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Neustadt in der Nazizeit - Das Zentrum des Terrors

Als „Gauhauptstadt“ der NSDAP beherbergte Neustadt an der Weinstraße neben den üblichen Behörden auch ein frühes Konzentrationslager und die Gestapostelle für die Pfalz.

Von 
Klaus Backes
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Die Villa Böhm diente Gauleiter Josef Bürckel zwischen als Dienstsitz. © Klaus Backes

Neustadt. Dass die pfälzischen Nationalsozialisten einen Mann wie Gustav Weil weit oben auf der Liste der politischen Gegner führten, kann kaum verwundern. Er war nicht nur Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion in Neustadt, sondern auch Vorstand der israelischen Kulturgemeinde. Ein Foto in der Gedenkstätte für NS-Opfer im Quartier Hornbach zeigt, wie er unter Aufsicht eines SA-Manns die Straße kehren musste.

Wenn es dabei blieb, konnte er sich glücklich schätzen. Denn Prügeln und Quälen der Gefangenen waren üblich. Aus den Akten eines Strafverfahrens im Jahr 1950: „Ein Teil der Häftlinge wurde in schwerster Weise von den SA- und SS-Leuten durch Schläge mit Gummiknüppeln und Stahlruten misshandelt. Diese Gewalttätigkeiten vollzogen sich in der Weise, dass die Häftlinge in ein gesondertes Zimmer geführt wurden und hierbei mehrere SA- oder SS-Leute gleichzeitig in wahlloser Weise auf den einzelnen Häftling einschlugen.“

Diese Szenen spielten sich in einem frühen Konzentrationslager ab, das ab 10. März 1933 mehrere Wochen im Gefängnisgebäude der einst französischen Kaserne Quartier Turenne (heute Quartier Hornbach) existierte. Erst am Tag zuvor hatten die Nationalsozialisten die Regierungsgewalt in der bayerischen Pfalz übernommen. Nach Neustadt brachten sie während des Bestehens der Einrichtung insgesamt 470 Gefangene.

Rache an politischen Gegnern

Gustav Weil überlebte die Haft und starb 1941 in den Vereinigten Staaten. Den Schriftsetzer Hermann Zahm traf es schlimmer. Er wurde am 17. März 1933 gefoltert und sprang dann aus dem dritten Stock eines Kasernengebäudes, wobei er schwere Verletzungen davontrug. Dr. Kalter, ein weiterer Häftling, versuchte sich am 12. April 1933, durch Aufschneiden der Halsschlagader das Leben zu nehmen.

Informationen für Besucher

  • Anfahrt von Mannheim: Auf die A650, dort die Ausfahrt Speyer/ Mutterstadt nehmen und auf die B9 fahren. Dann auf die A65 in Richtung Neustadt/Weinstraße. Die Autobahn an der Abfahrt Neustadt Nord verlassen und der Beschilderung in Richtung Stadtmitte folgen. Entfernung von Mannheim: etwa 35 Kilometer. Fahrzeit: rund 30 Minuten.
  • Mit der Bahn: Es gibt gute Zugverbindungen von Mannheim Hauptbahnhof bis Hauptbahnhof Neustadt, Fahrzeit etwa 30 Minuten.
  • Gedenkstätte für NS-Opfer im Quartier Hornbach: Die Kaserne entsteht ab 1920 für 2000 französische Soldaten. 2000 wird sie an die Hornbach Immobilien AG verkauft. 2009 Gründung des Fördervereins Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt. 2013 Eröffnung der Gedenkstätte. Adresse: Ouartier Hornbach 13a/b, 67433 Neustadt/Weinstraße. Mailanschrift: info@gedenkstette-neustadt.de. Internetseite: www.gedenkstaette-neustadt.de. Öffnungszeiten: sonntags von 14 bis 16 Uhr.
  • Ehemalige Gestapo-Zentrale: Konrad-Adenauer-Straße 10. 1908/1909 als Bayerisches Wehrbezirkskommando erbaut. Außenbesichtigung des Gebäudes und des Nebengebäudes im Hof möglich.
  • Villa Böhm: Villenstraße 16, Internetseite: https://www.stadtmuseum-neustadt.de/, Öffnungszeiten: Mittwoch und Freitag 16 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 13 Uhr sowie 15-18 Uhr. Besuch ist kostenfrei.
  • Bürckel-Grab: In der nordöstlichen Ecke des Hauptfriedhofs, Landauer Straße 96.
  • Literatur: Nordblom, Rummel, Schuttpelz (Hrsg.): Josef Bürckel. 2. Auflage, Kaiserslautern 2020. kba

„Schutzhaft“ wurde die willkürliche Verbringung in die frühen Konzentrationslager zynisch genannt. Dabei ging es um Rache an politischen Gegnern sowie um deren Einschüchterung. Dies geschah nicht im Verborgenen, denn die Bevölkerung sollte sehen, was denen blühte, die dem neuen Regime Widerstand leisten würden.

Es gab viele Gesuche mit Bitten um Entlassung auch von jüdischen Häftlingen, was Gauleiter Josef Bürckel zu einer zynischen Bekanntmachung veranlasste: „Juden können in Zukunft nur noch entlassen werden, wenn je zwei Bittsteller bzw. die die Juden krankschreibenden Ärzte anstelle der Juden die Haft antreten.“ Bürckels Rolle bei der Einrichtung des frühen Konzentrationslagers ist unklar, seine Beteiligung an der Verhaftungswelle dagegen unbestritten.

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Trotz eines warmen Tags wirken die Gefängniszellen feucht-kalt. Welches Leid, welche Verzweiflung sahen diese kahlen Wände? Koffer, von denen einer die Aufschrift „Neustadt-Gurs-Auschwitz“ trägt, erinnern an die Deportation der pfälzischen, saarländischen und badischen Juden am 22./23. Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs. Die meisten der über 6000 Menschen kamen dann nach Auschwitz. Die Hauptrolle in diesem furchtbaren Geschehen spielte Gauleiter Josef Bürckel.

Gestapostelle verlegt

Die Ausstellung zeigt auch das Personal des Terrors auf lokaler und regionaler Ebene, darunter etliche „Schreibtischtäter“. Zu ihnen zählt der Mediziner Rudolf Ramm, unter anderem Leiter des „Rassenpolitischen Amtes“ des Gaus Westmark. Er sorgte für die Umsetzung der NS-Rassenpolitik vor Ort, was auch zur Ermordung von Menschen in Konzentrationslagern führte.

In einer Rede bezeichnete Ramm als Aufgabe von Ärzten „die erbuntauglichen oder erbuntüchtigen Elemente in unserem Volke auszumerzen“. Er starb am 9. August 1945. Wer will, kann Einblick in Akten über Täter und Opfer nehmen, ebenso in die im „Giftschrank“ aufbewahrte NS-Literatur.

In einer der Gefängniszellen des frühen Konzentrationslagers hat der Förderverein Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt Koffer aufgestellt, um an die Deportation der Juden ins Lager Gurs zu erinnern. © Klaus Backes

Mitte April 1933 begann die Auflösung des Konzentrationslagers, doch damit hatte der Schrecken kein Ende. Er erfuhr sogar eine Steigerung, als die Gestapostelle für die Pfalz 1937 von Ludwigshafen in die „Gauhauptstadt“ Neustadt verlegt wurde. Die zeitweise 112 Mitarbeiter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), zu deren Hauptaufgaben Kontrolle und Einschüchterung der Bevölkerung zählten, bezogen das ehemalige Bayerische Wehrbezirkskommando in der heutigen Konrad-Adenauer-Straße 10.

Sie hätten ohne Unterstützung durch viele Zuträger wenig ausrichten können. Ein Opfer unter vielen: Der Tierarzt Philipp Bus wurde Ende 1941 aufgrund einer Denunziation ins Gestapogefängnis gebracht, wo er sich in der Zelle erhängte. Eventuell erlag er aber den Folgen von Misshandlungen. Bus hatte Zweifel am Endsieg geäußert.

Feststellbar ist, dass ab 1941 die Zahl der Festnahmen anstieg. Das hing mit dem Zustrom von Zwangsarbeitern und mit dem negativen Kriegsverlauf zusammen. Der polnische Zwangsarbeiter Wladislaw Krenglicki wurde erhängt, weil er seinen Arbeitgeber bedroht haben sollte. In Neustadt fanden mindestens 20 Exekutionen statt. Andere Opfer kamen zur Hinrichtung in ein Konzentrationslager.

Lernort zum Thema Nationalsozialismus geplant

Vorher saßen sie in den Zellen der Gestapozentrale. Weiß getünchte Kellerräume, nichts Besonderes, abgesehen von den Luftschutzfenstern und -türen. Wer allerdings die Geschichte der Räume kennt, sieht sie mit anderen Augen. „Es ist nicht bekannt, wo die Arrestzellen genau lagen und in welchem Umfang die Räume dafür benutzt wurden“, erläutert Stefan Ulrich, Denkmalpfleger der Stadt Neustadt. In den oberen Geschossen des momentan leerstehenden Gebäudes lagen die Büros der Gestapo. Hier werden bald Teile der Stadtverwaltung einziehen, während das Land Rheinland-Pfalz im Keller ein Dokumentationszentrum als Lernort zum Thema Nationalsozialismus einrichten will.

Über diese Treppe wurden Häftlinge zu „verschärften Verhören” geführt. © Klaus Backes

Die Zimmer für die „verschärften Verhöre“ befinden sich in einem Nebengebäude auf der anderen Seite des Hofes. Ein unbehagliches Gefühl beim Begehen der Treppe: Hier wurden die Gefangenen hochgeführt und nach Prügel und Folter wieder zurück in die Zellen des Hauptgebäudes geschleppt. Die Schreie der Gequälten sollen auf der Straße gehört worden sein. Hier soll eventuell zusätzlicher Platz für die Stadtverwaltung geschaffen werden, so Ulrich. Da die originale Raumaufteilung noch existiert, wird es aber keine massive Veränderung der Innenstruktur geben. Skandalös, dass die Ermittlungen gegen ehemalige Mitarbeiter der Gestapostelle 1969 eingestellt wurden, da sie „weisungsgemäß“ gehandelt hätten.

Josef Bürckel - einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich

Unklar ist der Einfluss von Bürckel auf die Gestapostelle Neustadt. Da diese SS-Führer Heinrich Himmler als Chef der Polizei unterstand, konnte der Gauleiter keine direkten Anweisungen geben. Trotz dieser Einschränkung gehörte der aus dem südpfälzischen Lingenfeld stammende Volksschullehrer zu den mächtigsten Männern des Dritten Reiches. Seit 1926 Gauleiter der Pfalz avancierte er nach dem Votum der Saarländer für Deutschland 1935 zum Gauleiter der Saarpfalz, von 1938 bis 1940 fungierte er als Reichskommissar für den Anschluss Österreichs und ab 1940 als Reichsstatthalter der „Westmark“, die neben Pfalz und Saarland auch das quasi annektierte Lothringen umfasste.

„Der lärmende und brutale Herr des Saargebiets und der Pfalz“ war die Bezeichnung Hitlers für Bürckel, dessen brachiale Eindeutschungspolitik in Lothringen der Diktator noch 1942 lobte. Gemeint war damit auch die Vertreibung von bis zu 100 000 Lothringern ins unbesetzte Frankreich, bei der Bürckel als treibende Kraft agierte. Er gilt als ehrgeiziger, brutaler Machtmensch mit einem Ohr für Volkes Stimme und als fanatischer Antisemit. Sein Ziel, alle Juden zu vertreiben, setzte er im Oktober 1940 mit der Deportation der pfälzischen und saarländischen Juden nach Gurs um.

Blick in den Zellentrakt des frühen Konzentrationslagers. © Klaus Backes

Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Pfalz relativ milde über Bürckel geurteilt. Zugute hielt man ihm seine volkstümliche Art und die Erfindung der Deutschen Weinstraße. Aus dem Bereich der Sagen und Legenden stammt die Behauptung, der Gauleiter habe Einspruch gegen eine Zerstörung der Pfalz im sinnlosen „Endkampf“ eingelegt und sei deshalb am 28. September 1944 zum Selbstmord gezwungen worden.

Bürckel als Widerstandskämpfer der letzten Stunde? Falls ja, wäre dies bei dem Rechtsstreit um sein Erbe nach dem Krieg sicherlich ein großes Thema gewesen. War es aber nicht. So ist davon auszugehen, dass er im Alter von 49 Jahren eines natürlichen Todes starb, eventuell an einer Darmentzündung. Wegen seiner zahllosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hätte ein Prozess vor einem alliierten Gericht sicherlich mit dem Todesurteil geendet.

Kontroversen um Grabmal

Seinen Dienstsitz hatte der Gauleiter ab 1935 in der Villa Böhm, dem heutigen Museum der Stadt Neustadt. Wenig erinnert in dem prunkvollen Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert an diese neun Jahre, doch das soll sich laut Ulrich ändern: „Bei der Neukonzeption der Ausstellung wird das Thema stärker berücksichtigt.“

Das Grabmal des Gauleiters auf dem Neustadter Hauptfriedhof sorgte noch in jüngster Zeit für Kontroversen. Nach Ablauf der Ruhezeit wollten es die Nachfahren 2010 abräumen lassen. Dies geschah, aber da es sich um ein Kulturdenkmal handelt, musste es wieder aufgestellt werden. Im November 2016 übergossen Unbekannte das Grabmal mit roter Farbe, die mittlerweile entfernt ist.

Ulrich hat eine klare Meinung zum Umgang mit diesem und den anderen Überbleibseln der NS-Zeit in Neustadt: „Die Denkmalpflege muss auch unbequeme Denkmäler schützen. Es geht dabei eben nicht um moralische Kategorien, sondern um den Erhalt von Geschichtszeugnissen.“

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