mitte Juni mit 150 Lkw an die Ausgabestellen gebracht werden, in Mannheim zur Landeszentralbank in M 6. Auch dies noch unter großer Geheimhaltung.
Erst am Freitag, 18. Juni 1948, 18 Uhr, kündigen die Militärregierungen der drei Westzonen über den Rundfunk die Währungsreform an, die zwei Tage darauf umgesetzt werden soll. Trotz Nieselregens wird dieser Sonntag ein Ausflugstag für Familien. Jeder Deutsche erhält 40 D-Mark Kopfgeld. Alle dieser Generation wissen noch Jahrzehnte später, was sie mit ihren ersten 40 D-Mark (nach heutigem Wert 115 Euro) gemacht haben. Oft sind es kuriose Dinge. „Ich kaufte mir am Kurfürstendamm für 39 Mark ein hochelegantes Picknickköfferchen“, weiß Filmstar Gert Fröbe („Goldfinger“).
Mit einem Schlag sind die Schaufenster der Geschäfte voll, der Schwarzmarkt ausgetrocknet. Ludwig Erhard, Direktor der deutschen Wirtschaftsverwaltung für die Westzonen und später Wirtschaftsminister, hebt die Preisbindung auf. Der Markt kann sich frei entfalten.
Löhne und Mieten werden 1:1 umgestellt. Es gibt aber auch Verlierer: Wer 100 Reichsmark auf dem Sparkonto hat, erhält dafür nur 6,50 D-Mark. Nach der Inflation von 1923 verlieren viele Deutsche zum zweiten Mal ihr Sparvermögen. Angst vor Inflation und Sehnsucht nach stabiler Währung sind seither Teil der politischen DNA der Deutschen.
In Berlin gibt es plötzlich zwei Währungen
Die Reform bedeutet also, „dass die Lasten des Währungsschnitts höchst ungleich verteilt wurden“, konstatiert der Historiker Peter Graf Kielmansegg. Gewinner sind Besitzer von Sachwerten, sprich Maschinen und Fabriken, also die Unternehmer, zumeist politisch belastet. Auch somit historisch ungerecht.
Zudem bildet die Währungsreform „die nächste Station auf dem Weg zur deutschen Teilung“, wie der Historiker Heinrich August Winkler betont. Am 23. Juni nämlich befiehlt Sowjet-Marschall Sokolowski eine eigene Währungsreform für seine Zone einschließlich des sowjetischen Sektors von Berlin. In der alten Hauptstadt gibt es nun zwei Währungen. Die Kopfquote ist mit 70 Mark höher als im Westen, der Umtauschfaktor für Konten günstiger für Sparer. Doch die Ost-Reform ist überstürzt, es gibt daher keine neuen Scheine. Stattdessen erhalten die alten nur Aufkleber. Ein Menetekel.
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Die Währung der DDR wird nie eine von Wert werden, schlecht angesehen bei der eigenen Bevölkerung wie auf dem Weltmarkt. Ganz im Gegensatz zur D-Mark. Sie wird zur wichtigsten Handels- und Reservewährung nach dem US-Dollar. Symbol für Wohlstand, als „Blaue Fliesen“ Sehnsuchtsobjekt vor allem der Deutschen in der DDR.
Wegbereiter der Einheit
„Kommt die D-Mark, bleiben wir/Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“ skandieren die DDR-Bürger im Herbst 1989. Es droht ein Massenexodus, Zusammenbruch nicht nur des Ostens, sondern auch des Westens. Bundeskanzler Helmut Kohl entscheidet daher, dass die D-Mark umgehend in die DDR kommen soll, noch vor der staatlichen Wiedervereinigung. Zum 1. Juli 1990 erfolgt die Währungsunion – mit einem Umtauschkurs von 1:1. Einem politischen, den Kohl ebenfalls bewusst durchsetzt, aus gesamtpolitischen Gründen, auch gegen Expertenrat.
Als Lebensmitteltransporte getarnte Lastwagen schaffen 460 Tonnen Scheine und 600 Tonnen Münzen im Wert von 27,5 Milliarden D-Mark in die DDR. Hier werden sie – nicht ohne Skurrilität – in Kasernen der Nationalen Volksarmee gelagert und von noch kurz zuvor sozialistischen bewaffneten Kräften bewacht.
Vor allem für die Menschen im Osten, die solange auf sie gewartet haben, aber auch für die im Westen, für die sie Symbol ihres Wohlstandes ist, ist es schwierig, die D-Mark ein Jahrzehnt später bereits aufgeben zu müssen. Wieder hat das politische Gründe: Die gemeinsame europäische Währung ist der Preis für die Zustimmung der europäischen Nachbarn, vor allem des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, zur Wiedervereinigung.
2002 löst der Euro die D-Mark als Zahlungsmittel ab. Nach Schätzungen sind noch D-Mark im Wert von sechs Milliarden Euro im Umlauf.
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